Unter den vielen Radebeuler Gründerzeitvillen nimmt die Zinzendorfstraße 16 eine besondere Stellung ein; hier überlagern sich die Ideen der Gründerzeitarchitektur mit Neostilelementen und es wurde ein sehr hoher gestalterischer Aufwand getrieben.
Der im Grund- und Aufriß sehr aufwendige und kaum als „Einfamilienhaus“ zu bezeichnende Bau präsentiert sich als spätes Beispiel der deutschen Neorenaissance. Villa und Park mit bedeutendem Baumbestand und fast vollständig erhaltener Einfriedung bilden eine gestalterische Einheit, die auch von der Meißner Straße aus zu erkennen ist. Zweifellos handelt es sich um einen Bau, der einen potenten Bauherrn mit höherem Repräsentationsbedürfnis voraussetzt. Wirft sich also die Frage auf: Wer war der Bauherr?
Hofrat Dr. Carl Kolbe, Sohn des Wissenschaftlers und Chemikers Prof, Dr. Hermann Kolbe, leitete am Ende des vorigen Jahrhunderts als erster Generaldirektor die Geschicke der Chemischen Fabrik von Heyden. einem prosperierenden Unternehmen in Dresden und Radebeul. Er beauftragte 1890 den Charlottenburger Architekten Otto March mit der Planung, und man kann trotz unvollständiger Aktenlage davon ausgehen, daß der komplizierte Bau 1891, spätestens jedoch 1892, fertig war, eine beachtliche Leistung, Aber warum holte er seinen Architekten aus Berlin?
Es war eine schloßähnliche Villa entstanden mit Klinkerfassaden, Sandsteinelementen, Ziegel- und Schieferdächern, mit Giebeln, Türmen, Terrasse, Balkon und Wintergarten und etwas abseits eine Remise mit Kegelbahn. Die damalige Adresse lautete Carolastraße 16. Zeitweilig gehörten auch ein Gärtnerhaus und Ländereien jenseits der Meißner Straße zum Besitz. Bereits 1891 wurde in der Villa eine elektrische Installation eingebaut. Die Abbildung stellt einen Zustand um 1900 dar.
Interessant ist sicherlich eine Übersicht zu Räumen und Funktionen in den einzelnen Etagen: Im Kellergeschoß befanden sich eine kleine Gärtnerwohnung, Heizung und Kohlebevorratung, Waschküche und Plättstube, ein großer Wirtschaftskeller, zwei Weinkeller, getrennt nach Rot- und Weißweinen, und ein Billardraum. lm Erdgeschoß finden wir eine geräumige Halle mit Treppe und Kamin, Küche und Anrichte, das ehemalige Speisezimmer, Wohnzimmer, Zimmer der Dame und Zimmer des Herrn und zwischen beiden war der Wintergarten Die Wohnräume sind mit Parkett, Stuck, Holzverkleidungen, Tapeten, Bemalung und Bleiglasfenstern (z. T.) sehr prächtig ausgestattet, wovon sich trotz wechselnder Nutzungen noch viel erhalten hat. Das Obergeschoß hatte ein Bad, ein Schrank- und Ankleidezimmer, ein Schlafzimmer, zwei Kinderzimmer und zwei kleinere Kammern. lm Dachgeschoß befanden sich mehrere Kammern und Mädchenzimmer. Das Ganze erscheint uns wie eine Kulisse für rauschende Feste und große Empfänge, ist aber für heutige Verhältnisse und „Daheimgebliebene“ kaum nachvollziehbar. Hier könnte, eben vor dieser Kulisse, sofort ein Stück von Thomas Mann verfilmt werden.
Aber die Zeiten und die Bedürfnisse änderten sich. Und noch 1980 stritt man in Fachkreisen, ob solch ein Neostil nicht doch Kitsch wäre und ob sich die Denkmalpfleger besser mit „echten“ Baustilen befassen sollten. Heute muß ich sagen, man hat sich damals zurecht für die Einstufung der Villa als Denkmal entschieden, woran sich selbstverständlich auch heute nichts geändert hat. Ab 1908, in jenem Jahr erfolgte eine Zwangsversteigerung des Grundstückes, wechselten die Besitzer in rascher Folge, so u. a. Exzellenz Frau Generalleutnant Freifrau von Milkau, Architekt und Baumeister Oswin Krauspe, Fabrikbesltzer Ernst Louis Paul und schließlich Dr. med. Johannes Kohlmann, der hier eine Privatklinik einrichtete und mit seiner Familie wohnte. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß 1922 die Gemeinde über einen 10-Jahresvertrag die zu Kleinstwohnungen umgebaute Kegelbahn nutzen konnte, um die Wohnungsnot nach dem Kriege zu lindern. Notwohnungen und die Luxusvilla so dicht beieinander, was für ein Kontrast! Nach dem 2. Weltkrieg richteten sich verschiedene Ärzte in der Klinik ein. 1981 dachte man über die Unterbringung einer Kinderkrippe nach, schließlich zog dann aber eine soziale Einrichtung, die Behindertenwerkstatt, ein, die sich auch noch da befindet. Diese nützliche Einrichtung konnte den Verfall des Hauses und Parkes aufhalten.
Wie zu erfahren war, bestehen aber Besitzansprüche der Familie Kohlmann, so daß zur Zeit keine Aussage über die weitere Nutzung möglich ist. Besonders durch die Kliniken erfolgten einige Umbauten, die jedoch den Charakter der Villa nie völlig veränderten. So wurde u.a. der Wintergarten abgebaut, dafür ein OP-Raum mit Klinkern aufgemauert, das Dachgeschoß wurde durch vergrößerte Dachgaupen (Arch. Max Czopka) belichtet, ein Schornstein wurde vor die Südfassade gestellt und auf der Nordseite kam eine Rampe an die Terrasse, von inneren Veränderungen einmal abgesehen. Im Interesse des Denkmalobjektes sollten diese Veränderungen möglichst vollständig rückgängig gemacht werden, sofern dies mit der Nutzung in Einklang gebracht werden kann und Konsens mit den Eigentümern hergestellt ist. Soweit der Exkurs durch die reichlich 100jährige Geschichte eines der Radebeuler Kulturdenkmale.
Dietrich Lohse
PS: ich danke Herrn Arch. Hellmut Leckscheid, dessen Ausarbeitung zu diesem Haus mir als Quelle vorgelegen hat.