Johann Paul Friedrich Richter ( 1763 – 1825 ) oder Jean Paul, wie er sich selbst nannte, ist vielen kein Unbekannter mehr, seit Günter de Bruyn in einem Romanessay sein Leben erzählte. Wer aber kennt heute noch das Werk des vor zweihundert Jahren von den gebildeten Damen angebeteten Humoristen und Romanciers, z.B. den Hesperus, den Siebenkäs, die Flegeljahre, das Schulmeisterlein Wutz oder Dr. Katzenbergers Badereise?
Außer Literaturhistorikern wohl nur noch einige Enthusiasten, denn sein bizarrer ausufernder Stil, sein verschachtelter Satzbau erschweren uns heute den Zugang zur Lektüre. Unbestritten zählt sein Gesamtwerk aber zur Weltliteratur.
Die Reihe „Literarische Stadtpläne“ erschienen im Verlag JENA 1800 stellt die Wohn- und Wirkungsstätten bedeutender Dichter, Denker und Publizisten in einigen deutschen Städten vor. Im Heft „Literarisches Dresden“ erwähnen die Autoren Norbert Weiß und Jens Wonneberger auch die Besuche von Jean Paul in Dresden. Sie schreiben u.a.: „Jean Paul weilte erstmals vom 15. bis 31.Mai 1798 in Dresden auf dem Minckwitzschen Weinberg, einem Treffpunkt der Dresdner Romantiker“. Auch von Dieter Hoffmann war in seinem fulminanten Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung „Minckwitzscher Weinberg“ im Jahre 2001 zu hören, daß Jean Paul mit anderen Romantikern hier zusammentraf.
Über diese Nachrichten freute ich mich, wohne ich doch im früher zum Weinberg gehörenden Winzerhaus und meinte anzunehmen, daß Jean Paul vor gut zweihundert Jahren hier in unmittelbarer Nähe wandelte. Um Näheres zu erfahren nahm ich mit dem Autor vom „Literarischen Dresden“, Herrn Wonneberger Verbindung auf. Er brachte als Quelle das „Jahrbuch zur Pflege der Künste“ Heft 5 von 1957 aus dem Wolfgang-Jess-Verlag. Aber auch dort sei nur beschrieben, daß Jean Paul in seinen Aufzeichnungen von Wanderungen auf der heutigen Meißner Straße erzählte. In diesem Jahrbuch, das ich in der Sächsischen Landesbibliothek einsehen konnte, fand ich auf den Seiten 75 bis 89 den Artikel von Johannes Reiher „Jean Pauls erster Besuch in Dresden“. Einziger Hinweis auf die Lößnitz ist folgendes Zitat:
„Die Strasse von Meissen läuft zwischen einem langen gebogenen Hügelrücken und der breit gebognen Elbe herlich hin. Betrits du die Dresdner Brücke, so liegen Palläste wie Städte vor dir, und neben dir eine Elbe, die aus einem weiten Reiche in das andere fliesset; ferne Berge, Ebenen, verlorene Schifgen, die wandelnde Prozession der einen Brücken Seite, die entgegengehende der andern, eine lange Allee und das Getümmel des Lebens ergreifen dich.“
Nun versuchte ich, weiter zu recherchieren und nutzte dazu die von Eduard Berend bearbeitete Gesamtausgabe von Jean Pauls Werken. Demnach versuchte die 42 jährige Emilie von Berlepsch den um sieben Jahre jüngeren Jean Paul in Ehefesseln zu schlagen. Auf einem Pfingstausflug 1798 zusammen mit ihr nach Dresden kam er durch eine Begegnung mit Karoline Schlegel zum ersten Male mit der neuen romantischen Schule in Berührung. Dort lernte er u.a. Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck und Friedrich Hardenberg kennen.
Am 21.Mai 1798 berichtet Jean Paul seinem Freunde Christian Otto vom Besuch des Königstein, der Antikensammlung und der katholischen Hofkirche zu Himmelfahrt. Dann folgen wenig schmeichelhafte Bemerkungen über die Dresdner. Pfingsten besucht Jean Paul die Gräfin Münster in Königsbrück. In einem Brief von Ende Mai dankt er ihr in überschwänglicher Weise für die freundliche Aufnahme seines Besuches.
Am 8. Juni 1798 ist Jean Paul wieder in Leipzig und er schreibt an Christian Otto:
„Den 31.Mai kamen wir alle hier an aus Dresden, nicht aus Wörliz. Ich reise künftig nie anders als zu Fus und allein: mit der B(erlepsch), bei der ich auf der Reise zuviel Egoismus und Aristokratie gegen Niedre fand, hab ich wieder Friede gemacht.. Ich kan dir aus Dresden nur meine Diner- und Souper-Wirthe, nicht ihre Gäste nennen: Geheime Rath v. Broizen – pp. v. Manteuffel ( wo ich die originelle Frau des Schlegels sah, die Exfrau des Custine war und Böhmers Tochter ist ) – Minister v. Wurm – Becker – Einsiedel aus Weimar. Bei Rakenitz war ich ohne Essen, und zu Hofmarschal v. Bose solt ich und zu andern, konnt aber nicht. – Meine schönen Tage hatt ich allein vom Freitag bis Pfingsttag in Königsbrük bei der Gräfin Münster ( und einer ungemein schönen Frau von Ledebuhr, in die ich mich in 3 lieblichen Tagen als der einzige daseiende Mann gehörig verschos ), mit welchen beiden ich am Montag nach dem himlischen Saifersdorfer Thale fuhr, wo die Berlepsch auch ankam. Ich war auf dem Königstein um den die Welt wie um einen Thron liegt; und im plauischen Grunde, der so wenig ist, daß ich in Tharand dachte, nun komm er erst, wie in jenem, das sei schon Tharand, woran soviel nicht ist. – Auf der Elbe fuhren wir nach Meissen, wo wir die Porzellanfabrik besehen hatten.“
Wäre Richter 1798 zu einem Besuche in der Lößnitz gewesen, hätte er sicher darüber an seinen Freund berichtet, zumal er alle seine Gastgeber benannte. Eine Verbindung der Gräfin Münster mit dem Minckwitzschen Weingut ist zum damaligen Zeitpunkt nicht nachvollziehbar. Zwar ist die bis 1953 hier lebende Frau von Minckwitz eine geborene Gräfin zu Münster und sicher eine Verwandschaft zur um 1800 in Königsbrück wohnenden Gräfin Münster nachweisbar, jedoch war zur Zeit des ersten Richterschen Besuches in Dresden während der Pfingsttage 1798 das ehemals Kobersche Weingut im Besitz der Familie Weinart und ging erst Mitte des 19. Jahrhunderts an die Familie von Minckwitz über.
Auch ist kaum anzunehmen, daß er in der Lößnitz seine Wohnung genommen, zumal er mehr Einladungen in Dresden hatte, als er überhaupt wahrnehmen konnte und sich so den Unwillen des Hofmarschall von Bose zuzog. Schließlich erforderte damals die Wegstrecke von der Lößnitz nach Dresden viel mehr Zeit, als das heute moderne Verkehrsmittel ermöglichen.
Damit dürfte der Minckwitzsche Weinberg als Treffpunkt der Romantiker in das Reich der Legende verwiesen sein. Über einen nachweisbaren Besuch Jean Pauls in der Lößnitz soll in einem zweiten Beitrag berichtet werden.
Jochen Zschaler