Mein Amt ist ein wenig das eines Gärtners

Erinnerungen an Dr. Dieter Schubert (1940-2012)

Ich komm – ich weiß nicht woher
Ich geh – ich weiß nicht wohin
Ich bin – ich weiß nicht wer
Ich wundere mich, dass ich so fröhlich bin.

(mittelalterlicher Spruch, Autor unbekannt)

Am 30. April verstarb im Alter von 71 Jahren nach langer schwerer Krankheit Dr. Dieter Schubert. Er wird uns als Mensch aber auch als Mahner sehr fehlen. Der Beitrag „Kunstpreis statt Wunschpreis“ in der März-Ausgabe des kulturellen Monatsheftes „Vorschau und Rückblick“ war unwiederbringlich seine letzte öffentliche Wortmeldung, in der er sich noch einmal eindeutig positionierte und zur Freiheit von Kunst und Kultur bekannte.

Dr. Dieter Schubert (1940-2012)

Meine erste bewusste Begegnung mit Dr. Schubert fand im Jahr 1990 statt. Die damalige Dezernentin für Gesundheit und Soziales, Kultur und Bildung, Dr. Ellen Brink, stellte ihn als künftigen Amtsleiter für den Bereich Bildung und Kultur vor. Sein beruflicher Wechsel von der Medizinischen Akademie Dresden in das Rathaus der Kleinstadt Radebeul lag nicht zuletzt in der Absicht begründet, dass er am Aufbau eines demokratisch legitimierten Verwaltungsapparates mitwirken wollte. So wie er sich bereits als Sprecher der katholischen Studentengemeinde engagiert hatte, so war er auch – Jahrzehnte später – im „Neuen Forum“ aktiv. Der Tätigkeitsbereich Bildung und Kultur stellte für den 50-jährigen promovierten Ingenieur noch einmal eine völlig neue Herausforderung dar. Er selbst bezeichnete sich als „Kulturgroßverbraucher“, gestand aber ein, dass er bisher zu denjenigen gehört habe, die zwar in Radebeul wohnen, jedoch in Dresden arbeiten und in ihrer Freizeit fast ausschließlich das reichhaltige Kulturangebot der Metropole nutzen. Die Kunst- und Kulturszene von Radebeul hatte er bis dahin nur punktuell wahrgenommen. Daran musste ich denken, als ich ihn viele Jahre später auf einem Foto von 1987 unter den Besuchern einer Ausstellungseröffnung in der Kleinen Galerie in Radebeul Ost entdeckte.

Als Dr. Schubert sein Amt im Januar 1991 antrat, war der Umbruch, den ein gesellschaftlicher Systemwechsel mit sich bringt, in vollem Gange. Alte Strukturen brachen weg, neue mussten geschaffen werden. In die anfängliche Euphorie mischte sich nun auch die Angst um den Arbeitsplatz. Das Kreiskabinett für Kulturarbeit wurde aufgelöst. Die sechs Kulturhäuser, welche sich in unterschiedlichen Trägerschaften befanden, schlossen nach und nach ihre Pforten. Die Ortsgruppe des Kulturbundes stellte ihre Arbeit ein. Selbst die Rettungsversuche, das letzte Radebeuler Kino zu erhalten, waren zum Scheitern verurteilt. In kommunaler Hand blieben bis heute die Sternwarte, das historische Archiv, die Galerie und die Bibliothek mit zwei Standorten. An etablierten Veranstaltungsprojekten wurden 1990 der Grafikmarkt und 2004 die Kasperiade in städtische Regie übernommen.

Die Zeit des Wandels bot aber auch Chancen für Neues. Das Vereinswesen, die Soziokultur und den Tourismus galt es zu entwickeln. Die Heimat- und Traditionspflege gewann wieder zunehmend an Bedeutung. Getragen von der allgemeinen Aufbruchstimmung startete 1991 in Altkötzschenbroda das erste Herbst- und Weinfest, in welches ab 1995 das Internationale Wandertheaterfestival eingebunden wurde. Bereits im Folgejahr fanden aus Anlass des 150. Geburtstages von Karl May die ersten Karl-May-Festtage im Lößnitzgrund statt. Einen weiteren kulturellen Höhepunkt bildete im Jahr 1995 die Festwoche zum 350-jährigen Jubiläum der Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages zwischen Schweden und Sachsen. Unter Federführung des Kulturamtes wurden Radebeuler Persönlichkeiten wie der Naturheilkundler Friedrich Eduard Bilz, der Generalmusikdirektor Ernst Edler von Schuch, die Baumeisterfamilie Gebrüder Ziller, der Zirkusdirektor Hans Stosch-Sarrasani sowie der Puppenspieler Carl Schröder mit Ausstellungen und Publikationen gewürdigt. Ab 1998 erfolgte erstmals wieder die Vergabe eines Radebeuler Kunstpreises.

