Mensch und Buch, Buch und Mensch, die gehören zusammen. So war es jahrhundertelang, so sollte es auch weiter sein, meint man. Doch ganz langsam beginnt diese Freundschaft, also das Verhältnis der beiden o.g., zu zerbröseln. Gut, es soll ja schon immer Menschen gegeben haben, die gar keinen Bücherschrank brauchen, denen ein, zwei oder maximal drei Bücher völlig genügen – ein Sparbuch, das Telefonbuch und vielleicht noch die Bibel. Die müssen sich, anders als ich zB., in reiferen Jahren auch kaum die Fragen stellen: wohin mit den ganzen Büchern? Passen die noch in die kleinere Wohnung, in die man zu ziehen gedenkt? Habe ich dieses Buch in den, sagen wir, letzten zehn Jahren mal wieder in die Hand genommen oder gelesen? Werden sich meine Nachkommen für meine Bücher überhaupt interessieren?
Zu all diesen Fragen kommt ja auch ein eher technischer Aspekt hinzu: brauche ich den 24-bändigen Brockhaus denn noch, wenn ich in der Tasche ein „Kastl“ habe, das mir blitzschnell alle Antworten geben kann, sofern die Kraft der Batterie, respektive des Akkus, reicht? Im gegenwärtigen Zeitalter werden fast alle Antiquare, denen wir unsere Bücher anbieten wollen, die Hände heben und nein danke sagen. Also ganz schlimme Zeiten für Leute, die Bücher lieben, den Werteverfall für Druckerzeugnisse erkennen und sich oft fragen, wie und wo kann ich Bücher, von denen ich mich trennen möchte, los werden ohne sie gleich zum Altpapier zu tragen!
In der Situation hatten ein paar Naundorfer Bürger eine nette Idee, wo man Bücher kostenlos abgeben und für andere zum Mitnehmen bereitstellen könnte. Als erstes beschlossen die Schwestern und Eigentümerinnen, Frau Mehlig und Frau Bäßler, einer Gartenparzelle gegenüber von Altnaundorf 14, ihren Garten in der Mitte von Altnaundorf zu öffnen. Dann wurde 2014 da ein spintartiger Schrank mit Dach aufgestellt, der geschätzte 300 Bücher aufnehmen kann. Und tatsächlich füllte sich der Schrank mit Büchern, ein Tisch mit Stühlen zum Verweilen kam auch dazu. Dieser Platz wurde allmählich bekannter und so funktionierte der Bücherumschlagplatz immer besser – Einer brachte gleich drei Bücher hin, ein Anderer nahm nur eins mit nach Hause, ein Dritter brachte ein Buch mit zum Platz und trug zwei heim (alles ohne Geld!). Heute spricht man in solchen Fällen wohl von einer ´´win-win-situation´´, glaube ich. Ich kann mir vorstellen, dass der Platz auch für Begegnungen am schattigen Platz im Dorf, wie einen Plausch mit oder ohne Buch genutzt wird.
Bei einem Besuch im September 2018 fand ich im Schrank vor allem Belletristik, Krimis, einzelne Sachbücher, Bildbände und auch Kinderbücher vor. An wenige Titel kann ich mich gerade erinnern: J. M. Simmel „Doch mit den Clowns kamen die Tränen“, Th. Deutschbein „Freiheit von der Eifersucht“, Lingen „Großes Lexikon der Tierwelt“ und ein etwas patiniertes Russisch-Wörterbuch – eine eher zufällige Auswahl. Leider fand ich dort kein Buch von Erich Kästner, von dem ich lange keins in den Händen hielt. Frau Bäßler erklärte mir, dass man sich wünscht, durch Aufstellen eines zweiten, eventuell auch kleineren Schrankes für die Kinderbücher das Auffinden zu verbessern. Ein Schrankspender wird aber noch gesucht!
Freilich, man sieht dieser ausgeführten Idee zum Bücherwechsel an, dass sie nicht viel Geld kosten durfte, aber insgesamt macht der Platz einen ordentlichen Eindruck.
Ganz neu ist die Idee nicht, andernorts bei einer Wanderung im Siegerland und auch in Ansbach sah ich mal eine mit Büchern gefüllte Telefonzelle – auch derartige Umschlagplätze für Literatur. An ältere Telefonzellen war bisher in Radebeul aber nicht ranzukommen, leider. Denkbar wäre es, diese Idee des kostenlosen Büchertauschs an anderer Stelle in Radebeul noch ein zweites Mal zu versuchen, dabei sollte aber die Nähe von Bibliotheken und Buchläden respektvoll gemieden werden. Die Naundorfer hätten wohl nichts dagegen, wenn ihre Idee kopiert würde.
Auf den Naundorfer Bücherumschlagplatz hatte mich übrigens eine Kötzschenbrodaer Buchbinderin aufmerksam gemacht, der ich hier für den Hinweis danken möchte. Ich weiß aber gerade nicht, ob Frau Lindner diese „Vorschau“ liest.
Dietrich Lohse