Was wertvoll ist, ist rar und teuer. Das stimmt meist, aber nicht immer. Zum Beispiel der grün gepunktete Verpackungsmüll, der sich in atemberaubender Schnelle im Haushalt ansammelt. Für die Recycling-Unternehmen ist er wertvoll, aber rar ist er nicht, und teuer wird er für mich nur, wenn ich ihn, obwohl ich beim Einkauf bereits für seine Entsorgung bezahlt habe, in meine (teure) Restmülltonne schmeiße. Doch dafür gibt’s ja zum Glück die Gelben Säcke. Die Frage ist nur: Wo gibt es die? Stets aufs Neue begebe ich mich auf die Suche nach diesen raren (und ergo wertvollen) Behältnissen, und immer wieder fallen mir dabei die Ritter der Tafelrunde ein und ihre Suche nach dem Heiligen Gral…
Bei Eisenwaren Lindner in der Bahnhofstraße bekomme ich flüsternd einen Geheimtipp: »Die Säcke werden am Montag Nachmittag geliefert, am Mittwoch sind sie immer schon weg. Also am besten dienstags nachfragen!«. Ich denke an Bückware aus seligen DDR-Zeiten, Karl-May und Erotika unterm Ladentisch, und fühle mich fast schon wie das Mitglied in einer Verschwörung. Die nächste Station ist der Vita-Markt gegenüber der Aral-Tankstelle. Mit »leider nein« muss auch dort der Verkäufer absagen, empfiehlt mir aber stattdessen frische gelbe Paprikaschoten. Immerhin, die Farbe ist ähnlich, doch nicht die Funktion. Im Rathaus gibt es auch Gelbe Säcke, zu den behördlichen Öffnungszeiten, versteht sich. Heute ist die Tür leider verschlossen. Auf der (gelben!) Liste, die ich mal im Landratsamt Meißen zu fassen bekam, steht noch eine Adresse in Wahnsdorf. Soll ich durch den Schnee extra nach Wahnsdorf hochfahren, wo ich doch sonst mein Auto stehen lasse? Das wäre dann doch Wahnsinn!
Ich lasse Folien und Milchtüten, Quark- und Joghurtbecher also erst einmal heimlich und mit schlechtem Gewissen im Restmüll verschwinden und verschiebe meine Suche nach den heiligen Säcken auf einen Dienstag, einen langen Dienstag, wie er in der Sprache der Verwaltung heißt – und siehe da, das Glück ist mir hold. Feierlich wird mir im Erdgeschoss des Rathauses eine gelbe Sackrolle überreicht, verziert mit rotem Gummiband. Warum nicht 2, 3 oder 4? Auch daran ist der Wert der Säcke erkennbar, dass man damit haushalten muss, und kürzlich hatte es ja auch in der Zeitung gestanden, dass das vom Dualen System gnädig zugemessene Jahresdeputat im ganzen Kreis praktisch erschöpft sei. Unverfroren bitte ich trotzdem um drei Rollen, denn ich hätte noch meine Nachbarn mit zu versorgen, fällt mir spontan ein. Wieder habe ich Glück.
Mit stolz geschwellter Brust komme ich mit den Säcken nach Hause und lege, aus der Lüge Wahrheit machend, wie ein Nikolaus zwei der wertvollen Rollen heimlich vor den Nachbarstüren ab. Eine bleibt mir – wie lange sie wohl reichen wird? Was danach kommt, ist sicher, dann geht sie wieder los, die Suche…
Karin Funke
[V&R 1/2011, S. 25]