Das historische Porträt: Johann Peter Hundeiker (1751-1836)

»Er war ein edler und hoher Geist, welcher in seinem engeren Kreise, wie für die Welt, Gutes wollte und that«. So beginnt der Lebensabriss, mit dem der ›Neue Nekrolog der Deutschen‹ (14. Jg., 1838) den herzoglich braunschweigischen Edukationsrat Dr. Johann Peter Hundeiker würdigte, der vor 175 Jahren, am 2. Februar 1836 »zu Friedstein bei Dresden« starb. Mit Friedstein ist das damals noch nicht in Alt- und Neu- geteilte Weingut bei Kötzschenbroda gemeint, wo Dr. Hundeiker die letzten gut anderthalb Jahrzehnte seines Lebens verbracht hatte. Und dass dieser Wohltäter im Großen und Kleinen eine seinerzeit bedeutende Persönlichkeit war, wird schon daran deutlich, dass sein Nachruf im ›Nekrolog‹ den exakt gleichen Umfang hatte wie der auf den wenig später verstorbenen sächsischen König Anton im gleichen Band.

An der Wiege war Hundeiker diese Ehre noch nicht gesungen worden. Die hatte im Hause des Krämers von Groß Lafferde gestanden, eines stattlichen Bauerndorfs auf halbem Wege zwischen Braunschweig und Hildesheim, wo Hundeiker am 29. November 1751 geboren war und bis 1804 ansässig blieb. Nur während der Schulzeit hatte der hochbegabte Knabe sein Dorf für einige Jahre verlassen müssen. Was er in dieser Zeit an der Braunschweiger Waisenhausschule und der Stadtschule von Peine erlebte, prägte seinen Entschluss, selbst Lehrer zu werden, und zwar ein guter – kein Pauker mit dem Rohrstock, sondern ein Erzieher und Förderer der Jugend im besten Sinne des Wortes. Zunächst musste er sich aber dem Kaufmannsberuf widmen. Ein Universitätsstudium lehnte sein Vater kategorisch ab, so dass sich Hundeiker – von der Mutter und wohlmeinenden Gönnern unterstützt – nur »in den Stunden der Nacht beim Schein eines dürftigen Lämpchens […] mit unermüdlichem Fleiße« durch Lektüre selbst weiterbilden konnte. Insbesondere philosophische und pädagogische Autoren hatten es ihm angetan, darunter Moses Mendelssohn, Jean-Jacques Rousseau und Johann Bernhard Basedow.

Die zufällige Bekanntschaft mit dem herzoglichen Leibmedikus Dr. Carl Gottlieb Wagler in Braunschweig brachte Hundeiker dann in Kontakt sowohl mit der vornehmeren Welt wie auch mit einflussreichen Protagonisten der (Volks­)Aufklärung und des Philanthropismus wie Friedrich Eberhard v. Rochow, Joachim Heinrich Campe, Christian Wilhelm v. Dohm und dem bewunderten Basedow selbst. Letzterer fand Gefallen an dem jungen Mann und hätte ihn gern als Lehrer an sein 1774 gegründetes Philanthropin in Dessau verpflichtet. Doch obwohl Hundeiker in Dessau, wo er 1778 u.a. auch den zufällig anwesenden hessischen Nachwuchsdichter J. W. Goethe kennenlernte, beste Voraussetzungen geboten wurden, lehnte er ab, kehrte nach Groß Lafferde zurück und führte mit Rücksicht auf die Familie den 1775 vom Vater geerbten Laden weiter. Daneben aber bemühte er sich aktiv um die Vermittlung aufklärerischen Gedankengutes an die Bauern der Umgebung, erwarb sich dabei große Achtung und übernahm schließlich auch noch unentgeltlich die Leitung der örtlichen Dorfschule, die er in wenigen Jahren zu einem musterhaften und fortschrittlichen Institut umgestaltete.

