Mauerbau – ein Schicksal in Coswig (Teil 2)
von Petra Hamann
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Anlässlich dieser Wahl-Kundgebung am 12.09.1961 im Zentralgasthof Weinböhla, bei der der damalige erste Sekretär der Bezirksleitung der SED Krolikowski Hauptredner ist, wird K. zu einem Redebeitrag aufgefordert. Er soll seine Haltung öffentlich aufgeben. Aber auch vor über 1000 Anwesenden vertritt er seine bisherige Meinung. Unmittelbar nach dieser Wahlveranstaltung erfolgt vor seiner Haustür seine Festnahme durch die Staatssicherheit. Er wird in die Untersuchungshaftanstalt nach Meißen gebracht, ohne seine Wohnung noch einmal betreten zu dürfen und ohne Frau und Tochter informieren zu können. In Meißen bleibt er bis zu seinem Prozess inhaftiert.
Noch während dieser Zeit erhält K. den Beschluss des Vorstandes der ArbeiterwohnungsGenossenschaft Coswig vom 21.10.1961 über seinen Ausschluss aus der AWG. Die Argumente dafür sind die gleichen wie in seiner Kündigung: Im VEB Cosid-Werke Coswig traten Sie im Hinblick auf die von Partei und Regierung zur Erhaltung des Friedens getroffenen Maßnahmen als Feind unseres Staates auf … Dieser Tatbestand ist unvereinbar mit den Grundsätzen einer sozialistischen Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft. Trotz der verfügten Kündigung dürfen Ehefrau und Tochter nach vielem Hin und Her in der AWG-Wohnung wohnen bleiben.
Nach fast zwei Monaten Untersuchungshaft verurteilt das Kreisgericht Meißen K. am 1. November 1961, 2 Tage vor seinem 34. Geburtstag, wegen Staatsverleumdung zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis. Dieser Straftatbestand (§ 20) wurde neben „Staatsgefährdende Propaganda und Hetze“ (§ 19) erst im Januar 1958 mit dem Strafrechtsänderungsgesetz eingeführt.
Über die Gefängnisse in Dresden und Cottbus kommt K. als Häftling mit der Nummer 480/61 am 18.11.1961 in das Haftarbeitslager Seese bei Lübben und später in das neuerrichtete Zweiglager beim Spreewerk Lübben. Die schwere körperliche Arbeit dort wurde erträglicher, da er fast nur mit gleichgesinnten politischen Häftlingen inhaftiert ist. Untergebracht sind die Gefangenen in Baracken, zu zwölft in einem Raum. Der Kontakt mit der Familie ist durch monatlich einen Brief, ein Päckchen zu Weihnachten und zum Geburtstag und pro Vierteljahr einen Besuch reglementiert. Kinder haben keinen Zutritt. Als weitere Repressalie erreicht ihn noch im November 1961 in der Haft die Mitteilung des Volkspolizei-Kreisamtes Meißen, dass er auf Grund seiner Verurteilung wegen Staatsverleumdung seine Fahrerlaubnis für ein Jahr, geltend ab Haftentlassung, entzogen bekommt.
1962 – am 9. August wird K. wegen guter Führung vorzeitig aus dem Haftarbeitslager entlassen. Im September wird seine Tochter das dritte Schuljahr beginnen. Seine eigene Zukunft liegt dagegen im Ungewissen. Er findet zunächst in seinem Beruf eine Anstellung in einem kleinen Privatbetrieb.
1968 – nach einer weiteren Station in einem halbstaatlichen Betrieb reift in ihm der Entschluss, sich selbständig machen zu wollen. Er hat die bisherige Zeit auch zum Forschen und Entwickeln genutzt. In seinem AWG-Kellerraum entwickelt er ein Verfahren auf Epoxidharzbasis, mit dem man haltbare farbig gestaltete Glasscheiben herstellen kann. Das meldet er 1966 als Wirtschaftspatent an. Vom Amt für Erfindungs- und Patentwesen der DDR wird es in der Patentschrift 64375 vom 20.10.1968 mit dem Titel: Verfahren zur Herstellung vorzugsweise farbiger Bilder, Dekors und Schriften, insbesondere auf Glasscheiben, veröffentlicht.
