Wenn ich an „Meißner Porzellan“ denke, denke ich an „Tausend und eine Nacht“; nicht die Schwerter, sondern dieses herrliche Dekor hat sich in meiner Erinnerung eingebrannt. Jedes Gefäß, ja, jede einzelne Tasse, hat ihr eigenes Motiv. Allein mit diesem vielteiligen Service hat Professor Heinz Werner ein einzigartiges Kunstwerk geschaffen (1973/74). Aber da gibt es ja noch viele andere Arbeiten auf Porzellan. Ich denke an die Dekore „Münchhausen“ (1964), „Purpurrose“ (1964/65), „Blütenreigen“ (1973), „Jagd“ (1973), „Blaue Orchidee“ (1977) um nur einige zu nennen. Eine lückenlose Aufzählung würde Seiten füllen. Bewundern Sie diese, seine Arbeiten, in den Schauhallen der Porzellanmanufaktur. Ich erinnere hier noch an das große Wandbild „Sächsische Schlösser“ in der Empfangshalle des Bahnhofes Dresden-Neustadt und das Triptychon im Trauzimmer des Coswiger Rathauses. Beispiele von Wandgestaltungen aus Meißner Porzellan. Mit seinen Arbeiten hat Heinz Werner entscheidend dazu beigetragen, den Weltruf der Meißner Manufaktur zu erhalten und zu fördern. Kritiker könnten sagen, das war seine berufliche Aufgabe. Da gibt es aber noch ein anderes Lebenswerk von Heinz Werner, ein Lebenswerk, das noch lange nicht abgeschlossen ist. Ich hatte das Glück, davon einiges zu sehen. Wie es dazu kam, davon möchte ich Ihnen erzählen:
Unsere Elternhäuser sind benachbart. Trotzdem haben sich unsere Wege wenig gekreuzt. Zu den größeren Jungen, die uns „Kleinere“ gern neckten, gehörte er nicht. Dass er schön malen kann, war aber in der Siedlung bekannt. Hatte er doch dem Ehepaar Grimmer als Silberhochzeitsgeschenk ein schönes Wandbild ins Treppenhaus gemalt.
Ich war etwa 12 Jahre alt. Malen interessierte mich. Heinz Werner saß vor seinem elterlichen Grundstück in der Neucoswiger Straße, malte die Scheune neben Haases Tankstelle und hatte nichts dagegen, dass ich ihm zusah. Ich staunte, was für ein interessantes Bild aus diesem schlichten Motiv wurde.
Jahre später: Mein Arbeitsgebiet waren die mineralischen Rohstoffe geworden. Eine Fachexkursion führte mich in die Porzellanmanufaktur. Ich bewunderte schon lange die von Heinz Werner geschaffenen Dekore. Es zog mich unvermittelt in das Atelier des Künstlers. Der Inhalt unseres Gespräches ist mir unvergesslich geblieben, denn er war ein Schlüssel zum tieferen Verständnis dieser Kunst. Er sagte sinngemäß: „Porzellan wirkt leicht und zart. Schwere Dekore erdrücken es. Es braucht leichte, zarte, heitere Motive. Auch die Altmeister der Porzellankunst arbeiteten so“. Mir wurde klar, nicht nur die Form des Porzellangegenstandes muss materialgerecht sein. Material, Form und Bemalung müssen einen Dreiklang bilden.
Viele Jahre später: Ich war alt geworden, wohnte wieder in meinem Elternhaus und wollte meine Erinnerungen an den Einmarsch der Russen aufschreiben. Da besuchte ich meinen „Zeitgenossen“ Heinz Werner. Aus diesem Gespräch entwickelte sich eine für mich erfreuliche Verbindung mit schönem Gedankenaustausch.
Prof. Werner ist geborener Coswiger (geb. 27.08.1928). Als er Kind war, wohnten seine Eltern mit ihm im Mansardengeschoss einer kleinen Villa auf der Hohnsteinstraße. Das Haus ist etwas Besonderes: Mittelrisalit, abgewalmtes Dach, Treppenturm mit einem Söller, Turmstübchen und Spitzdach mit Wetterfahne, umgeben von einem großen Garten. Ist das für ein Kind nicht wie ein Märchenschloss? In der Küche der elterlichen Wohnung war in einer Ecke ein kleines, zusätzliches Fenster, davor ein kleiner Tisch. Das war sein Platz. Hier malte er, was er sah, was ihm einfiel. Später durfte er sich in das Turmzimmer setzen. Malen, das war seine Beschäftigung. – In der Schule wurden die Aufsätze illustriert. Anders konnte es nicht sein. Und da seine Bilder ernsthaft gemeint waren, akzeptierten die Lehrer das.
