Landlust in Lindenau

… oder ein Fest mit Folgen

Das Jahr 2012 nähert sich seinem Ende und der Blick zurück hilft beim Ordnen der Erinnerungen. Ein Ereignis soll hier besondere Erwähnung finden: Gemeint ist das Dorffest der Ursprungsgemeinde Lindenau aus Anlass des 725-jährigen Ortsjubiläums. Das letzte Fest dieser Art fand vor 25 Jahren statt. Fundstücke wie längst vergessene Preise der einstigen Tombola, darunter Stadtwappenaufkleber, Häkeltopflappen, Perlenuntersetzer und Plastikblümchen, stießen vor allem bei den Jüngeren auf große Begeisterung. Auch eine kurze Filmdokumentation des Amateurfilmers Klaus Hübner war erhalten geblieben und sollte zur Wiederaufführung gelangen.

Landlust in Lindenau

Nun wollte man also vom 17. bis 19. August ein Wochenende lang ausgiebig feiern. Immer mehr Helfer begannen sich um Dagmar Lehmann zu scharen, einer pragmatischen Gastwirtstochter, die im Landratsamt arbeitet und in ihrer Freizeit in der Lindenauer Chorgemeinschaft singt. Nachdem sie den ersten Schreck über die ihr zugedachte Funktion als Festkoordinatorin überwunden hatte, meisterte sie das umfängliche Vorhaben auf eine freundlich unaufgeregte Weise. Überhaupt war es wohltuend zu erleben, wie ein Fest von der Gemeinschaft getragen wird und für Profilierungssucht kein Podium bot. Chorgemeinschaft, Feuerwehr, Gewerbetreibende, Anwohner, Kultur-, Sport- und Heimatvereine fanden sich zusammen. Förmlich aus dem Nichts heraus schufen sie ihre eigene Organisationsstruktur.

Das Festprogramm nahm recht schnell Gestalt an. Die Nacht des „Lichts und der Musik“ mit Jugendbands, Feuerschau und Lampionumzug sollte am Freitag den Auftakt bilden. Der Samstag wurde unter das Motto „Tag der Begegnung“ gestellt mit Empfang der Radebeuler Stadtteilwanderer und einem festlichen Abendprogramm. Der Sonntag klang schließlich auf dem Sportplatz als „Tag der Familie“ mit Frühschoppen, Kinderkirmes und Schauvorführungen aus.

Programm-Moderator Uwe Wittig

Neue Innen- und Außenräume wurden erschlossen, um sie in das Festgeschehen einzubeziehen. Die Lindenauer begannen plötzlich ihr Dorf mit anderen Augen zu sehen. Sie staunten nicht schlecht, welche Schätze bisher im Verborgenen geschlummert hatten. Es wurde geräumt, gereinigt, gestrichen, genäht, gebaut und geschmückt. Die neue Lindenauer Homepage sollte sich schon bald mit Bildern und Texten füllen.

Festkoordinatorin Dagmar Lehmann

Eine gezielte Terminabstimmung verband die Radebeuler Begegnungen mit dem Lindeauer Ortsjubiläum. Die beliebte Stadtteilwanderung startete am 18. August punkt 11 Uhr in Radebeul- Ost, wo sie vor zwei Jahren endete. Eine wichtige Mehrfach-Rolle hatte man hierbei dem Ersten Bürgermeister Dr. Jörg Müller zugedacht. Als Stellvertreter des Radebeuler Oberbürgermeisters begrüßte er vorm Rathaus die Expeditionsteilnehmer, als Baubürgermeister führte er über die Baustelle rund um den künftigen Kulturbahnhof, als Neu-Radebeuler übergab er den Staffelstab an den Lindenauer Abgesandten und als Kunstliebhaber überreichte er der Milva-Doublette (spontan) eine dunkelrote Rose. Das war dann aber schon zu vorgerückter Stunde.

Bezüglich der Radebeuler Begegnungen geht es also mit der Berichterstattung noch einmal zurück zum Anfang. Nach Begrüßung, Baustellenführung und Startimbiss begaben sich die Expeditionsteilnehmer auf den 7 km langen Weg in Richtung Lindenau. Der Freizeithistoriker Hans-Georg Staudte führte trotz des bockigen Megaphons souverän und fachkundig von Station zu Station, welche in der August-Ausgabe des kulturellen Monatsheftes Vorschau & Rückblick bereits ausführlich beschrieben worden waren. Allen Gastgebern am Wegesrand, vor allem den Familien Hentsch, Dr. Cramer und Hertel sowie den Mitarbeitern der Stadtbibliothek, des Stadtarchives und der Stadtgalerie sei an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt.

