Radebeuler Ehrenbürger (Teil 6): Paul Wilhelm

Nach 1933 wurde in Radebeul mit Ehrenbürgerrechtsverleihungen lange pausiert. In den Akten finden sich zwar noch zwei Vorschläge: 1934 wurde die Ehrenbürgerschaft für Zirkusgründer Hans Stosch-Sarrasani diskutiert und 1944 die für die Schriftstellerwitwe Klara May. Das NS-Regime hatte aber bereits im August 1933 »verfügt, dass künftighin nationalsozialistische Gemeindevertretungen den Antrag auf Verleihung von Ehrenbürgerrechten nur noch in ganz außergewöhnlichen Fällen stellen dürfen.« Und im Oktober 1940 wurde den Gemeinden mitgeteilt: »Nach einer Entscheidung des Führers dürfen Ehrenbürgerrechte während der Dauer des Krieges […] allgemein nicht mehr verliehen werden.« Die vorgeschlagenen Ehrungen unterblieben deshalb. – Erst mehr als ein Jahrzehnt nach Kriegsende wurde die höchste städtische Auszeichnung erstmals wieder verliehen. Der neue Ehrenbürger war diesmal kein Beamter, Politiker oder Industrieller, sondern einer der bekanntesten Künstler der Lößnitz, der Maler Professor Paul Wilhelm.

Am 29. März 1886 im thüringischen Greiz als Sohn eines Kaufmanns geboren, hatte Paul Alfred Wilhelm früh ein ausgeprägtes Interesse sowohl für die Kunst wie für Naturwissenschaften entwickelt. Nach dem Realgymnasium entschied er sich für den Künstlerberuf, bezog 1904 die staatliche Kunstgewerbeschule in Dresden und im Jahr darauf die dortige Kunstakademie, wo er bis 1912 studierte, zuletzt – zusammen mit Karl Kröner – als Meisterschüler von Gotthardt Kuehl.

Bereits 1909 entstanden in Wyk auf Föhr Bilder, welche durch die flächig gesetzten, gedämpften Farben als »typisch Paul Wilhelm« bezeichnet werden können. Im gleichen Jahr stellte er in der Berliner und Münchner Sezession aus, und als 25-Jähriger hatte er in der Galerie Emil Richter an der Prager Straße seine erste größere Einzelausstellung, durch die auch bedeutende Sammlungen auf den jungen Maler aufmerksam wurden.

Gerade in dieser Zeit wandte er sich immer mehr der Darstellung von Landschaften zu. So ist es kein Zufall, dass er der Großstadt 1911 den Rücken kehrte und in die Natur zog, ins Turmhaus des Grundhofs in Niederlößnitz. Dort wohnte er zunächst mit Wilhelm Claus und später mit Karl Kröner, bevor er 1920 mit seiner amerikanischen Frau Marion in ein eigenes Haus auf dem Gradsteg zog. Die Lößnitz wurde ihm schnell zur eigentlichen Heimat. »Ich bin oft gereist«, schrieb er 1956 und bekannte: »Wo ich auch war, ich hatte stets Heimweh nach Radebeul. Erst wenn ich vom Zugfenster die Lößnitzhöhen liegen sah, verging es.«

Paul Wilhelm, Hügellandschaft 1934

In Paul Wilhelms Oeuvre überwiegen helle, impressionistische Farben. In einer kurzen Phase nach dem I. Weltkrieg entstanden jedoch viele dunkle, melancholische Bilder. Obwohl er zu hellen und fein aufeinander abgestimmten Farben zurückkehrte, ist die stille Schwermut und Sachlichkeit von da an in all seinen Werken zu finden. Wie sein Künstlerkollege Karl Kröner widmete sich Wilhelm im Sujet vor allem den Hügeln der Lößnitzlandschaft. Bis ins hohe Alter entstanden unzählige Aquarelle, Skizzen und Ölbilder von den Weinbergmauern, Winzerhäusern und verschlungenen Wegen. Wilhelms Bilder sind trotz ähnlicher Motive und Farbwahl experimenteller und expressiver durchgestaltet – verstärkt durch einen deutlich freieren Farbauftrag, der in groben nebeneinander gesetzten Flächen die Strukturen modelliert. Ob der fein durchgebildeten Vegetation wird Wilhelm als der »Gärtner« der Lößnitz bezeichnet, wohingegen Kröner – der klaren Strukturierung und der geraden Linien wegen – eher als der »Architekt« der Landschaft gilt.

