Ein Jahrhundert »Im Zeichen des Traubenadlers«

Wer ein Ideal vor Augen hat, der hält es hoch, auch über alle Kriegswirren und Krisen hinweg. Die Qualität »großer« deutscher Weine ist so ein Ideal, und davon erzählt das neue, aus Anlass des 100. Gründungsjubiläums der Vorgängerorganisation des Verbandes Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter e. V. (VDP) entstandene Buch von Dr. Daniel Deckers. Der Weinliebhaber und FAZ-Redakteur beschränkt sich – und das ist schon Stoff genug – auf ein Jahrhundert Weinanbau und Vermarktung, etwa von 1900 bis 2000. Wesentliche Aspekte dabei sind: Der Riesling vom Rhein, die Vermarktung in schwierigen Zeiten, die »Blut und Boden«-Ideologie im Weinbau der NS-Zeit, die Rolle der jüdischen Weinhändler, der Wiederaufbau nach den Kriegen und die deutschen Weingesetze.

Cover (Verlag)

Das symbolträchtige Wappentier, das auf dem Titel des Buches prangt, hat sich auch der VDP zum Logo auserkoren, nicht zufällig, steht der VDP doch in der Tradition des 1910 gegründeten »Verbandes Deutscher Naturweinversteigerer«, und auch der hatte bereits den Adler im Wappen. Der Begriff »Naturwein« (auch »Kreszenz«) weist übrigens auf den Verzicht auf die Zuckerzugabe bei der Weinherstellung hin, ist aber seit der Weingesetz-Novelle von 1971 offiziell nicht mehr zulässig, aber das ist schon wieder ein anderes Thema. Jedenfalls galt es lange Zeit als nationale Pflicht, deutschen Wein und nicht den der ausländischen Konkurrenz (Frankreich) zu trinken, daher gehören Wein und Wappentier zusammen. Im Vorwort heißt es: »Über Preußen, das Reich und das Rheinland kam der Adler auf den Wein: schwarz und stolz, das Gefieder gespreizt, eine Traube im Schilde…« Inzwischen ist das Zeichen des Trauben haltenden Adlers zwar in seiner Darstellung modern stilisiert, wirkt aber (auf mich zumindest) immer noch staatstragend und wuchtig.

Ausführlich schildert Deckers, wie vor gut hundert Jahren der internationale Aufstieg deutscher Spitzenweine begann: mit Versteigerungen der »naturreinen Edelgewächse«, vornehmlich aus dem Rheingau, der Rheinpfalz und Rheinhessen, aber auch von Mosel, Saar und Ruwer. Der Weinhandel zahlte höchste Preise und auf den handgeschriebenen Weinkarten der renommiertesten Hotels, Clubs und Luxusdampfer waren deutsche Kreszenzen zu finden. Mit dem Ersten Weltkrieg, als die Lebensmittel rationiert wurden und die Menschen Hunger litten, fehlte es auch in den Weinbergen an vielem, berichtet der Autor, doch die Erlöse für die Winzer sollen vergleichsweise gigantisch gewesen sein; deshalb war die Not in den Anbaugebieten des Weines »um einiges geringer als in den großen Städten des Reiches«.

Überhaupt war das Auf und Ab der Weinwirtschaft eng mit der an Brüchen reichen deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert verwoben. Hier nur zwei absurde Ereignisse als Beispiel: Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, Ende August 1939, trafen sich Delegationen aus 24 Ländern in Bad Kreuznach zum 1. Internationalen Weinbaukongress, hielten Vorträge und machten nichts ahnend eine fröhliche Dampferfahrt auf dem Rhein, während Außenminister von Ribbentrop und Molotow den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt unterzeichneten. Oder: Deckers berichtet von dem jüdischen Weinhändler Leo Levitta aus Wiesbaden (genannt »die beste Weinzunge«), der 1918 noch auf Einladung der königlich-preußischen Verwaltung die besten Weine in knappen Worten beschrieben und für die Versteigerung taxiert hatte. Selbst zu Beginn des Zweiten Weltkriegs brauchte man jüdische Weinhändler wie ihn noch, um Devisen zu bringen und sich mit köstlichen Tropfen einzudecken, aber 1943 wurde auch Levitta in Auschwitz ermordet.

Deckers wartet mit einer Fülle von Fakten auf, die sicherlich nicht nur Weinkenner und Historiker interessieren dürften, beispielsweise, seit wann überhaupt Wein in Abgrenzung zu anderen Getränken definiert wurde (1901), oder dass nicht nur die Reblaus, sondern auch die Landflucht (Abwanderung) und die Bevölkerungsentwicklung (Nachwuchsmangel, besonders nach Kriegen) zur Aufgabe vieler Weinanbauflächen führte. Auch das Anekdotische kommt nicht zu kurz.

Für uns Radebeuler ist natürlich wichtig zu wissen, welche Rolle das sächsische Anbaugebiet in der »Geschichte des deutschen Weins« (so der Untertitel des Bandes) spielt. Immerhin feiern wir 2011 ja bereits 850 Jahre Weinbau in Sachsen. Um unsere Region macht das gut recherchierte, unterhaltsam zu lesende und mit zahlreichen Illustrationen edel aufgemachte Buch allerdings leider einen Bogen. Aber schließlich kam – wenn man der Darstellung nolens volens folgt – im vorigen Jahrhundert auch kein internationaler Spitzenwein aus Sachsen. Das könnte sich aber ändern. Inzwischen sind zwei sächsische Weingüter Mitglied im VDP: Schloss Proschwitz mit Georg Prinz zur Lippe und Klaus Zimmerling aus Dresden-Pillnitz. Beide Winzer waren übrigens auch bei der Buchvorstellung Ende November in Dresden anwesend.

Karin Funke

Daniel Deckers: Im Zeichen des Traubenadlers. Eine Geschichte des deutschen Weins. Mainz: Verlag Philipp von Zabern, 223 S., 29,90 €.

[V&R 1/2011, S. 11f.]

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