Nein, ich arbeite nicht an einem Zweitberuf und habe auch keinen Kurs Meteorologie in der Volkshochschule belegt.
Die oft erlebte Optik eines Blitzes an einem Sommerabend ist eine Zickzacklinie zwischen Himmel und Erde, also eine meist senkrechte Bewegung. Wenn ein Mensch dieses Phänomen zeichnerisch darstellen wollte, würde er abstrahieren und es käme wohl immer so eine gebrochene Linie heraus, vielleicht ein regelmäßigeres Zickzackband als es die Natur hervorbringt.
Unsere Vorfahren im Mittelalter hielten Blitze noch für eine Strafe des Himmels und verwendeten dieses einer Schlange ähnliche senkrechte Symbol als Schutz an ihren Häusern. Derartige stilisierte Schlangen tauchten früher öfter an Hausgiebeln, bzw. am Firstende in Holz oder auch in mehrfarbigem Schiefer auf. Davon versprach man sich Schutz, heute sind solche nach altem Volksglauben der Blitzabwehr dienende Symbole äußerst selten geworden und kaum noch anzutreffen. Ich kann mich schwach an eine solche Begegnung in meiner Jugend in einem Lausitzer Dorf erinnern, weiß aber den Ort nicht mehr. Aber erst dieser Tage entdeckte ich in Ebersbach/Sa. (Ebersbach-Neugersdorf) ein dreidimensionales Schlangensymbol am oberen Giebeldreieck eines Wohnhauses – dreidimensional insofern, weil die hölzerne Schlange vom Giebel absteht und nur wenige Verankerungen an der Holzverschalung hat.
Die dahinter steckende mittelalterliche Logik war folgende: wenn ich an meinem Haus ein Blitzsymbol (Schlange) anbringe, wird kein echter Blitz einschlagen, weil er erkennt, da ist ja schon ein solcher, wenn auch künstlicher, bzw. künstlerischer Blitz. Der Logik kann ein aufgeklärter Mensch von heute natürlich nicht folgen. Wir sind in dem Punkt schlauer, aber mittelalterlicher Volksglaube oder Aberglaube ging so. Bauliche Zeugen aus dem Mittelalter gibt es kaum in Radebeul und auch an den ältesten Teilen der Friedenskirche in Kötzschenbroda finden wir keine Blitzschlange.
Doch spätestens seit 1752 nach der wegweisenden Erfindung des Amerikaners Benjamin Franklin (1706 – 1790), dem Erfinder des wirklichen Blitzschutzes, dürfte dann der mittelalterliche Volksglaube ein Ende gefunden haben. Dieses Zeitalter heißt nicht umsonst das Zeitalter der Aufklärung!
Wie aber kann man heutzutage das Auftreten von Blitzschlangen in Radebeul bzw. kurz vor dem Ortsschild von Radebeul im Lößnitzgrund an um 1900 errichteten Wohnhäusern erklären – das Mittelalter ist weit weg. Schauen wir uns die Häuser doch mal näher an. Im Falle der Weinbergstraße 48/48a „Haus Hofmannsberg“ handelt es sich um einen älteren Winzerhof, der nach der Reblaus so nicht mehr genutzt werden konnte und 1903 im Sinne des Jugendstils erweitert und als Mehrfamilienhaus umgebaut wurde. Wir erleben gerade das Ende einer gelungenen Sanierung dieses Gebäudeensembles. Im Jugendstil verwendeten die Baumeister und Architekten, hier ein Leipziger in Radebeul tätiger Architekt, gern bewegte Formen aus der Natur, wie Blätter und Blüten, Schwäne oder auch Fledermäuse und verschiedene andere Schmuckformen. So taucht die Blitzschlange aus dem Mittelalter gleich mehrfach als Schmuck auf, wobei wir ganz sicher sein dürfen, der inhaltliche Hintergrund des Mittelalters, der Aberglaube, spielt hier keine Rolle mehr.
An beiden Torsäulen (Sandstein) wurden vereinfachte Schlangenmotive vom Steinmetz etwa 2 cm tief in die scharrierte Steinoberfläche eingeschlagen und in der Tiefe fein gespitzt. Die unterschiedliche Oberflächenbehandlung auf der Straßenseite der Säulen trägt zur besseren Wahrnehmung der Bildmotive bei. Am linken Wohnhaus (Nr. 48) finden wir eine weitere stark stilisierte, senkrechte Schlange auf der Ostseite in Höhe des 1. Obergeschosses neben der Loggia, hier allerdings durch unterschiedliche Putzoberflächen von Glatt- gegen Rauputz dargestellt.
Nach dem gleichen Prinzip in Putz hergestellte stilisierte Schlangen finden wir in den Ecklisenen des kleineren Wohnhauses Am Brand 4 in Friedewald / Moritzburg im Lößnitzgrund. Auch hier, an dem um 1905 errichteten Haus, sind die Schlangen nur Schmuckformen, nichts weiter! Welcher Architekt seinerzeit hier wirkte, ist mir nicht bekannt.
Wie von mir geschildert, haben wir die inhaltlichen Wurzeln dieser Gestaltung im Mittelalter zu suchen und erleben nach einem Zeitsprung die gestalterische Wiederentdeckung im Jugendstil. Vielleicht ließen sich bei genauerer Betrachtung noch weitere Beispiele von Blitzschlangen an Häusern in und um Radebeul entdecken?
Aus denkmalpflegerischer Sicht sind diese Schmuckformen selbstverständlich erhaltenswert.
Dietrich Lohse