Buchpremiere „Von eytel Raub und Strauchdieberey“ am 20. Januar 2016 in der Stadtgalerie

Nach Dresden und Leipzig werden nun Chemnitz´ wilde Neunziger durch einen Roman beleuchtet

TitelChemnitz in den Neunzigern. Bittere Not für die einen, Goldgräberstimmung für die anderen. Das Werk von Generationen wird verzockt, und zum Zug scheint zu kommen, wer dreist genug ist. Für Heranwachsende ist die Autorität zerbrochen und keine neue in Sicht. Wer mit besserer Ortskenntnis verfolgende Polizeiautos erfolgreich abhängt, verliert den letzten Respekt vor der Ordnung. Den Triumph auf der Straße verlacht aber die magere Barschaft, und Leergutklau ist auf Dauer unergiebig. Da hilft nur noch ein Banküberfall! Spätestens hier erweist sich, dass wir es nicht mit abgebrühten Ganoven, sondern mit Kindsköpfen zu tun haben. Die Härte der Buße wird nicht verschwiegen. Überhaupt zeigt die charmante Räuberpistole Glanz und Dürftigkeit der Jugend auf unsentimentale Weise und setzt dem »Wilden Osten« ein ganz eigenes Denkmal. (aus der Verlagswerbung)

Dieses Buch ist es nun durch Zufall bei mir hängengeblieben und ich musste danach trachten, mich davon zu entlasten, indem ich das mir Übergebene auf dem Wege der Veröffentlichung wieder abgebe. Es stammt von einem, der sehr niedrig zielte aber hoch hinauswollte, der tief niedergedrückt wurde und doch wieder an die Oberfläche gelangte. An der frischen Luft hat er nach einiger Zeit sogar die Sprache wieder gefunden. Im Buch steht nun sein originaler Text im Wortlaut, wie er dem Herausgeber zugespielt wurde. Außer einer behutsamen Rechtschreibkorrektur habe ich daran nichts verändert. Die kunstlose Sprache ist erstaunlich dicht gewebt. Das Geplauder des Unbekannten steht einer mit allen Wassern der Schreibkunst gewaschenen professionellen Erzählweise beinahe in nichts nach. Die besten Romane schreibt immer noch das Leben.
Clemens Meyer schilderte in „Als wir träumten“ (2006) die turbulenten Nachwendejahre in Leipzig. Für Dresden folgt ihm darin zehn Jahre später Peter Richter mit „89/90“. Mit „Von eytel Raub und Strauchdieberey. Ein Schelmengeständnis.“ folgt nun der authentische Bericht aus Chemnitz. Früher hieß es von den drei sächsischen Metropolen: In Chemnitz würde das Geld erwirtschaftet, in Leipzig erhandelt und in Dresden ausgegeben. Nachdem der künstlerisch-publizistische Komplex weitgehend unwidersprochen hat ausreden dürfen haben wir hier also die austehende Schilderung jener Jahre aus Sicht der Arbeiterklasse. Nach Merkur und Jupiter, hämmert nun Vulkan mit glühendem Griffel seine Fassung des Geschehens auf den Schild.
Vom Autor des Erlebnisberichts kennen wir nur seinen Vornamen. Vermutlich hat er keinen Ehrgeiz als Schriftsteller wahrgenommen zu werden. Vielleicht möchte er sich nicht brüsten mit begangenen Untaten. Andererseits dünkt ihm das Niedergeschriebene wieder zu kostbar, um es nur Verwandten und Freunden mitzuteilen.
Sieben Jahre lag das Heft bei mir herum. Wenn die Mappe mir unvermutet in die Finger kam, traf es mich jedesmal wie der Vorwurf eines uneingelösten Versprechens. Freilich hatte ich ein solches nie gegeben. Aber während des Lesens wuchs eine innere Verantwortung für den Text in mir heran, für einen Text, der nicht mir gehörte und doch bislang allein mir bekannt war. Probeweise gab ich ihn dann diesem und jenem zu Gehör. Er fesselte jeden Zuhörer. Schließlich wurde mein geschätzter Dichter-Verleger Uwe Lammla in seinen Bann gezogen und der Entschluß war gefaßt, die Aufzeichnungen als Buch zu veröffentlichen.
