Die zweite Reise von Jean Paul Friedrich Richter nach Dresden im Jahre 1822 dauerte etwas länger und ist u.a. in den Briefen an seine Frau Caroline beschrieben. Jean Paul weilte vom 6. Mai bis zum 12. Juni 1822 in Dresden und wohnte beim „Registrator Aderhold vor dem weißen Thore“. Das weiße oder Leipziger Tor stand unweit des Japanischen Palais an der Leipziger Straße. Das Logis hatte ihm wahrscheinlich seine in unmittelbarer Nähe wohnende Schwägerin Wilhelmine ( Minna ) Uthe-Spazier besorgt.
Die Briefe aus dieser Zeit sind für den Literatur- und Heimatinteressierten sehr aufschlußreich. Vor allem aus zwei Passagen der Briefe an seine Frau sind Besuche in der Lößnitz nachweisbar.
Am 19. Mai schreibt er:
„Morgen fahr ich zum 2ten male mit Uthes auf das Land zu einer herrlichen Familie Schwarz, die ihren Wein- und Landsitz Friedstein nennt. Er – einreicher Vertrauter des russischen Kaisers – baute seinem vortrefflichen Vater ein Haus neben seinem. Die Gegend ist göttlich, die Familie mit Frau und Tochter und einer Wittwe der Frieden selber.“
Durch seine Schwägerin Minna Uthe-Spazier wird Jean Paul bei der mit ihr befreundeten Familie Schwarz auf Friedstein eingeführt und lernt dort auch das Ehepaar Pilgrim kennen. Elise, die Gattin des Leipziger Kaufmannes Ludwig Pilgrim ist ebenfalls Schriftstellerin und eine glühende Verehrerin Jean Pauls.
Sein 19jähriger Neffe R. O. Spazier beschreibt dieses Zusammentreffen folgendermaßen:
„Von dem zauberhaften Hinreißen seines Lächelns für Frauen war ich besonders in Dresden Zeuge gewesen, und dies bei einem weiblichen Wesen, das damals bereits begonnen, sehr auf die Entwicklung meines äußern und innern Seins einzuwirken. Er ward nämlich eines Tages (13. Mai ) in einer Familie eingeführt, die auf einer Weinbergsbesitzung zwischen Meißen und Dresden, dem Dörfchen Kötzschenbroda gegenüber gelegen wohnte, eine Familie, deren größte Zierde zwei verheiratete, jedoch noch jugendliche Schwestern waren. Kaum war er dort eingetreten, wie immer erst mit einer überaus edlen Kopfverneigung, die er sich den Großen gegenüber angeeignet, und bei welcher er nicht einen Zoll seines Rückgrates beugte, so daß der innere Mensch in seiner ganzen Würde vor ihnen stehen blieb, und als er das Haupt dann wieder mit jenem Lächeln erhob, warf die jüngere und lebhaftere beider Schwestern sich ihm an den Hals und flog mit den Lippen an seinen Mund, nachher die etwas zu rasche Bewegung mit der Versicherung entschuldigend, wie es ihr unmöglich gewesen wäre, einen solchen Himmel überschwänglicher Liebe in einem Menschenantlitz zu sehen, ohne sich gewissermaßen in denselben hinein zu stürzen.“
Der so Überfallene bittet später Ludwig Pilgrim, den er irrtümlich für den Bruder hält, ihm zu einer nochmaligen Zusammenkunft mit der Dame zu verhelfen. Der vermeintliche Bruder sendet Jean Paul einen Blumenstrauß mit einem beigefügten Billett, in dem er den Irrtum aufklärt und ihn nochmals nach Friedstein einlädt. Jean Paul schreibt daraufhin am 17. Mai an Pilgrim, bittet um Verzeihung für den Irrtum und nimmt die Einladung an: „… In Friedstein – das bei mir den Königstein überragt – werd ich Ihnen zum zweiten male danken und länger.“
Am 24. Mai berichtet der nicht nur den Musen sondern auch dem Bier- und Weingenuß geneigte Dichter seiner Frau nach Bayreuth vom zweiten Besuche in Friedstein:
„Neulich bei dem vortrefflichen Schwarz in Friedstein, – der mir 16 Flaschen seines selber gebauten Burgunders gegeben, dessen Bezahlung in Geld anzunehmen er mir hoff ich ohne Zweideutigkeit versprochen – sang Minona, nachdem die schöne Frau von Schwarz mit Operkraft ein langes italienisches Kunstwerk herrlich vorgetragen..“
Minona Spazier ist die Nichte Jean Pauls. Ob er Elise Pilgrim bei seinem zweiten Besuch antraf, wissen wir nicht. Die Schwestern Elise Pilgrim und Emilie Schwarz sind die Töchter des Pädagogen Johann Peter Hundeiker, der von 1819 bis 1823 Lehrer an der Knabenschule des Dr. Carl Lang in „Wackerbarths Ruhe“ war und bis zu seinem Tode im Jahre 1836 in dem zu Altfriedstein gehörenden Winzerhaus Am Jakobstein 2 lebte.
So ist also nun eindeutig belegt, daß Jean Paul die Lößnitz zweimal besuchte, nicht den Minckwitzschen Weinberg sondern das Weingut Friedstein. Nun ist noch zu ergründen, ob Jean Paul in Alt- oder in Neufriedstein empfangen wurde.
Zum Friedstein gehören die Weinberge Wehlener Berg, Schildberg und Sandleite mit 100 + 87 + 185 Schock Rebstöcken. Dem Haus Altfriedstein ist wahrscheinlich der Wehlener Berg zuzuordnen, dem Haus Neufriedstein der Schildberg und die Sandleite. In den im Stadtarchiv gefundenen Aufzeichnungen finden sich Dopplungen, die eine eindeutige Zuordnung der Weinberge zu den Häusern und ihren Besitzern erschweren.
Das Herrenhaus Altfriedstein, erbaut bis 1745, ist nacheinander im Besitz der Familie des Oberlandweinmeisters Roos, des Grafen Brühl, des Agenten Böhmer, der Gräfin Zinsendorf vertreten durch J. G. Meißner und des Major v. Pilsack. Graf Brühl benennt das Haus „mon repos“. Im Jahre 1816 erwirbt der Kaufmann Ludwig Pilgrim aus Leipzig das Grundstück. Pilgrim führt die Bezeichnungen Altfriedstein und Neufriedstein ein und verkauft das Grundstück 1823 an den Kaufmann Georg Schwarz.
Das Herrenhaus Neufriedstein wird 1750 vom Commisionsrat Johann Gotthold v. Ehrlich erbaut. 1776 kauft Christiane Dorothee Schäffer das Grundstück. Im Jahre 1821 übernimmt der Kaufmann Georg Schwarz den Schäfferschen Weinberg (zur Pacht? ). Ein Kauf kommt durch Georg Schwarz nach den Unterlagen wohl erst 1827 zustande.
Wohnte Georg Schwarz im Sommer 1822 im Schäfferschen Weinberggrundstück später Neufriedstein genannt ? Oder wohnte er in dem Hause seines Schwagers Ludwig Pilgrim, der bereits 1818 das Grundstück Mohrenhaus für sich erworben hatte und Altfriedstein 1823 an Schwarz veräußerte? Wir wissen es nicht genau. Der in Jean Pauls ersten Brief an seine Frau benannte „vortreffliche Vater“ wird wohl J. P. Hundeiker sein. Weil der im zu Altfriedstein gehörenden Winzerhaus lebte, kann man vielleicht daraus schließen, daß Schwarz damals in Altfriedstein wohnte und dort auch Jean Paul empfing.
Jochen Zschaler