Im Archiv gestöbert: Von Ratibor nach Radebeul – Theodor Lobe

Darstellende Künstler haben, wenn sie nicht zu den absolut herausragenden Interpreten ihrer Epoche gehören, in der Regel keinen sehr ausdauernden Nachruhm zu gewärtigen. Sie leben vom Applaus, und wenn sie die Bühne verlassen, ist der Rest bald Schweigen. Das galt umso mehr vor Erfindung der Ton- und Bildaufzeichnung. In seinen 1942 erstmals erschienenen Jugenderinnerungen erwähnt der berühmte Theater- und Filmschauspieler Eduard v. Winterstein (1871-1961) einen »außerordentlich guten« Kollegen, den er als 18-jähriger Debütant in Gera persönlich erleben durfte und der »zu den unverdient Vergessenen« gehöre: den schlesischen Vollblutschauspieler Theodor Lobe. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte Lobe zu den bedeutendsten Charakterdarstellern auf deutschen Bühnen. Da sich sein Geburtstag am 8. März zum 175. Male jährt, wollen wir an ihn erinnern, denn sein Lebensweg führte

Von Ratibor nach Radebeul – Theodor Lobe

Theodor Eduard Lobe wurde 1833 im oberschlesischen Ratibor (heute poln. Raciborz) mit Theaterblut in den Adern geboren. Sein Vater Karl war Prinzipal einer reisenden Schauspielertruppe, seine Mutter Jeanette – selbst Aktrice – die ältere Schwester des berühmten Shakespeare-Darstellers Leopold Dessauer (1810-1874), der unter seinem Künstlernamen Ludwig Dessoir als erster jüdischer Schauspieler die großen Berliner Bühnen eroberte. Lobe, dessen Vater schon 1847 starb, woraufhin seine Mutter 1848 den Posener Theaterdirektor Joseph Keller heiratete, eiferte diesem Vorbild nach. Nach kleinen Rollen in der schlesischen Provinz und einem Engagement in Eisleben kam er 1851 an das Krollsche Theater in Berlin, spielte in Leipzig und Hamburg und feierte 1856 am Berliner Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater als Faust in der Posse »Faust und Gretchen« einen Publikumserfolg. In der Druckfassung dieses Erstlingswerkes seines Altersgenossen und oberschlesischen Landsmanns Eduard Jacobson (1833-1897), der bald zu einem der beliebtesten und meist gespielten Lustspieldichtern seiner Zeit avancierte, wird Lobe als Mitautor genannt. Das blieb aber offenbar sein einziger Ausflug ins schreibende Fach. Seine Welt war die Bühne, und hier war er zunächst auf komische Rollen festgelegt.

Th. Lobe um 1880

Th. Lobe um 1880

Ab 1858 gehörte Theodor Lobe zum Ensemble des deutschen Hoftheaters in St. Petersburg und erwarb sich hier und auf Gastspielreisen einen derart guten Namen, dass er 1866 als Direktor ans Breslauer Stadttheater verpflichtet wurde. In Breslau, wo unter seiner Ägide 1867 die Dirigentenkarriere des jungen Ernst Schuch (1846-1914) begann, sammelte Lobe erste Regieerfahrungen und gründete zusätzlich noch ein eigenes, das nach ihm benannte Lobe-Theater, das am 1. August 1869 in einem eigens errichteten Neubau eröffnet wurde und sich zu einer über die Grenzen Schlesiens hinaus angesehenen Sprechbühne entwickeln sollte. Später wurde es zur wichtigen Station für bedeutende Theaterleiter wie Adolph L’Arrongé  und berühmte Mimen wie Werner Krauss, Heinz Rühmann, Carola Neher oder Rudolf Platte.

Lobe-Theater um 1900

Lobe-Theater um 1900

Lobe selbst war da allerdings längst weitergezogen. Von Geldsorgen geplagt, folgte er 1871 einem Ruf des Dramatikers Heinrich Laube an das neu gegründete Wiener Stadttheater, wo er zum »trefflichen Charakteristiker« reifte und das er zeitweilig auch leitete. Als Mephisto, Nathan oder als Rudolf II. in der Uraufführung von Franz Grillparzers »Bruderzwist in Habsburg« (1872) wurde er zum gefeierten Star der Wiener Bühne.