Auch Coswig ist etwas Besonderes: – es ist nicht städtisch, es ist nicht ländlich; es ist keine Industriestadt, es ist keine Handwerkerstadt; die Menschen sind nicht reich, aber auch nicht arm. Von jedem gibt es etwas, alles lernt man als Kind kennen. Die Häuser stehen nah beieinander. Die Nachbarn kennen sich, aber sie stören sich nicht. Viele haben einen Garten, und wer keinen hat, schaut den Nachbarn beim Gärtnern zu. Etliche halten Tiere: Katzen, Hunde – in unserer Kinderzeit Kaninchen, Hühner. Pferde gehörten noch zum Straßenbild. Alle erleben die ersten Schneeglöckchen, die blühenden Kirschbäume, die leuchtenden Sonnenblumen, das bunte Herbstlaub und den ersten Schnee. Die Winter werden nicht zur Katastrophe und die Sommer nicht zur Plage. Und die Landschaft bietet Wälder, Felder, Wasser, steile Berge und gepflegte Weinberge. Die Häuser dokumentieren Baustile aus mehreren Jahrhunderten; die Alte Kirche zeigt als Bauwerk mit ihrer Ausmalung und dem Schnitzaltar Kunst des Spätmittelalters, die Neue Kirche Historismus und Jugendstil. Von jedem hat Coswig etwas, aber alles überschaubar. Weltkunst – Dresden, Meißen, Moritzburg – erschaut man im Vorübergehen. Die Kirche bietet regelmäßig Gottesdienste, aber auch anspruchsvolle Konzerte mit Werken großer Komponisten. Wir Kinder erlebten das als Selbstverständlichkeit, wir nahmen es in uns auf, sammelten Erinnerungen – Erinnerungen, von denen man sein Leben lang zehrt.
Heinz Werner malte immer. – Lieblingsbeschäftigung? Ja! Eher noch Selbstverständlichkeit – wie Atmen. Sein Vater arbeitete im Holzhandel. Oft kam zu ihm ein Mann – stattlich, urwüchsig, Künstlerhut – und kaufte nur Leisten. „Was machst Du mit den Leisten?“ – „Bilderrahmen.“ – „Bist Du Maler?“ „Ja.“ „Mein Sohn malt auch.“ „So? Na, dann schick´ ihn mal zu mir.“ Und so kam Heinz Werner zu dem Maler Zwar. Unter seiner Anleitung durfte Heinz Werner in dessen Atelier malen, streng nach der Natur. Zunächst wurden Gegenstände gezeichnet, die im Atelier und in Zwar´s Haushalt waren: Vasen, Töpfe … .
Für die Menschen der Region war Fürchtegott Erhardt Zwar (26.7.1898 – 27.12.1977) eine markante Persönlichkeit, aber nur wenige werden gewusst haben, dass er ein akademischer Maler war. Ich erinnere mich, schöne Landschaftsbilder von ihm in den Gasträumen der Friedensburg gesehen zu haben. In jungen Jahren hatte er per Fahrrad weite Reisen in südliche Länder gemacht. Kriege haben seine Karriere zerstört. Das Gerücht sagt, er habe nie ein Bild verkauft; er lebte zu einer Zeit, in der für Viele das Überleben die kulturellen Ansprüche verdrängte. Aber er musste malen, aus innerstem Bedürfnis heraus. Mit seiner Frau wohnte er bescheiden in einem kleinen ländlichen Haus im Rietzschkegrund. Sein Atelier war ein aus Brettern gezimmerter Schuppen mit einem großen Fenster nach der Nordseite. Das Gemüse aus seinem Garten half ihm zum Lebensunterhalt.
Heinz Werner ging nun regelmäßig zum Maler Zwar. Auch in den Schulferien wanderte er täglich zu ihm. Systematisch erlernte er die wichtigsten Handgriffe des bildnerischen Darstellens. Die gestellten Aufgaben wurden diffiziler, systematisch nach Schwierigkeitsgrad gesteigert. Aber das Malen war für ihn Freude.
Die Schulzeit ging zu Ende. Berufswahl? Technischer Zeichner!? Diese Ausbildung hätte mit einer Schlosserlehre begonnen. Ein halbes Jahr feilen – Heinz Werner wusste, dass ihm das nicht liegt. Da erfuhr er, dass die Zeichenschule der Staatlichen Porzellan Manufaktur Meißen auszubildende Porzellanmaler einstellt. Sein Vater meldete ihn an, die Aufnahmeprüfung war für ihn kein Problem (1943). Fünf Jahre Ausbildung in Zeichnen und Malen, dann war er Kerammaler (1948).
In die Ausbildungszeit fällt die Zerstörung von Dresden, Geschützdonner rings um Coswig, Flucht vor der Roten Armee. Unterkommen bei einem Bauern im Erzgebirge. Russen halten ihn für einen SS-Mann und wollen ihn erschießen, eine junge Polin (eine „Ostarbeiterin“) rettet ihm in letzter Minute das Leben. Glückliche Heimkehr zu den Eltern und Großeltern.
Prof. Dr. S. Grunert
Literatur:
Sabatier, Eduard, Heinz Werner, Rita Gründel, Helmut Stelljes: Heinz Werner.
-Verlag der Galerie Pro Art. 1. Auflage 1993 – ISBN 3-926473-3
(Fortsetzung im nächsten Heft)
Ein Kommentar
Sehr Schöne Zeichnungen — guter Text
Kann mich daran erinnern, dass H.W bei seinen Besuchen um 1991 in Halle stets von „James“ (Student aus Thüringen) mit seinem Porsche vom Bahnhof abgeholt werden sollte — die 90er waren besondere Zeiten — Für uns alle