Zur neuen Sonderausstellung der Hoflößnitz
Mit der Eröffnung der Sonderausstellung »850 Jahre Weinbau in Sachsen« ist am 3. Juli auch das »Sächsische Weinbaumuseum« Hoflößnitz ins Weinbaujubiläumsjahr 2011 gestartet. Um es vorwegzunehmen: Die Ausstellung ist unbedingt sehenswert, auch wenn der etwas phantasielos auf den Anlass bezügliche Titel einmal mehr eine Nummer zu groß geraten ist, scheint er doch eine umfassende weinbaugeschichtliche Schau zum Jubiläum zu versprechen. Stattdessen erwartet den Besucher eine kleine und großenteils feine Exposition von kunst- und kulturgeschichtlichen Zeugnissen rund um den sächsischen Wein aus den letzten (Pi mal Daumen) 500 Jahren.
Gezeigt wird sie im Erdgeschoss des ehemals kurfürstlichen Berg- und Lusthauses und ersetzt damit den Kern der bisherigen Dauerausstellung. Neben der Eingangshalle, in der einzig ein frisch restauriertes koloriertes Exemplar des »Winzerzugs« von Moritz Retzsch als Blickfang zur Geltung kommt, werden sogar nur die drei kleineren, nach Süden gelegenen Räume benutzt. Dort freilich präsentiert die Hoflößnitz, was sie zu bieten vermag.Das in zartem Blau gehaltene erste Kabinett soll die Anfänge des sächsischen Weinbaus beleuchten. Dieses Kapitel stellte die Kuratoren vor die größten Probleme, denn bekanntlich liegen diese Anfänge im Dunkeln und präsentable Zeugnisse gibt es einfach nicht, zumindest nicht im Depot der Hoflößnitz. Gezeigt werden deshalb neben zwei Urkundenfaksimiles (auf die von 1161 wurde absichtlich verzichtet) einige schöne Bruchstücke aus dem Depot des Landesamts für Archäologie, darunter Werkzeuge, Trinkgefäße und Haushaltsgegenstände mit Weinmotiven, die bei Ausgrabungen in Dresden in den letzten Jahren zum Vorschein kamen und belegen, dass sich der Rebensaft auch in der frühen Neuzeit schon großer Beliebtheit erfreute.
Bei der Gestaltung der beiden übrigen Räume konnte dagegen aus dem Vollen geschöpft werden. Der mittlere Saal ist der Blütezeit des sächsischen Weinbaus vom 17. bis zum 19. Jahrhundert gewidmet und bietet einige besondere Schätze der hauseigenen Sammlungen, wobei die in Petersburger Hängung präsentierten Gemälde und Graphiken sicher die größte Aufmerksamkeit beanspruchen, darunter Retzschs eigens für die Ausstellung vom alten Firnis befreiter »Blick zur Hoflößnitz«. Der Eindruck, den diese Schatzkammer – der Farbe des Ausstellungsmobiliars nach könnte man auch vom »(gift)grünen Gewölbe« sprechen – von der Epoche vermittelt, ist vielleicht etwas zu rosig. Aber so war sie halt, die gute alte Zeit, oder, um mit Brecht zu spielen: Wer baute den sächsischen Wein? In den Büchern stehen die Namen von Königen…
Im abschließenden Saal soll der Bogen über das lange 20. Jahrhundert bis zum Weinbau der Gegenwart gespannt werden – ein wahrhaft faustisches Unterfangen. Wohl deshalb haben sich die Ausstellungsmacher an ein Erfolgsrezept erinnert, das Goethe im »Vorspiel auf dem Theater« dem Direktor in den Mund legt: »Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,/ Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus./ Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;/Und jeder geht zufrieden aus dem Haus«. Präsentiert wird ein buntes Allerlei von Kunst und Kitsch, Fotos und Etiketten, Flaschen und Gläsern, Werbeartikeln und Korkenziehern, Maschinen und ein Brigadetagebuch, kurz: ein (nach rein ästhetischen Kriterien sortierter) Schaufensterblick in fast alle Einzelsammlungen des überquellenden Museumsdepots.
Im Flyer wird diese Konzeption selbstbewusst vertreten: »Das Sächsische Weinbaumuseum Hoflößnitz, als Gedächtnis des sächsischen Weinbaus, gewährt mit dieser interdisziplinären Ausstellung zum ersten Mal einen umfassenden Einblick in seine seit über 90 Jahren aufgebauten musealen Sammlungen.« Das hochgestochene Attribut »interdisziplinär« irritiert, handelt es sich doch ganz offensichtlich nicht um eine wissenschaftliche Ausstellung im strengen Sinne, und auch das scheinbar unvermeidliche Verkaufsargument »zum ersten Mal« wirkt übertrieben; dafür begegnet man zum Glück doch zu vielen alten Bekannten. Keine Frage: Die Schau unterscheidet sich in mancherlei Beziehung vorteilhaft von früheren, aber eine neue Qualität kommt noch nicht dadurch zustande, dass man statt drei Weingläsern dreißig zeigt. (An der parallel weiterlaufenden Sonderausstellung »Erinnerung + Verantwortung« war vor Jahresfrist kritisiert worden, dass der historisch Interessierte so herzlich wenig zum Thema erfährt. Setzte man den etwa identischen Umfang der erläuternden Texte in beiden Ausstellungen zur Zahl der Exponate – damals knapp 50, aktuell gut 500 – in Relation, würde man diese Kritik vielleicht sogar noch deutlicher wiederholen müssen.)
