»Auf der Flucht erschossen«

Nach Kriegsausbruch holten die Nationalsozialisten Millionen von Zwangsarbeitern aus den von ihnen besetzten Ländern, vor allem aus dem Osten. Zwangsarbeit nutzten sie aber schon vor dem Krieg, wenn auch noch nicht in diesem Ausmaß. Zwangsarbeiter konnten sie zu dieser Zeit jedoch nur in Deutschland rekrutieren. Davon betroffen waren auch Radebeuler Bürger. Das soll am Schicksal des Schlossers Albert Eulitz dargestellt werden. Dazu ist eine kurze Einleitung erforderlich.

1936 begannen die Nationalsozialisten, das System der Konzentrationslager aufzubauen, die die seit 1933 bestehenden politischen Schutzhaftlager ablösten. Mit ihnen wurde die Verfolgungspolitik erweitert, um nichtpolitische »Gegnergruppen« zur Umsetzung ihres »sozialhygienischen« und rassistischen Konzepts. Organisatorisch wurden die KZ der SS unterstellt. Mit Erlass des Reichsinnenministers Frick vom 14. Dezember 1937 fand die bereits seit 1933 angewandte polizeiliche Vorbeugehaft ihre formalrechtliche Regelung und ihre Ausdehnung auf so genannte »Asoziale«. 1 Nun wurde von Heinrich Himmler (Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei) erstmals der Einsatz von KZ­-Häftlingen zur Zwangsarbeit geplant. Er bot an, für die Monumentalbauten des Regimes die benötigten Baustoffe zur Verfügung zu stellen und gründete dazu die SS-eigene »Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH« zum Betrieb von Ziegelwerken und Steinbrüchen. Die Standortwahl für neu errichtete Konzentrationslager war nunmehr auch davon abhängig, ob in unmittelbarer Nähe ein ergiebiger Steinbruch lag oder Tonvorkommen vorhanden waren. 2 Zunehmend wurden die planmäßig vorbereiteten Verhaftungsaktionen wirtschaftlich motiviert, zur Gewinnung von Sklavenarbeitern. Auch für militärische SS-Produktionsstätten im Zuge der Kriegsvorbereitung spielte Zwangsarbeit eine immer wichtigere Rolle. 3

Die zwei Verhaftungswellen von »Asozialen und Arbeitsscheuen« Ende April und Mitte Juni 1938 dienten demnach sowohl dem »Schutz der Volksgemeinschaft« als auch der Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften. Jeder, der seinen Dienst an der »Volksgemeinschaft« nicht erfüllte, sollte in Schutzhaft genommen werden dürfen. Die Definition, wer darunter zu fassen sei, war nicht eindeutig, sodass die Gestapo-Dienststellen Handlungsspielraum hatten. Das konnten Arbeitslose sein oder Menschen, denen vorgeworfen wurde, die verlangte Arbeitsleistung nicht zu erbringen. 4 Schon am 26. Januar 1938 hatte Himmler angeordnet, die Festnahme aller arbeitsfähigen Männer vorzubereiten, »die nachweisbar in zwei Fällen die ihnen angebotenen Arbeitsplätze ohne berechtigten Grund abgelehnt oder die Arbeit zwar aufgenommen, aber nach kurzer Zeit ohne stichhaltigen Grund wieder aufgegeben haben«. Sie galten als »asozial«. 5

Betroffen von diesem umfassenden und überraschenden Zugriff waren auch Radebeuler Bürger. Im Totenbuch des im Sommer 1937 errichteten Lagers Buchenwald findet sich der Name des Schlossers Albert Eulitz, geboren am 4. Februar 1883 in Dresden, wohnhaft gewesen Radebeul, Stosch-Sarrasani-Str. 40a (heute Gartenstr.). Er wurde Ende April im Rahmen der Verhaftungsaktion »Arbeitsscheu Reich« (ASR) verhaftet und kam mit einem Sammeltransport der Kripo Dresden am 30. Mai 1938 in das KZ Buchenwald. Auf der gleichen Seite des Einlieferungsbuches steht ein weiterer Name eines Radebeulers. Wie viele insgesamt aus Radebeul von der Aktion betroffen waren, bedarf noch der Nachforschung. Eingesetzt wurden die »ASR-Häftlinge« vorwiegend zu schwerer körperlicher Arbeit in Schachtkommandos oder im Steinbruch. 6

Zurück zu dem damals 55-jährigen Albert Eulitz. Ob bei seiner Verhaftung auch andere Gründe eine Rolle spielten? Der Willkür waren kaum Grenzen gesetzt. Eulitz war Funktionär in der SPD gewesen. Ein Eulitz war Ende 1892 Mitbegründer der Ortsgruppe der SPD im damaligen Serkowitz. Ob und wie Albert Eulitz mit ihm verwandt war, ist noch festzustellen. Albert Eulitz überlebte in Buchenwald nur wenige Tage. Am 2. Juni 1938 wurde er »auf der Flucht erschossen«. Fiel er einem schießwütigen Wachmann zum Opfer, suchte er den Tod oder wollte er unbedacht eine scheinbar günstige Gelegenheit nutzen? Eine vorbereitete, organisierte Flucht war nach dieser kurzen Zeit im Lager kaum möglich. Seine Lagernummer 4636 wurde noch dreimal vergeben. Zuletzt 1944 an einen 16-jährigen Russen.

Wolfgang Tarnowski

[V&R 3/2011, S. 2f.]

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  1. Zwangsarbeit. die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg. Weimar 2010, S. 183.
  2. Karin Orth: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Zürich 2002, S. 47f.
  3. Carsten Dams und Michael Stolle: Die Gestapo. München 2008, S. 124.
  4. Ebenda, S. 123.
  5. Zwangsarbeit (wie Anm. 1), S. 72.
  6. Ebenda.
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