Dem Leser empfehlen wir, sich einfach vom Reiz der Geschichte gefangen nehmen, in der Handlung treiben zu lassen. Denn was den vorliegenden Bericht wertvoll und lesenswert macht, ist die Perspektive seines Erzählers. Dem Autor dieser Erinnerungen ist mehrfach der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Daran hat er freilich selber Seinen anteil genommen. Seine Aufzeichnungen sind ein rarer Fund, ein Kassiber aus der Zitadelle des Schicksals. Hier wird nicht nur berichtet, hier spricht sich der Täter in seinen Taten selbst aus und er lässt uns rückblickend an seinen Überlegungen und Plänen teilhaben, als stünden wir gerade neben ihm. Manches klägliche Geschehen in diesem Buch wird vor allem von der Ehrlichkeit seiner Vortragsweise veredelt. Wir müssen die Taten des Autors weder billigen noch verteidigen. Es reizt das Flair eines Grenzbezirks, den wir hier betreten. Es ist immer nur ein kleiner Schritt von der Devianz zur Delinquenz, von wirtschaftlicher Kreativität zu krimineller Energie. Bertolt Brecht läßt den Macheath als Advocatus diaboli in seiner „Dreigroschenoper“ rhetorisch fragen: “Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?” Denn sehr fließend verlaufen die habituellen Übergänge zwischen Wirtschaft und Raub, zwischen Handel und Prostitution. Der Wille, etwas um beinahe jeden Preis verkaufen zu wollen, kann unversehens dazu führen, dass man sich letztlich selbst verkauft. Der Instinkt für diesen Übergang geht zunehmend verloren. Dann lesen sich Insolvenzerklärungen zuweilen wie Gerichtsurteile und Kriminalprozessakten, aber auch Ehescheidungen, klingen wie Berichte gescheiterter Unternehmensgründungen. Die legale Vorteilnahme an anderer Geld und Gut kann so übergriffig und sittenwidrig verlaufen, dass sie an den Bereich des Kriminellen zumindest anstößt, oft genug aber auch weit in ihn übergreift, ihn zuletzt sogar verzweigter ausfüllt als es der eindeutige Gelegenheitsraub tut. Der Erfolg rechtfertigt Vieles, allzu oft viel zu Vieles. Dieses Buch rückt uns die Verhältnisse wieder gerade, indem es eine eindeutige Kontur des Verbrechens nachzeichnet. Dadurch kommt ihm zuletzt sogar noch eine sittliche Dimension zu. Der Räuber ist eine Erscheinungsform des menschlichen Dasein, wie der Bettler, die Hure, der Wucherer oder der Krieger. Sein Handeln hat seinen Preis und damit ist es genug. Der Autor ist sich wohl immer bewußt gewesen, was er tat. Man könnte bei ihm beinahe von einem spezifischen Handwerksstolz des reinen Kriminellen reden.
In seinem ahnungslosen Draufgängertum wird uns der Autor dieser Jugenderinnerungen nahezu sympathisch. Denn nach Abzug der Schuld bleibt zuletzt von der kriminelle Energie immer noch die Energie übrig. Die Freiheit, die jener Thomas und seine Kumpels sich übers Maß genommen hatten, die wurde ihnen damit wieder entzogen. Nach der bezahlten Zeche ist ihm eine einzigartige Erfahrung geblieben. Er verwirft keinen Teil seines Lebens. Wir Leser können uns erfreuen an der tröstlichen Schönheit der unverwüstlichen menschlichen Natur.

Sebastian Hennig

Hennig, Sebastian (Hg.): Von eytel Raub und Strauchdieberey. Ein Schelmengeständnis. 2017. 158 S. 250 gr. ISBN 3-944064-74-7. Gb. 18,– €, Buchpremiere zur Finissage der Ausstellung „Die andere Seite“ am 20. Januar 2017 um 20 Uhr in der Stadtgalerie Radebeul, Altkötzschenbroda
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