… endlich frei!
Wer dächte nicht manchmal jenes Stoßseufzers aus jungen Tagen! Manchem Ungeduldigen erschien der Schritt in die Freiheit wie der Sprung eines Löwen durch den Feuerreif in eine neue Welt. Drüben wartete meist die mehr oder weniger große Enttäuschung – jedenfalls verlor das Älterwerden recht schnell seinen Glanz. Dennoch bleibt eine Faszination mit dem Datum verbunden, die Erinnerung an einen schönen Traum.
In dem nun angebrochenen Jahr 2011 wird der verein für denkmalpflege und neues bauen radebeul e.v. seinen 18. Geburtstag feiern. Er muß dazu durch keinen Reifen springen – vom ersten Tage an hatte er immer wieder Gelegenheit, Reife zu beweisen. Auch wenn das nicht in jedem Falle gelungen ist, kann er doch voll Stolz den Rückblick wagen. Seine Beiträge zur Stadtkultur sind deutlich breiter gefaßt als nur die gleichnamige Veröffentlichungsreihe in der Sammelmappe. Stets geht, stets ging es um den besonderen Charakter der Stadt, stets geht, stets ging es um Stadtkultur…
Stadtkultur…
Als Dr. Dieter Schubert im Gründungsverfahren den etwas umständlichen und eigentlich viel zu langen Namen vorschlug, mag ihm Goethe über die Schulter geblickt haben (»Ältestes bewahrt mit Treue, Freundlich aufgefaßtes Neue«), und beide hatten sie dabei tatsächlich die Stadtkultur im Blick, als Inbegriff alles dessen, was durch die Menschen geschieht.
Dabei wird Kultur als etwas angesehn, das Mühe macht, etwas immer wieder auch Gefährdetes, Unstetes, hin und wieder sogar Unzuverlässiges – also etwas zutiefst Menschliches. Wenn es anders wäre, hätte es die Plattenbauten an der Wasastraße und deren neuere Adaptionen gegenüber und an der Hauptstraße gar nicht geben dürfen. Kultur, auch Stadt- und erst recht Baukultur reagiert sehr sensibel auf gesellschaftliche Befindlichkeiten. Wie bei einer roten Nase, die Ausdruck sein kann fröhlichen Genusses, fürchterlichen Schnupfens oder einer Faschingslaune, ist da nicht immer von vornherein eine Bewertung vorzunehmen: hat sie das gewünschte Niveau, die Kultur, erklimmt sie ungeahnte Höhen oder verfällt sie gar? Auch in scheinbarer Morbidität kann der Keim für etwas Neues liegen, das freundlich aufzufassen lohnt.
Damit ist das Wagnis angedeutet, das die Gründungsmitglieder auf sich genommen und an die vielen Hinzugekommenen weiterverteilt haben. Das größte Verdienst liegt dabei wohl darin, Fragen gestellt und Diskussion angeregt zu haben.
Geburtstage verleiten dazu, überm Rückblick ins Schwafeln zu geraten. Auch wenn es ein paar mehr sein könnten: Noch hat der Verein aber genug Enthusiasten in seinen Reihen, daß immer etwas geschieht – so wird’s, sind erst der Worte genug gewechselt, auch 2011 wieder Taten geben.
Vielleicht sehen wir uns ja bei dieser oder jener Gelegenheit, vielleicht gar im Verein: Kultur braucht Mittäter; aufs Alter kommt’s dabei gar nicht an.
Thomas Gerlach
[V&R 1/2011, S. 5f.]