Es würde wohl an dieser Stelle zu weit führen, alles aufzuzählen, was während der Amtszeit von Dr. Schubert initiiert, befördert und umgesetzt wurde. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Übergabe des ersten sanierten Gebäudes in Altkötzschenbroda, der heutigen Heimatstube (1993), die Einweihung der Kulturschmiede mit neuen Räumen für die Stadtgalerie (1997), die Überführung des Weingutmuseums Hoflößnitz in eine Stiftung (1998), die Einweihung der Erlebnisbibliothek im Bahnhofsgebäude Radebeul-Ost (2002) und die Eröffnung der Touristinformation am neuen Standort neben den Landesbühnen Sachsen (2005).

Besonders in den Anfangsjahren galt es, in schneller Folge weitreichende Entscheidungen zu treffen. Dr. Schuberts Pro- und Contra-Abwägungen, die er häufig mit komplizierten statistischen Tabellen untersetzte, waren legendär. Wie sehr sich der sensible Intellektuelle damals hin und her gerissen gefühlt haben muss, lassen die nachfolgenden Äußerungen nur erahnen:

„Mein Verständnis von meinem neuen Amt ist ein wenig das eines Gärtners: Wachsen muss alles selbst, wir können von der Stadtverwaltung nur dafür sorgen, dass Licht, Luft und Sonne an die Pflanzen kommt, und der Boden ist zu düngen, manchmal auch umzugraben. Mit Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmitteln werden wir uns zurückhalten. … Die Fülle der Aufgaben ist so groß und meine Übersicht noch so klein, dass es fast gleich ist, an welcher Stelle ich beginne. … Die Verantwortung lässt es nicht zu, dass wir nur spontan handeln. Die Umstände lassen es nicht zu, dass wir nur langfristig planvoll handeln. … Denken wir auch nicht immer nur in Endgültigkeiten: Viele dieser Entwicklungen sind vorläufig und manche ebenso schnell korrigierbar, wie sie jetzt vollzogen wurden. … Die schnellen Lösungen sind selten die guten Lösungen. Aber wir haben oft keine Wahl, nur die zwischen Schnellhandeln oder Nichthandeln.“

So manche Turbulenzen galt es durchzustehen. Als Verantwortlicher für die Schulnetzplanung sah sich der einstige Bürgerrechtler plötzlich mit aufgebrachten Bürgern konfrontiert. Aber auch die kleine Truppe durchsetzungsstarker Kulturpragmatiker machte es ihm nicht immer leicht. Trotz aller Meinungsunterschiede wirkte er ausgleichend, vermittelnd und lösungsorientiert. Das Urvertrauen in seine Mannschaft gab dieser wiederum Sicherheit. Man konnte sich aufeinander verlassen. Wenngleich das kulturelle Interesse von Dr. Schubert ursprünglich der so genannten Hochkultur galt, entwickelte er doch recht schnell das nötige Verständnis für die Intentionen und Probleme der Basiskultur. Dass die Radebeuler Vereine einen Anspruch auf Grundförderung geltend machen können, ist vor allem seiner vorausschauenden Umsicht geschuldet. Sehr geschätzt wurde Dr. Schuberts konstruktive Mitarbeit in den Vorständen der Musikschule, Volkshochschule und Jugendkunstschule. Hervorhebenswert ist die Tatsache, dass der 1993 gegründete „verein für denkmalpflege und neues bauen“, den richtungsweisenden Zusatz „neues bauen“ seiner Anregung zu verdanken hat. Und ein wichtiges Anliegen von Dr. Schubert war es auch, die Kirchen als Orte der Kultur zu begreifen.

