Bewußt verzichtete ich in der Veröffentlichung des Beitrages über Jean Paul in der Lößnitz auf Ausschmückungen. Vielmehr sollten zitierte Briefe als Zeitzeugnisse für sich sprechen und damit Authentizität gewahrt werden. Art und Umfang der in der Heimatschrift von Radebeul üblicherweise publizierten Beiträge erfordern das. Ich bin dem Redakteur von „Vorschau und Rückblick“, Herrn Malschewski auch dankbar dafür, daß er meinen Artikel ungekürzt übernommen hat. Ziel meines Beitrages war es, verläßliche Quellen über Besuche des Dichters in meiner Heimat zu finden. Dabei stellte sich freilich heraus, daß der „Romantikerkreis im Minckwitzschen Weinberg“ Legende bleiben muß. Ich weiß nicht, wer wann aus welchem Anlaß diese Behauptung erstmals aufstellte. Im „Tourist-Führer Literatur“ VEB Tourist Verlag Leipzig 1985 beginnt die Aufzählung der Literaten von Radebeul mit dem Satz: „Ludwig Tieck und Jean Paul verkehrten in der Zeit der Dresdener Romantik auf dem Mickwitzschen Weingut im heutigen Ortsteil Niederlößnitz“. Eine völlig aus der Luft gegriffene Behauptung, denn Jean Paul traf mit Ludwig Tieck erstmals im Dezember 1799 in Weimar zusammen, in Dresden besuchte er Tieck im Mai 1822 in dessen legendärer Wohnung am Altmarkt. Auch Herr Dr. Altner, dessen „Sächsische Lebensbilder“ mich auf die Spur zu Pilgrim führten, sitzt der Legende auf und verweist in einer Fußnote auf die zeitweilige Wohnung Jean Pauls im Minckwitzgut.
Carl Lang, Carl Vogel und Johann Peter Hundeiker ausgenommen ist kein Schriftsteller oder Mäzen bekannt, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Lößnitz seinen ständigen Wohnsitz oder seinen Sommersitz hatte. Somit kann, wenn überhaupt, nur das unweit von Friedstein gelegene Schloß „Wackerbarths Ruhe“ als einziger Ort der Lößnitz angesehen werden, den hin und wieder die Geistesgrößen der Dresdner Romantik besuchten. Erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Eisenbahn unsere Landschaft für die Dresdener attraktiv werden ließ, erkor sich die gehobene Gesellschaft die Lößnitz als Sommersitz. Erst nach der Spätromantik wählten die Vertreter einer neuen Künstlergeneration in zunehmendem Maße das heutige Radebeul als Arbeits- und Wohnsitz.
Vor mir liegt die Reproduktion einer alten Ansicht von der Niederlößnitz. Das zu Altfriedstein gehörende Winzerhaus Jakobstein 2 ist gut zu sehen. Ich stelle mir vor, wie damals in dem zweispännigen Gefährt Minna Spazier mit ihrem Schwager von der Meißner Straße her in die heutige Ludwig – Richter – Allee einbog, die damals schon von Bäumen besäumt war. In leichtem Trab zogen die Pferde den Wagen die mäßige Steigung bis zum Winzerhaus. Bog die Kutsche dann nach links zum Haus Neufriedstein? Oder ging die Reise geradeaus den immer steiler werdenden Weg hinauf zu Altfriedstrein? Letztendlich sollte es uns heute egal sein, wohin die Reise seinerzeit führte, wissen wir doch, zu wem sie führte. Ich kann mir gut vorstellen, wie Elise Pilgrim mit Bangen den hochverehrten Dichter erwartete,
Nach der freudigen Begrüßung kam es sicher zu einem angeregten Gedankenaustausch zwischen dem Verfasser der „Levana“ und dem Pädagogen Hundeiker. Die beiden geistvollen Schwestern bezog Jean Paul ganz sicher in das Gespräch mit ein, während deren Ehemänner, die eher merkantilisch orientiert sind, die hin und her fliegenden Geistesblitze der Vier aus der Ferne beobachteten. Auch Richard Otto Spazier und seine Mutter werden wohl nur hin und wieder zu Wort gekommen sein. Jean Paul, der sich selber gern reden hörte, wird den Gang des Gespräches bestimmt haben. Jedenfalls schrieb R. O. Spazier später in seinen Lebenserinnerungen: „Jean Paul hatte daselbst vielleicht einen der schönsten Nachmittage seines Lebens verbracht.“
Parallelen zur heutigen Zeit sind nicht zu übersehen. Erwarben doch damals zwei reich gewordene Kaufleute, der eine aus Leipzig, der andere aus St. Petersburg kommend hier ein großes Stück Land, um es gewinnbringend zu nutzen. Mit einem Dritten, dem Kaufmann Sickmann bauten sie eine Fabrik moussierender Weine an der heutigen Moritzburger Straße. Als Sektfabrik „Bussard“ bestand dieselbe bis ins 20. Jahrhundert hinein. Vor der Wende als Jugendcliub und Gaststätte genutzt, verfielen die Baulichkeiten seither, werden jetzt aber zu einem attraktiven Wohnpark wieder aufgebaut.
Auch die Anlage des im Stadtpark angestauten Wassers, genannt „Schwarzes Teich“ geht auf Georg Schwarz zurück. Eine Rohrleitung führte zu Altfriedstein.
Jochen Zschaler