Lobe um 1900

Lobe um 1900

1880 wechselte Lobe in das Ensemble des Stadttheaters Frankfurt am Main und von dort 1887 an das Hamburger Thalia-Theater, daneben unternahm er Gastspielreisen durch ganz Deutschland, Österreich und die Schweiz und brillierte vielerorts in Paraderollen der klassischen Literatur, als Richard III., Shylock, Marinelli, Philipp II., Jago, Mephistopheles oder König Lear. Eduard v. Winterstein erlebte ihn am Fürstlichen Hoftheater Gera als Pedro Crespo in Calderons »Richter von Zalamea« und war von der uneitlen Natürlichkeit und Werktreue seines Spiels tief beeindruckt. Auch der neuen, naturalistischen Bühnenliteratur stand Lobe aufgeschlossen gegenüber; so verkörperte er in der spektakulären Eröffnungsinszenierung des Theatervereins »Freie Bühne« im Berliner Lessing-Theater 1889 den Tischler Engstrand in Henrik Ibsens Drama »Gespenster« – öffentliche Aufführungen des Stückes waren damals noch von der Zensur verboten – und schrieb damit ein Stück moderne Theatergeschichte. Lobes letzte Karrierestation war von 1892 bis 1897 das Dresdner Hoftheater, wo er zuletzt die Oberregie inne hatte und als begnadeter Schauspiellehrer noch lange im Gedächtnis blieb.

Vielleicht waren es ja die Besuche im Landhaus seines alten Freundes Ernst v. Schuch, mittlerweile Generalmusikdirektor in Dresden, die Lobe vom Reiz der Lößnitz überzeugten und ihn dazu bewogen, sich hier nach einem Altersruhesitz umzuschauen. Das Adressbuch von 1897 weist ihn als Besitzer der heute unter Denkmalschutz stehenden kleinen Villa Nordstraße 4 in Niederlößnitz aus, die er vermutlich schon einige Jahre früher erworben hatte. Hier starb Theodor Lobe wenige Wochen nach seinem 72. Geburtstag am 31. März 1905. Während er in Nachrufen andernorts als »eine der bekanntesten Persönlichkeiten der deutschen Theaterwelt« gewürdigt wurde, nahm die Kötzschenbrodaer Zeitung von seinem Tod keine Notiz.

Grabrelief Th. Lobe

Grabrelief Th. Lobe

Anders als Schuch, sein Heldentenor Lorenzo Riese oder die Opernsängerin Bertha Weber hatte Lobe der Versuchung widerstanden, die Straße, an der er wohnte, noch zu Lebzeiten auf den eigenen Namen taufen zu lassen, für Bühnengrößen in der Lößnitz damals scheinbar ein Leichtes. So ist das Einzige, was in Radebeul heute noch an ihn erinnert, sein Grabdenkmal auf dem Kötzschenbrodaer Hauptfriedhof, Abt. G, Wandstelle 27, das durch die noch verhältnismäßig gut erhaltene eiserne Einfriedigung und insbesondere durch die lorbeergeschmückte Bronzeplakette mit einem Porträt des Mimen auffällt. Letztere wurde 1906 vom seinerzeit prominenten und mehrfach ausgezeichneten Berliner Denkmalplastiker Prof. Johannes Boese (1856-1917) gestaltet, der wie Lobe aus Ratibor stammte.

Frank Andert

[Erstveröffentlichung in V&R 19(2008)3, S. 8-10]

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2 Kommentare

  1. Frank Köhler
    Veröffentlicht am Sa, 18. Apr. 2015 um 20:53 | Permanenter Link

    Sehr geehrter Herr Andert,
    mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel gelesen. Er hat mich neugierig gemacht. Leider habe ich keinen Kommentar, sondern eine Frage. Meiner Großmutter (Else Lobe) zufolge war Theodor Lobe ihr eigener Großvater. Meine Frage: gibt es Hinweise auf Nachkommen Theodor Lobes und wo kann ich diese Hinweise finden?
    Mit freundlichen Grüßen
    Frank Köhler

  2. Frank Andert
    Veröffentlicht am So, 19. Apr. 2015 um 00:33 | Permanenter Link

    Sehr geehrter Herr Köhler,
    vielen Dank für Ihr Interesse. Aus der Literatur ist mir über Nachkommen Theodor Lobes nichts bekannt. Die Inschriften auf seinem Grabstein in Kötzschenbroda lassen jedoch vermuten, dass Lobe verheiratet war und Kinder hatte. Neben Theodor Lobe sind in der Grabstelle (Gruft?) noch zwei Frauen bestattet: Ida Lobe geb. Burkhardt (1846-1924) – allem Anschein nach Lobes Ehefrau bzw. Witwe – sowie Suse Lobe (1870-1923), vermutlich eine unverheiratete Tochter. Da Ihre Großmutter Lobe hieß, müsste sie die Tochter eines Sohnes von Theodor Lobe gewesen sein. Wenn Sie die Lebensdaten Ihrer Großmutter und deren Geburts- und ggf. Sterbeort kennen, können Sie sich an die dortigen Standesämter um Auskunft zu ihren Eltern (Ihren Urgroßeltern) wenden. Dasselbe dann noch mal für Ihren Urgroßvater Lobe, und Sie kommen eventuell auf Theodor Lobe als Ururgroßvater. Ob diese Unterlagen erhalten sind, ist freilich Glückssache. Ich drücke Ihnen die Daumen.
    Mit freundlichen Grüßen,
    Frank Andert

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