Im Archiv gestöbert: Das erste Sanatorium der Lößnitz?

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert etablierten sich im heutigen Stadtgebiet von Radebeul zahlreiche private und öffentliche Heilanstalten, einige davon mit dezidiert naturheilkundlicher Ausrichtung. Dass Friedrich Eduard Bilz keineswegs der erste war, der auf den Gedanken kam, die klimatischen Vorzüge und landschaftlichen Reize unserer Gegend in den Dienst der Therapie zu stellen, ist bekannt. Doch wer war denn nun der erste und wo befand sich

Das erste Sanatorium der Lößnitz?

Was die Behandlung seelischer Leiden angeht, gebührt der Pionierrang wohl Dr. Friedrich Gustav Bräunlich (1800-1875), der um 1835 in Wackerbarths Ruhe eine „Privat-Irrenanstalt“ einrichtete. Bräunlich, aus Raußlitz bei Nossen gebürtig, war Absolvent der Landesschule St. Afra in Meißen, hatte in Leipzig Medizin studiert, 1825 dort über die Behandlung der Hysterie promoviert und war anschließend praktischer Arzt in Freiberg gewesen. Seit Verleihung des Kgl. Dänischen Danebrog-Ordens 1843 durfte er sich Ritter nennen, was für seinen, auf zahlreiche Veröffentlichungen gegründeten guten Ruf wie für den seiner Niederlößnitzer Privatklinik spricht. 1845 wurde diese in den Lindenhof nach Neucoswig verlegt, Dr. Bräunlich selbst wanderte 1851 nach Amerika aus. Die weitere Geschichte dieser Heilanstalt hat Petra Hamann in der Vorschau bereits ausführlich gewürdigt (V&R 9-11/2006).
Als erste Radebeuler Anstalt zur Behandlung körperlicher Leiden wird gemeinhin das auf dem Gelände der heutigen Elblandklinik, Heinrich-Zille-Str. 13, gelegene „Steinerne Haus“ (bis vor kurzem Sitz der Bethesda-Apotheke) genannt, wo der 1847 gegründete „Verein für Heilwesen und Naturkunde“ 1850 – allen polizeilichen und nachbarlichen Widerständen zum Trotz – „ein kleines Krankenhaus, besonders für Dienstboten und Unbemittelte“ eröffnete. Dabei handelte es sich um eine gemeinnützige Einrichtung, die ausschließlich durch freiwillige Beiträge und den Ertrag von Abendunterhaltungen und Konzerten finanziert wurde und auch zur Ausbildung von Krankenwärterinnen diente. In der Literatur wird als Gründungsjahr gelegentlich schon 1848 angegeben. Dagegen spricht, dass der Verein das Gebäude erst 1850 erwarb. Auch in der medizinischen Berichtszeitschrift „Notizen für praktische Ärzte“ (Berlin) wird „das ländliche Krankenhaus“ erst im Berichtsjahr 1850 als „neuerdings begründet“ erwähnt. Das Blatt stützt sich dabei auf einen der acht dem Verein angehörenden Ärzte, Dr. Otto Kohlschütter (1807-1853), der berichtet, dass „schon das erst halbjährige Bestehen dieses Krankenhauses den Beweis geliefert [habe], wie nützlich solche Krankenhäuser auch für das platte Land sind.“
Dass die erste Heilanstalt der Lößnitz ein Armenspital gewesen sein soll, ist zwar denkbar, wäre aber doch erstaunlich. Und tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass hier bereits vorher ein Sanatorium für Besserbetuchte existiert haben muss. In der Allgemeinen Medicinische Central-Zeitung (Berlin) vom 24. Februar 1847 heißt es:
„Dresden. Das Bedürfnis von Privatanstalten für bemitteltere Kranke, die ausser ihrer Behausung ärztliche Wartung und Pflege suchen, ist ein so allgemein fühlbares, dass man sich in der That über den fast noch gänzlichen Mangel derartiger Unternehmungen wundern muss. Gewiss würden viele Leidende eher und sicherer von ihren tiefer eingewurzelten Uebeln befreit werden, wenn sie Gelegenheit hätten, sich, anstatt ihre Zuflucht zu Mineralbadeorten und Kaltwasserheilanstalten zu nehmen, wohleingerichteten Instituten, in welchen sie eine ihren besondern Krankheitsumständen angepasste, möglichst allseitige ärztliche Behandlung fänden, auf kürzere oder längere Zeit anzuvertrauen. Der hiesige Arzt Dr. Paul Kadner wird nun in der nächsten Zeit eine ‚Privat-Genes-Anstalt für an langwierigen Krankheiten Leidende’ eröffnen. Da dieser äußerst gebildete Arzt schon seit Jahren dem Studium der genannten Gattung von Krankheiten mit Vorliebe obgelegen und besonders auch seine wissenschaftlichen Reisen, die sich selbst bis in den Orient erstreckten, zur Vermehrung seiner Erfahrungen benutzt hat, so ist in diesem Gebiete der practischen Heilkunde nur Vorzügliches von ihm zu erwarten. Die Aussenverhältnisse der neuen Anstalt sind von der Art, dass sie dem Zwecke auf das Vollkommenste entsprechen. Hr. Dr. Kadner hat nämlich eine Besitzung nahe bei Dresden, die zu dem in einer eben so reizend schönen als gesunden Gegend gelegenen Orte Oberlössnitz gehört, dazu erwählt und auf diese Weise dafür gesorgt, dass die Kranken die in den meisten Fällen so wesentlichen Vortheile des Landlebens neben einer rationellen ärztlichen und diätetischen Behandlung geniessen. Sie ist aber für Individuen beiderlei Geschlechts und jeden Alters, mit Ausnahme Seelengestörter, bestimmt.“