Statt die großenteils objektiv bedingten Schwächen der sehenswerten kleinen Ausstellung zu beschönigen, wie es im Flyer und ähnlich auch in der Einführungsrede von Dr. Ulrich Reusch, seit kurzem Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Weingutmuseum Hoflößnitz, versucht wurde (Zitat: »Die Vielzahl der gezeigten archäologischen Grabungsfunde, Gemälde, Graphiken, Skulpturen, gebrauchsgraphischen Arbeiten und historischen Archivalien beschreiben dieses wichtige Kapitel sächsischer Landesgeschichte. Der Ausstellungsbesucher durchschreitet so bei seinem Rundgang durch die Ausstellungsräume die 850jährige Weinbaugeschichte Sachsens.«), hätte man den Ball ohne Gesichtsverlust flach halten und Tacheles reden können: Schaut her, das haben wir als Beitrag zum Festjahr zu bieten; mehr geht angesichts der bescheidenen personellen und finanziellen Ausstattung und der Raumnot nicht.
Bei der Eröffnungsveranstaltung stellte Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler mit seinem launigen Loblied auf den sächsischen Weinbau in Geschichte und Gegenwart alle anderen Redner deutlich in den Schatten. Dr. Reusch hielt, wie erwähnt, die Einführung und dankte anschließend seinem Vorgänger im Kuratoriumsvorsitz, Peter Jung, in warmen Worten für sein langjähriges und beherztes Engagement im Förderverein und der Stiftung. Museumsleiterin Dr. Bettina Giersberg blieben nur noch die Dankesformeln, dabei hätte sie einiges zu berichten gehabt, denn in der Hoflößnitz tut sich auch neben der Ausstellungsarbeit so manches: Die Neuinventarisierung der Sammlungen kommt in kleinen Schritten voran, bei der Bestandserhaltung sind erste Erfolge zu vermelden, in den kurfürstlichen Gemächern wird kräftig gewerkelt, und die Konzeption für eine nach höchsten konservatorischen Standards auszuführende Neugestaltung der Erdgeschossräume des Berghauses, das in den Zustand der Erbauungszeit zurückversetzt werden und dereinst in Gänze als Museumsschloss dienen soll, beginnt Gestalt anzunehmen.
Solch rosige Vision vor den geistigen Augen wäre es den trotz widrigen Wetters zahlreich zur Eröffnung erschienenen Gästen sicher leichter gefallen, über den derzeit wenig erfreulichen Zustand der Marschallstube hinwegzusehen, durch die der Rundgang notgedrungen führt. Die unverputzten Dübellöcher in den kahlen Wänden sollen, erfährt man auf Nachfrage, den ehemals zu sorglosen Umgang mit der denkmalgeschützten Bausubstanz brandmarken; doch ohne Erklärung erschließt sich eben auch diese (ein klein wenig maliziöse?) Vorführung nicht auf den ersten Blick. Und warum die vor gerade einmal gut zwei Jahren mit bedeutendem Aufwand (in der Presse war von 20.000, in Worten: zwanzigtausend Euro die Rede) installierte »gläserne Rebe« – eines der wenigen auf den Nachwuchs unter den Besuchern zielenden Ausstellungsstücke zum Anfassen – jetzt ohne Not sang- und klanglos in den Orkus verbannt wurde (die Bohrungen für die damals so teure Verankerung sind übrigens akkurat zubetoniert), bleibt selbst dann rätselhaft, wenn man verschiedene Begründungsversuche gehört hat. War wirklich alles schlecht? Oder, anders gefragt, muss man alles anders machen, um vieles zu verbessern?
Abschließend sei nochmals allen Leserinnen und Lesern der »Vorschau« ein Besuch der schönen Ausstellung warm empfohlen, speziell den Radebeulern, denen die Hoflößnitz gehört, »Sächsisches Weinbaumuseum« hin oder her. Laut Flyer ist die Schau im Sommer dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet; wer sich auf die Homepage der Hoflößnitz (Stand 16. 7. 2011) beruft, darf wochentags zwar lediglich von 12 bis 16 Uhr in die heili-
gen Hallen, muss aber auch nur zwei (statt neuerdings, laut Flyer, drei) Euro Eintritt bezahlen und kann dafür sogar noch die zweite Sonderausstellung »inklusive mit anschauen«. Den Autoren der minimalistischen Ausstellungs- und Flyertexte ganz zum Schluss noch eine goldene Regel ins Stammbuch: In einfachen deutschen Sätzen und speziell zwischen Subjekt und Prädikat haben Kommas nichts verloren.