Paul Wilhelm unternahm immer wieder ausgedehnte Reisen und brachte vor allem aus England und Italien viele Impressionen mit. Seine Aquarelle von der Amalfiküste, aus Pompeji oder vom Albaner See haben einen vergleichsweise strengen Bildaufbau und sind zugleich von einer lebendigen Farbigkeit. Die englischen Bilder der 30er Jahre waren konstruktiv noch stärker durchgestaltet, es überwogen jedoch Grau- und Brauntöne.

Enge Wegbegleiter von Paul Wilhelm waren neben Kröner Johannes Beutner, Hans Jüchser, Fritz Winkler, Erich Fraaß und Otto Griebel, mit denen er sich 1932 zur Gruppe der »Aufrechten Sieben« zusammenschloss. Zu deren Treffen kamen gelegentlich auch Josef Hegenbarth und Theodor Rosenhauer. Der Zusammenschluss fand nicht primär aus künstlerischen Gründen statt, sondern um eine Verbindlichkeit für Treffen und Wanderungen zu schaffen, auf denen man sich unbeobachtet über die Geschehnisse der Zeit austauschen konnte. Während der NS-Zeit zog sich Paul Wilhelm noch stärker auf das politisch neutrale Genre der Landschaftsmalerei zurück. Entkommen konnte er den Zeitläuften nicht, 1944 wurde er mit 58 Jahren noch zur Kriegsmarine eingezogen und kehrte erst Ende 1945 aus englischer Gefangenschaft nach Radebeul zurück, um sich sofort wieder an die schöpferische Arbeit zu machen.

Paul Wilhelm, Selbstbildnis mit Hut (Städt. Kunstsammlung Radebeul)

Auch nach dem II. Weltkrieg knüpfte Paul Wilhelm, 1946 in Dresden zum Professor ernannt, wieder an die nachimpressionistische »Schöne Malerei« an. Weder thematisierte er die Geschehnisse der vergangenen Jahre, noch wendete er sich der proletarisch-revolutionären Malerei zu. Es war sein Freund Karl Kröner, der sich dafür engagierte, dass die Werke der »Sieben« der Öffentlichkeit präsentiert wurden, und 1948 gab es zum ersten Mal eine Überblicksausstellung zu Wilhelms Schaffen in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Kröner resümierte damals: »Gehaltvolle Malerei […] ist sein Programm von jeher gewesen. Magische und verklärende Elemente spielen dabei eine entscheidende Rolle; ein seltsamer Himmel, ein die Dinge verzauberndes Licht.« 1956 wurde Wilhelm als erster Maler der DDR durch eine Ausstellung in der Nationalgalerie der Staatlichen Museen in Berlin geehrt. Ebenfalls aus Anlass seines 70. Geburtstags verlieh ihm die Stadt Radebeul im selben Jahr das Ehrenbürgerrecht.

Anfang der 60er Jahre schwanden seine Kräfte so sehr, dass sie nicht mehr für Ölgemälde reichten. Es entstanden fast ausschließlich Aquarelle, da sie in verhältnismäßig kurzer Zeit auszuführen waren. In seinem ganzen Schaffen ist Paul Wilhelms Stil immer weiter gereift. Sein Alterswerk ist nun die Essenz von allem. Dunkle Linien beherrschen das Bildgefüge, die Einzelformen schwinden. Die Farben nähern sich noch mehr an als zuvor, werden noch erdiger und dunkler. Thematisch in den Vordergrund rückte einerseits sein geliebter Rittersporn – seit 1925 hatte sich Wilhelm dessen Zucht verschrieben – und andererseits die Verarbeitung der Eindrücke der Italienreisen der frühen 20er Jahre. Anders als auf den 1922/23 entstandenen Aquarellen leuchteten die umbrischen Landschaften, Neapel, Rom und der Gardasee im Spätwerk nicht mehr, die Lichtreflexe fielen weg – stattdessen überwogen die schwarzen Linien, die feste Komposition und die harmonischen Farben.

Am 23. Oktober 1965 starb Paul Wilhelm in Radebeul. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Friedhof an der Johanneskapelle. 1967 wurde die frühere Brühlstraße ihm zu Ehren in Professor-Wilhelm-Ring umbenannt.

Annelie Krause

Anlässlich seines 125. Geburtstages findet 2011 in der Stadtgalerie Radebeul eine Paul-Wilhelm-Ausstellung statt; Vernissage ist am 18. März.

[V&R 9/2010, S. 17-20]

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