Sein guter Ruf als Pädagoge führte dazu, dass Hundeiker nachgerade bedrängt wurde, auch Knaben aus »besseren Kreisen« als Schüler anzunehmen, was er nach der Gründung einer eigenen Familie – 1783 heiratete er eine »gebildete Pfarrerstochter« aus seiner Gegend – auch tat. Der Andrang war so groß, dass er sich bald darauf entschloss, den Krämerberuf ganz an den Nagel zu hängen und im eigenen Haus eine private Erziehungsanstalt aufzubauen. Schnell hatte Hundeiker an die 30 Zöglinge aus aller Herren Ländern, und die öffentlichen Blätter waren voll des Lobes für seine fortschrittlichen Lehr- und Erziehungsmethoden. So fand die von ihm propagierte Lautiermethode, die den Kindern das Lesenlernen erleichterte, weite Verbreitung, und seine dafür entwickelte Fibel wurde zum Vorbild einer ganzen Lehrbuchgattung. 1804 wurde auch der regierende Herzog auf Hundeiker aufmerksam, verlieh ihm den Ratstitel und stellte ihm sein in der Nachbarschaft gelegenes Lustschloss Vechelde unentgeltlich als neues Schuldomizil zur Verfügung.

Das bis zuletzt wegen seines beispielhaften, praxisorientierten Realienunterrichts und seiner hervorragenden Lehrkräfte (in Anlehnung an das von Christian Gotthilf Salzmann 1784 gegründete thüringische Pendant) als »braunschweigisches Schnepfenthal« geschätzte Hundeikersche Institut bestand bis 1819, hatte in dieser Zeit aber durch die napoleonischen Kriege und die unstete Haltung wechselnder Obrigkeiten manche Krise auszustehen. Mit der fürstlichen Protektion war es schon nach dem Tod von Herzog Karl II. Wilhelm Ferdinand zu Braunschweig und Lüneburg (der zwar ein Herz für die Bildung hatte, als Oberbefehlshaber der preußischen Truppen in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt aber eine krasse Fehlbesetzung war und diesen Ausflug in die Weltgeschichte mit dem Leben bezahlte) Ende 1806 vorbei. Um die Schule zu retten, musste der nicht eben reiche Hundeiker Schloss Vechelde 1811 endlich sogar kaufen. Diese Transaktion wurde nach dem Ende der napoleonischen Ära von der neuen herzoglichen Regierung angefochten, was langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen und für den fast 70-jährigen Institutsleiter reichlich Kränkungen und Kummer mit sich brachte. Schließlich resignierte er und zog in die Lößnitz, wo eine und bald sogar zwei seiner Töchter in guten Verhältnissen lebten.

Seine zweite Tochter Elise war mit dem Leipziger Kaufmann Ludwig Pilgrim verheiratet, seit 1816 Besitzer des Weinguts Friedstein, der 1818 zusätzlich noch das Mohrenhaus erworben hatte. Die geistreiche Elise, die selbst auch als Dichterin hervortrat, wurde 1823 übrigens die Taufpatin der später berühmten, auf Wackerbarths Ruhe geborenen Schriftstellerin Elise Polko. Hundeikers älteste Tochter Emilie hatte den vermögenden Kaufmann Georg Schwarz geheiratet, einen engen Freund des russischen Zaren Alexander I., der sich seinerseits – während eines längeren Aufenthalts des Paares in St. Petersburg – unsterblich, aber vergeblich in Emilie verliebt haben soll. (Elise Polko hat den Stoff 1866 zur Novelle »Am Teetisch einer schönen Frau« verarbeitet.) Schwarz, der Namenspatron von »Schwarzes Teich«, bezog um 1820 mit seiner Familie das Herrenhaus Altfriedstein, das er später von seinem Schwager Ludwig Pilgrim auch käuflich erwarb, und gehörte in Hundeikers Todesjahr gemeinsam mit Pilgrim zu den Gründern der »Fabrik moussirender Weine« (später Sektkellerei Bussard).