Fünfzehn erfüllte Arbeitsjahre als Amtsleiter lagen schließlich hinter ihm, als er 2005 zum 65. Geburtstag an die Stätte seines Wirkens zu einer kleinen Feier eingeladen hatte. Geduldig standen die Gratulanten aus Politik, Wirtschaft, Bildung, Kultur, Denkmalpflege und Tourismus in einer langen Schlange bis auf den Dorfanger von Altkötzschenbroda hinaus. Diese beeindruckende Zeremonie verdeutlichte noch einmal, wie vielfältig Dr. Schuberts Betätigungsfeld war und welche Wertschätzung man ihm entgegenbrachte. Die Dokumente aus den Jahren seiner Amtszeit sind ein Schatz, den es noch zu heben gilt.

Auch als Rentner blieb er für die Stadt Radebeul aktiv. Er wirkte als „Berufener Bürger“ im Bildungs-, Kultur- und Sozialausschuss mit, leitete die Arbeitsgruppe zur Erstellung einer Machbarkeitsstudie für ein künftiges Radebeuler Stadtmuseum und übte, so lange es ihm gesundheitlich möglich war, die Funktion des Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Hoflößnitz aus.

Der Kontakt zwischen Dr. Schubert und den ehemaligen Kollegen riss nie ab. Wer seinen Rat benötigte, konnte sich jederzeit an ihn wenden. Dass dieses gute Miteinander noch einige Jahre andauert, hätten wir uns sehr gewünscht. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen bemerkenswerten Menschen, der auf stille aber beharrliche Weise Gutes bewirkt und Nachhaltiges geschaffen hat. Wohl auch in seinem Sinne wird es sein, wenn wir uns mit Leidenschaft, Mut und Phantasie dafür einsetzen, dass Kunst und Kultur in Radebeul weiterhin gedeihen und viele bunte Blüten treiben.

So war es dann auch ein sehr berührender Moment, als am Tag von Dr. Schuberts Beerdigung seine Enkelkinder munter ins Kulturamt stürmten, um noch einmal den ehemaligen Arbeitsplatz ihres Großvaters in Augenschein zu nehmen. Die Botschaft wurde von uns verstanden: Das Leben geht weiter!

Die Zitate stammen aus Dr. Dieter Schuberts Manuskriptsammlung.

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Ein Kommentar

  1. Gerhard Albert Jahn
    Veröffentlicht am Fr, 14. Mrz. 2014 um 18:10 | Permanenter Link

    Eben konnte ich im 100. Todesjahr des großen Dresdner Generalmusikdirektors, der die Strauss-Tradition von Elbflorenz begründete, als Urenkel des Wiener Lehrers Otto Dessoff von Ernst Edler von Schuch, erstmalig Einblick nehmen in den von Dr. Dieter Schubert auf den Weg gebrachten inhaltsreichen Katalog der Ernst-von-Schuch-Ausstellung 1999 in Graz, zu dem er auch selbst einen wunderbar lesbaren Beiträge verfasste. Da ich Dr. Dieter Schubert dafür danken wollte, googelte ich eben nach ihm und fand in Ihrer Website obigen gut gemachten Nachruf. So bleibt mir nur hier dieser Kommentar dazu übrig. Vielleicht kann er ihn vom Himmel aus lesen.
    Schuberts Katalog hat heute noch volle Gültigkeit und sollte jedem empfohlen werden, der sich mit dem Thema „Schuch“ befasst.

Ein Trackback

  1. Von Vorschau und Rückblick » Radebeuler LebensArt am Mo, 3. Aug. 2020 um 11:02

    […] Immer wieder eingeschlossen in jene kulturellen Nachwende-Erinnerungen, ist der viel zu früh verstorbene Dr. Dieter Schubert (1940-2012), der am 31. August 2020 achtzig Jahre alt geworden wäre und im Januar 1991 im Alter von fünfzig Jahren, quasi als Seiteneinsteiger, die Funktion des Amtsleiters für Bildung und Kultur übernommen hatte. In seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen vermerkte er: „Mein Verständnis von meinem neuen Amt ist ein wenig das eines Gärtners: Wachsen muss alles selbst, wir können von der Stadtverwaltung nur dafür sorgen, dass Licht, Luft und Sonne an die Pflanzen kommt, und der Boden ist zu düngen, manchmal auch umzugraben. Mit Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmitteln werden wir uns zurückhalten. (s. „Vorschau und Rückblick“ 2012/06) […]

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