In der Anwendung seiner Entwicklung sieht er eine neue berufliche Perspektive. Im Mai 1968 stellt er deshalb einen Gewerbeantrag beim Rat der Stadt Coswig, der prompt abgelehnt wird. Das dazu einzureichende polizeiliche Führungszeugnis wies keine Strafen mehr aus. Seit Anfang 1967 war der Eintrag über seine Verurteilung im Strafregister getilgt. Trotzdem enthält die Ablehnung den internen Vermerk, dass die gesellschaftlich-politische Einstellung des Antragstellers zu beachten sei. Mit Beharrlichkeit erstreitet er durch die Instanzen Rat der Stadt Coswig, Rat des Kreises Meißen, Rat des Bezirkes Dresden seine Gewerbeerlaubnis, die er schließlich nach über einem Jahr im August 1969 erhält. Sein Gewerbebetrieb entwickelt sich zu seiner Zufriedenheit, dennoch erreicht er erst nach über 20 Jahren einen vergleichbaren Lebensstandard wie vor seiner Verhaftung. Über die Vergangenheit spricht er kaum. Es ist ihm wichtig, dass er weitgehend unbehelligt arbeiten und seine Entwicklung vervollkommnen kann.
1989 – 9. November: wiederum ahnt er nicht, wie auch der Tag des Mauerfalls seinem Leben eine neue Wendung geben sollte. Noch im Dezember erfährt er von den Bemühungen ehemaliger „Cosidler“, seine Rehabilitierung gegenüber dem VEB Cosid betreiben zu wollen. 121 Veteranen des Betriebes sind sich einig, dass das Unrecht, das ihm 1961 widerfuhr, wieder gut gemacht werden muss. Mit der Genugtuung darüber spürt er zugleich, dass er seinen inneren Frieden auch nach so langer Zeit noch nicht gefunden hat. Über den Jahreswechsel fasst er den Entschluss, seine Rehabilitierung selbst zu veranlassen. Fast möchte man meinen, dass es ein Glück war, dass die Marktwirtschaft den Absatz seiner kunsthandwerklichen Erzeugnisse drastisch zurückgehen ließ, und er mit Beginn des Jahres 1992 Altersrente beziehen kann. So ist es ihm möglich, all seine Zeit und Kraft in sein Rehabilitierungsverfahren zu investieren. Die gesetzlichen Grundlagen dafür werden im September 1990 von der Volkskammer der DDR mit dem Rehabilitierungsgesetz und vom Bundestag mit dem Ersten und Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz 1992 und 1994 geschaffen.
2011 – 50 Jahre nach dem Mauerbau ist ein dicker Aktenordner entstanden, angefüllt mit den Zeugnissen seiner Bemühungen, Gerechtigkeit bei den unterschiedlichsten Behörden zu erlangen und mit seiner dokumentierten Vergangenheit seit jenem 13. August 1961. Briefe, von Kinderhand geschrieben an den Vater im Gefängnis, berühren auch nach 50 Jahren noch. – Rehabilitiert wird er im Januar 1993 durch das Landgericht Dresden, das das Urteil von 1961 aufhebt und ihm eine Haftentschädigung zuspricht. 2007 gewähren neue Bestimmungen auch ihm die sogenannte SED-Opferrente als Ausgleich für rentenrechtliche Nachteile. Es erfolgt damit eine Würdigung des schweren Schicksals der Opfer und ihrer Angehörigen, die unter der kommunistischen Gewaltherrschaft in vielfältiger Weise Unrecht und Willkür erlitten haben und es soll den durch den Entzug ihrer Freiheit am schwersten Betroffenen vorrangig Genugtuung geben, ihnen aber auch durch Entschädigung und Versorgungsansprüche, die freilich das Maß an Leiden und Demütigungen nie aufwiegen können, einen gewissen Ausgleich für das erlittene Unrecht anbieten, so das Anliegen des SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes.
Herr K. hadert nicht mit seinem Schicksal und möchte kein großes Aufheben um seine Person. Für das politische Geschehen interessiert er sich noch immer und sein Sinn für Gerechtigkeit ist ihm auch mit über achtzig Jahren nicht abhanden gekommen. Wenn das öffentlich machen seines Schicksals zum Nichtvergessen dieses dunklen Kapitels DDR-Geschichte beitragen könnte, wäre für ihn ein weiteres Ziel erreicht.
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