Fest steht zumindest, dass Dr. Kadner seine Ankündigung auch in die Tat umgesetzt hat. Paul Theodor Noah Kadner, geboren 1813 in Dresden, hatte in Breslau Medizin studiert und war dort 1842 mit einer Arbeit über das preußische Apothekenwesen zum Doktor der Medizin promoviert worden. In den folgenden Jahren arbeitete er als Quarantänearzt in Smyrna (heute Izmir) und in Sofia, das damals noch zum Osmanischen Reich gehörte. Seine Erfahrungen mit dem türkischen Medizinalwesen teilte er der Fachöffentlichkeit in mehreren Aufsätzen mit. In einem davon, der Anfang 1848 in der Zeitschrift für Staatsarzneikunde (Freiburg i. Br.) erschien, wird er als „Director einer Privat-Genesanstalt zu Friedrichshöhe in der Oberlössnitz bei Dresden“ vorgestellt.
Wo mag sich diese „Genesanstalt“ befunden haben? Der Name „Friedrichshöhe“ ist selbst eingefleischten Radebeulern kein Begriff, und auch die Suche in alten Adressbüchern hilft nicht weiter. Schließlich wurde ich im Weingutmuseum Hoflößnitz fündig, das einen undatierten Kupferstich mit der Bezeichnung „Friedrichshöhe in Oberlößnitz“ besitzt (siehe Abb.).
Ausgehend vom markanten „Haus in der Sonne“, auf halber Höhe links im Bild, lässt sich das Ensemble im Vordergrund als Weingut Bennostraße 41 identifizieren, heute bekannt als Haus bzw. „Villa Steinbach“. Der 2003 vom Verein für Denkmalpflege und Neues Bauen herausgegebenen Publikation über die historischen Winzerhäuser in Radebeul ist zu entnehmen, dass die rechts im Vordergrund abgebildete Villa in den 1830er Jahren für einen Kaufmann Friedrich Zembsch erbaut worden ist. Das würde die Bezeichnung „Friedrichshöhe“ erklären. Die „Denkmaltopographie Stadt Radebeul“ (2007) weiß über die Geschichte des Hauses leider herzlich wenig: „Errichtet wohl 1835 durch die Gebr. Ziller“. (Die „Gebrüder“ Moritz und Gustav Ziller waren damals noch gar nicht auf der Welt…)
Ein Grund dafür, dass Paul Kadner sein Sanatorium ausgerechnet in der Oberlößnitz eröffnete, könnten familiäre Bindungen hierher gewesen sein. In der Hoflößnitz arbeitete im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts ein Magister Johann Gottlob Kadner (1754-1832) als königlicher Bergverwalter, vielleicht ja ein Verwandter.
Die „Privat-Genesanstalt zu Friedrichshöhe“, nur einen Steinwurf vom späteren Bilz-Sanatorium entfernt, hat in dieser Form offenbar nicht sehr lange bestanden. Ihr Gründer, der zumindest 1848 auch den Vorsitz im „Verein für Heilwesen und Naturkunde in der Lößnitz“ inne hatte, verlagerte seine Aktivitäten in den 1850er Jahren wieder nach Dresden, wo er sich ganz auf die diätetische Heilkunst verlegte, 1858 einen neuen Verein für deren Freunde gründete und neben diversen Ratgebern eine populärwissenschaftliche Zeitschrift unter dem Titel „Rückkehr zur Natur“ herausgab. 1861 eröffnete er dort eine „Diätetische Heilanstalt für Bemittelte“ und ein Jahr später eine „Diätetische Klinik für Unbemittelte“.
Aus seinen Schriften ist zu entnehmen, dass Kadner ein leidenschaftlicher Verfechter der sog. „Schrothkur“ war, eines mittlerweile sehr umstrittenen Naturheilverfahrens, das auf einer radikalen Trockendiät beruht. Von der Schulmedizin wurden Kadners Lehren und Vereinsaktivitäten als „parasitische Auswüchse der modernen Heilkunst“ verspottet, und auch im naturheilkundlichen Lager stand er ziemlich verloren da. Am 7. Juli 1868 – seinem 55. Geburtstag – starb Dr. Paul Kadner in Dresden. Sein gleichnamiger Sohn (1850-1922), ebenfalls Dr. med., eröffnete übrigens vor ziemlich genau 125 Jahren in Niederlößnitz, Borstraße 9, eine private „Kuranstalt für Kranke aller Art“, die als „Dr. Kadner’s Sanatorium“ bzw. ab 1899 als „Dr. Oeders Diätkuranstalt“ bis Mitte der 1920er Jahre existierte.

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Frank Andert

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