Etwa 150 Menschen waren gekommen, um sich das Gefühl für Entfernungen, Höhenunterschiede, Blickbeziehungen und viele kleine Details zu erlaufen. Dabei wurden sechs Ursprungsgemeinden durchquert. Die Temperaturen kletterten auf bedrohliche 30 Grad. Das Bedürfnis nach Wasser und Schatten spendenden Bäumen wuchs mit jedem halben Kilometer. Trotzdem gab es keinerlei Komplikationen. Der Staffelstab konnte pünktlich übergeben werden und die Expeditionsteilnehmer durften nach Vorlage ihres Passagierscheines die Grenze zwischen Kötzschenbroda-Oberort und Lindenau überschreiten. Die Sonne schien noch immer unbarmherzig. Doch in Lindenau war man glücklich. Als schönstes Geschenk wurde die durch Baumaßnahmen bedingte Sperrung der Ortsdurchfahrt empfunden. Man konnte kurzzeitig von jener Straße Besitz ergreifen, die Alt-Lindenau mit ihrem nur selten abreißenden Verkehrsstrom trennend durchschneidet. Auf dem glühendheißen Asphalt hatten die Lindenauer eine lange Kaffeetafel festlich gedeckt und in freudiger Erwartung ihrer Gäste schon Wochen zuvor damit begonnen, in liebevoller Handarbeit den Tischschmuck zu gestalten. Ob zur Begrüßung der Gäste auf dem Sportplatz, beim gemeinsamen Kaffeetrinken oder dem festlichen Abendprogramm war die Chorgemeinschaft Lindenau mit ihrem Gesang immer wieder präsent.

Freizeithistoriker Hans-Georg Staudte

Im Zentrum von Lindenau hatten sich zahlreiche Höfe geöffnet und gaben Geschichte und Geschichten preis. Landwirtschaftliche Gerätschaften, vergilbte Fotos und ein Film zeugten vom Alltag auf dem Dorfe. Stark frequentiert waren die Jubiläumsausstellung mit dem Erzählcafé. Voller Wehmut erinnerten sich die Lindenauer der Zeiten als in den Schulgebäuden noch unterrichtet wurde. Viele Impulse, die das dörfliche Leben einst bereichert hatten, waren von dort ausgegangen. Freundschaften, die in der Schulzeit geschlossen wurden, hielten mitunter ein Leben lang.

Auch Karl Reiche, Kötzschenbrodaer Urgestein, hatte es sich nicht nehmen lassen, nach Lindenau zu kommen. Einstmals gehörten ihm Wiesen, Wald und Ackerland auf dem Terrain des benachbarten Kötzschenbroda-Oberort. Herzlich wurde er auf den Höfen der älteren Lindenauer empfangen, mit denen ihn viele gemeinsame Erinnerungen verbinden. Sein knappes Resümee: „Heute war für mich ein großer Tag.“

Übergabe des Staffelstabes

Die Reithalle von Renè Dolze war kurzerhand zur Festhalle umfunktioniert worden. Der Neu-Lindenauer Uwe Wittig vom Theater Heiterer Blick moderierte das Festprogramm, welches von Akrobatik bis Zauberei sehr viel Abwechslung bot. Als der ungeübte Sänger schließlich zum Duett mit Kerstin Döring, der neuen Leiterin des Chores Lindenau, ansetzte, wurden die Feuerzeuge geschwenkt, kein Auge blieb trocken und der Beifall wollte kein Ende nehmen. Alt- und Neulindenauer, Fortgezogene und Daheimgebliebene, Radebeuler und Nichtradebeuler waren der Einladung nach Lindenau gefolgt. Die Naundorfer zogen sogar mit ihrer Vereinsfahne ein und verlasen ein gereimtes Grußwort. Gefeiert wurde durch die Nacht und noch am kommenden Tag.

Was bleibt? Wir werden es erleben. Selbstbewusstsein und Zusammengehörigkeitsgefühl der Lindenauer erfuhren durch das gelungene Fest jedenfalls eine sichtliche Stärkung. Die Gründung eines Dorfvereins analog zu Naundorf und Wahnsdorf wird in Erwägung gezogen.

Die Lindenauer versprachen, den Staffelstab bis zur nächsten Radebeuler Begegnung gut zu hüten. Und sie signalisierten bereits: Dann wandern wir aber mit!

Karin Gerhardt

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