Der Lebensabend in der Lößnitz gestaltete sich für Johann Peter Hundeiker freudevoll und fruchtbar. Im Lang’schen Erziehungsinstitut auf Wackerbarths Ruhe fand er bis zu dessen Auflösung 1823 ein neues pädagogisches Betätigungsfeld. Auch die Schriftstellerei – schon seit den 1770er Jahren hatte er zahlreiche Aufsätze und (Kinder-)Lieder sowie mehrere Erbauungsbücher veröffentlicht – nahm er wieder auf. (»Besonders fand den verdienten Beifall sein ›Festbuch für gebildete Nachtmahlsgenossen‹ und sein ›Weiheschenk für junge Christen.‹ 2 Thle. 1821 und 1823. Günstige Beurtheilungen erhielten auch sein[e] 1824 erschienenen ›Lichtstrahlen aus den Tempelhallen der Weisheit‹ und seine ›biblischen Feierstunden.‹ 1829 und 1830.«) Hundeikers geliebte Bibliothek fand ihren Platz im noch heute existierenden Winzerhaus Am Jacobstein 2 (»Ein freundliches Häuschen, in der Mitte eines heitern Gartens«), das seine Schwiegersöhne eigens als Ruhesitz für ihn neu aufgebaut haben sollen.

Seiner Gewohnheit gemäß ging Hundeiker noch im hohen Alter täglich zwei bis drei Stunden durch die Berggassen der Lößnitz spazieren und nahm am gesellschaftlichen Leben tätigen Anteil. Neue Freundschaften wurden geknüpft, so zum 1824 ins Amt eingeführten Kötzschenbrodaer Pfarrer und Poeten Johann Gottlob Trautschold (1777-1862), der ihm mehrere Gedichte widmete. Auch zu den geistigen und künstlerischen Zirkeln der Residenz ergaben sich vielfältige Beziehungen.

Edukationsrat Hundeiker muss zeitlebens eine überaus markante Erscheinung gewesen sein; auf den Dichter Jean Paul (Friedrich Richter), der für Hundeikers Tochter Elise schwärmte und deren Vater 1825 besuchte, machte dessen Menschenkenntnis und sicherer Blick einen tiefen Eindruck, und Geheimrat Goethe erinnerte sich noch nach einem halben Jahrhundert mit warmen Worten an die Begegnung von 1778. Vielleicht hatte der Dichterfürst ja auch die Hand dabei im Spiel, dass die Universität Jena Hundeiker zum 80. Geburtstag 1831 den Ehrendoktortitel verlieh. Am 29. Juli 1833 wurde Hundeiker dann noch die Freude zuteil, in Kötzschenbroda die eigene Goldene und die Hochzeit seiner ältesten Enkelin zu feiern; Freund Trautschold sorgte mit einer aus diesem Anlass publizierten Gelegenheitsschrift dafür, das Ereignis der Nachwelt zu überliefern.

Ein in der Lößnitz entstandenes Bleistiftporträt des Dresdner Akademieprofessors Karl Christian Vogel von Vogelstein zeigt Johann Peter Hundeiker im Oktober 1834 als rüstigen Greis mit geistvollen Zügen im Bewusstsein eines erfüllten Lebens. Zu diesem Zeitpunkt waren von seinen insgesamt zwölf Kindern nur noch fünf am Leben, sechs waren schon im frühen Kindesalter verstorben. Entgegen dem Sprichwort, das besagt, Lehrers Kinder würden selten oder nie gedeihen, machte der Hundeikersche Nachwuchs dem Vater, nebenbei bemerkt, alle Ehre; zwei der Töchter sind schon erwähnt worden, der älteste Sohn Julius wurde Pfarrer und verfasste mehrere gern gelesene Romane, der zweite Sohn Wilhelm brachte es nach der Promotion zum angesehenen Direktor der Bremer Handelsschule.

Seine letzte Ruhe fand Johann Peter Hundeiker 1836 auf dem Kötzschenbrodaer Friedhof. Sein Grab ist längst verschwunden, ebenso wie offenbar auch die Lutherbüste, die der nach jugendlichen Anfechtungen geläuterte, tief gläubige Christ der Gemeinde zum 300. Jubiläum der Augsburgischen Konfession 1830 zum Geschenk gemacht hatte und die, wie alte Fotos beweisen, noch im frühen 20. Jahrhundert einen Ehrenplatz in der Kötzschenbrodaer Kirche einnahm.

Frank Andert

[V&R 2/2011, S. 9-13]

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Ein Kommentar

  1. Veröffentlicht am Mo, 18. Aug. 2014 um 20:52 | Permanenter Link

    Herzlichen Dank, für diesen kurzen informativen Artikel. Ein kleines Vergnügen etwas mehr über meinen 5-fachen Urgrossvater zu erfahren.

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