Die Flut vom August 2002 ist nicht vergessen, die Betroffenen erinnern sich meistens noch minutengenau an die dramatischen Situationen, die sie erlebt haben, an die Schäden an den Häusern und Geschäften, an die Folgen, die zum Teil bis heute spürbar sind. Bei der Landestalsperrenverwaltung (LTV) in Pirna wurden seither, teils in Zusammenarbeit mit der TU Dresden, Berechnungen, Pläne und Simulationen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes erstellt. Ein detaillierter Plan für die Radebeul betreffenden Maßnahmen hat inzwischen den Status eines Planfeststellungsverfahrens erreicht. Die Unterlagen dazu wurden bis Mitte November für die Bürger der Stadt ausgelegt, um eine Bürgerbeteiligung zu ermöglichen. Doch genau da liegt das Problem: Eine echte Beteiligung scheint gar nicht stattzufinden.
»Eine Mauer – wer will hier eine Mauer errichten?« – Wenn man sich unter Spaziergängern am Elbdeich hinter der Friedenskirche umhört, bekommt man den Eindruck, als seien die Pläne hier völlig unbekannt. Die Baggerarbeiten am Deich haben nichts mit der geplanten Mauer zu tun, erfährt man aus dem Rathaus, es ist eine Sanierungsmaßnahme, der Altdeich wird befestigt. Geht man vom Deich über die Streuobstwiesen Richtung Altkötzschenbroda, kommt man der Sache schon näher. Zum Herbst- und Weinfest hatten Mauergegner hier ein Gerüst aufgestellt, das die gewaltigen Dimensionen des geplanten Schutzbauwerks veranschaulichen sollte. In einer weiteren Aktion wurden alte Obstbäume, die der Mauer weichen müssten, mit weißen Tüchern umwickelt und mit Flugblättern bestückt. Ein erst Mitte September gegründeter Verein »NaturRaum Radebeul e.V.« bemühte sich damit um Aufmerksamkeit für die Folgen, die die geplanten, am hundertjährigen Hochwasser (HQ 100) orientierten Baumaßnahmen hätten. Kötzschenbroda wird sich verändern, einiges von seinem Reiz einbüßen. Stehen Kosten und Nutzen wirklich in einem gesunden Verhältnis?
Wie erwähnt gab es bis zum 18. November im Technischen Rathaus die Möglichkeit, Einblick in die Pläne zu nehmen. Nur wenige Bürger folgten dieser Einladung, die recht unauffällig im Oktober-Amtsblatt stand; genau 47 waren es bis zum Buß- und Bettag. Dabei konnten sie feststellten, was der Begriff »Öffentliche Auslegung« bedeutet: Statt übersichtlicher Tafeln im Foyer waren die Informationen in genau 25 dicken Aktenordnern versteckt, einsehbar im Amtszimmer 1.08. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, eine Essenz aus den Aktenbergen verständlich auf den Punkt zu bringen. Welcher interessierte Laie hat denn schon nach Feierabend Zeit, bis zum Büroschluss der Rathausmitarbeiter so viele Ordner durchzuackern? Vielleicht ist das auch gar nicht gewollt?
Zwar gab es im Frühjahr eine Versammlung im Goldenen Anker dazu, und auch die »(Nicht nur) Reden in Kötzschenbroda« befassten sich Anfang November mit dem Thema, doch diese beiden Veranstaltungen ersetzen nicht eine ausgiebige öffentliche Diskussion.
Fest steht, dass die Planung schon sehr weit fortgeschritten ist. Demnach soll im Bereich der Stadt Radebeul auf 2,3 km Elblänge eine Kombination aus statischer Mauer und mobilen Schutzwänden entstehen. Die, vom Angerniveau aus gemessen, etwa zwei Meter hohe, befahrbare Mauer würde im Bereich Altkötzschenbroda auf der Südseite der Angergrundstücke hochgezogen werden, da, wo jetzt ein kleiner Trampelpfad verläuft. Dieser Weg fällt weg, und statt auf die Elbe blickt man aus den Gärten dann auf die Mauer, Betreten verboten. Der Pfarrgarten hinter dem Lutherhaus ist besonders betroffen; für die Anlegung einer Wendeschleife soll er zu großen Teilen unter Beton verschwinden. Am Kirch- und am Elbgässchen sind »infrakstrukturelle Querungen« geplant, die bei Bedarf mit mobilen Schutzwänden geschlossen werden können.
Sicherheit ist ein hohes Gut, aber, wie gesagt, sind nicht alle von diesem Vorhaben begeistert. »Schutz ja, aber doch nicht so! Mauer bleibt Mauer, auch wenn sie begrünt werden soll«, meint eine Anwohnerin, die nicht namentlich zitiert werden will. In einer Pressemitteilung vom 23. September erklärt Antje Mehnert, Vorsitzende des NaturRaum Radebeul e.V., der Verein wolle »die anstehende Planung der Hochwasserschutzanlagen im Gebiet der Stadt Radebeul [..] begleiten« und »dazu beitragen, dass der notwendige Hochwasserschutz in Art und Weise sowie Umfang so gering wie möglich den Naturraum der Elbe und der elbnahen Gebiete beeinträchtigt.« Das klingt nicht nach einseitiger Interessenvertretung und radikaler Ablehnung, sondern eigentlich ganz vernünftig. Bei der Stadt scheint man dagegen das Damoklesschwert möglicher Umplanungs- und Folgekosten so scharf am Hals zu spüren, dass man lieber nicht an der LTV-Planung rührt.
Noch bis zum 2. Dezember können Betroffene Widerspruch einlegen und ihre Bedenken schriftlich (nicht per Email) äußern. Beeinträchtigungen und Benachteiligungen müssen glaubwürdig nachgewiesen werden. Die Seite der Technokraten ist von Hause aus stark aufgestellt. Für die weichen Faktoren – Landschaftsschutz, Charme, Lebensqualität, Tradition – müssen sich die Bürger ins Zeug legen. Vielleicht tut sich da ja noch was. Bei aller Einsicht in die Notwendigkeit darf man die Hoffnung nicht aufgeben, dass eine für alle Seiten befriedigende Lösung möglich ist.
Karin Funke
[V&R 12/2010, S. 11-13]
Ein Trackback
[…] Betroffenheit habe ich in Vorschau & Rückblick, Heft12/2010, in dem Beitrag von Karin Funke gelesen, dass die Pläne bis zum 18. November im technischen Rathaus auslagen und die […]