Glossiert: Radebeul greift nach den Stern(ch)en

»Was lange währt, wird endlich gut«, sagt ein altes Sprichwort, und endlich ist es nun soweit: Endlich bekommt auch die Radebeuler Hoflößnitz ihr olympisches Highlight und kann mitspielen in der Liga von »Musikantenstadel« & Co.

Richtig so, liebe Verantwortliche: Da ist doch nun wirklich mal ein tragfähiges Konzept geboren worden. Ewig nur Karl May und Herbst und Wein muss ja auf die Dauer langweilig werden. Weg mit den alten Zöpfen und den kleinen Brötchen und her mit neuen, großen, zündenden Ideen, wie sie kürzlich in der Werbezeitung »Hoflößnitzer Sommerspiele 2010« präsentiert wurden. Dort kann man detailliert nachlesen, welch großartige Schmankerln die Tage vom 12. bis 16. August für die Besucher der Lößnitzstadt und vor allem für die Radebeuler selbst bereithalten. Unerhörtes und noch nie Gesehenes wird zu bestaunen sein: Klassik, Kabarett, Open-Air-Kino und Musical! Wann durften die Radebeuler schon mal große Kleinkunst erleben? Wann hatten sie die Möglichkeit, ein Musical zu genießen oder ein Programm mit Johann-Strauß-Melodien, von DEFA-Filmen ganz zu schweigen? Wie ein warmer Sommerregen werden diese köstlichen Gaben unsere kulturelle Wüste befruchten. Bravo!

Man legt sich ins Zeug. Ensembles von südwestsächsischem Ruf konnten gewonnen werden, zum Beispiel die Vogtlandphilharmonie mit ihrer Strauß-Gala. »Der Aufwand dies zu verwirklichen wird ein großer Kraftakt«, informiert die Zeitung. Ein paar Kommas mehr oder weniger sind egal, wenn man das »Erfolgsrezept für gute Stimmung und ein besonderes Erlebnis« gefunden hat: »Vor allem die Location mitten in den Radebeuler Weinbergen macht den Reiz dieser Veranstaltung aus.« Da capo!

Für die kulturelle Allgemeinbildung wird schon im Vorfeld einiges geleistet. So kann man aus der tief schürfenden Abhandlung »Vom Ursprung des Musicals zur größten Gala-Show auf Hoflößnitz« sogar fast halb soviel über die Entwicklung des Genres erfahren wie aus den einbändigen Taschenausgaben gängiger Universallexika. Im August ist dann auf offener Bühne mit einer regelrechten Aufklärungsoffensive zu rechnen: Das Kabarett-Solo »War das schon Sex?« mit Peter Kube »klärt endlich die wichtigste Frage von Männlein und Weiblein auf«. Endlich!

Ganz umsonst ist dieses hochkulturelle Sommergewitter natürlich nicht zu haben. Aber wer »die besten Stücke aus den schönsten Musicals in einer gigantischen Show erleben« möchte, wird gern bereit sein, dafür schlappe 45 Euro hinzublättern. »Die Vogtlandphilharmonie mit ihrem Können, mit kraftvoller Anmut und romantischer Gefühlsseligkeit« gibt’s auf den billigen Plätzen schon für die Hälfte und die »Kultfilm-Premiere« von »Paul und Paula« – Kultfilm ja, Premiere Fragezeichen – vielleicht sogar noch günstiger, also fast geschenkt.

Wer beschert uns so großzügig, wer füllt diesen »einmaligen Rahmen von Besinnlichkeit«, wie der Stiftungsvorstandsvorsitzende in seinem Vorwort »den sommerlichen Charme unserer Hoflößnitz« preist, endlich mit den passenden Inhalten? Präsentiert werden die (fast) olympischen »Sommerspiele« vom »Elbland Tourismus- und Kulturverein e. V.«. Auf dessen Internetseite erfährt man über den Verein mit dem honorigen Namen im Moment leider nicht viel mehr als: »Diese Seite ist momentan noch in Bearbeitung«. Also doch noch schnell ein Blick ins Impressum des bunten »Hoflößnitzer Musikantenstadels 2010«. Und – siehe da! – auf einmal wird klar, warum uns das Blättchen gleich von Anfang an wie eine nachträgliche Extra-Ausgabe des guten alten Radebeuler »StadtSpiegel« vorgekommen war. Dahinter steckt der gleiche echte Tausendsassa! Wer es geschafft hat, »Howie« Carpendale für ein Konzert »auf Wackerbarth« wiederzubeleben, ist auch der richtige Mann für einen Neubeginn in der, pardon: »auf Hoflößnitz«. Nur eins haben wir auf dem Werbeblättchen schmerzlich vermisst: die »Nagg’sche« auf Seite eins. Die wollen wir im nächsten Jahr wiederhaben. Wenn es »auf Hoflößnitz« wirklich soweit kommen muss…

FAZIT

[V&R 6/2010, S. 22f.]

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