Zu Besuch bei Frau Margot Piprek
Obwohl wir angemeldet waren, öffneten wir vorsichtig die Tür. War es angemessen, einer Frau kurz vor ihrem 93. Geburtstag Fragen zu ihrer Schulzeit zu stellen? Diese Zeit am Luisenstift von 1930 bis 1936 liegt schließlich 80 Jahre zurück.
Schnell waren die Bedenken vergessen. Wir spürten die Freude über diese Schuljahre, die so prägend waren für ihr Leben.
Ich hatte nur zweimal Interne mit ihrer Tracht gesehen. Wie stolz war ich, dass ich selbst so eine Tracht tragen durfte. Zögernd ergänzt sie, wie gut die Wirkung der Schultracht war. So gab es keinen Unterschied, ob die Schülerinnen aus adligen oder minderbemittelten Elternhäusern kamen.
Ich sehe einige Lehrer heute noch vor mir: Frau Dr. Reymann, Herrn Dr. Bennewitz, Herr Senst. Ein Schwerpunkt des Deutschunterrichts war Grammatik. Ich neigte jahrelang dazu, schlechtes und falsches Sprechen zu korrigieren. Oft genug war das meinen Bekannten unangenehm. Also habe ich mich immer mehr der Sprache der Umgebung angepasst.
Gut und vor allem sehr anregend war, dass wir für Fremdwörter deutsche Wörter suchen und verwenden sollten.
Prägend war für Frau Piprek auch die gemeinsame Morgenandacht. Sie erinnert sich, wie morgens der damalige Oberstudiendirektor durch die Gänge lief, um Schülerinnen zu finden, die dann bei der Andacht aufgerufen wurden: montags die Gebote, dienstags das Glaubensbekenntnis, mittwochs das Vaterunser, usw.
Wir waren froh, wenn wir das 6. Gebot aufsagen mussten, weil es relativ kurz war.
Ein Höhepunkt des Schuljahres 1932/33 war die Feier anlässlich des 75. Jubiläums des Luisentifts am 8. Oktober 1932. Im Jahresbericht schreibt Pfarrer Prof. M. Bischoff: „Festgottesdienst in der Bethesda-Kirche. Mittags Festturnen auf dem Sportplatz, danach gemeinsames Mittagessen in der Grundschänke, viele Reden und lebhafter Gedankenaustausch. Viel Jubel bei allen Hörern über die feine Art, wie alte und neue Zeit sich begegnen und sich zu verstehen bemühen. Gespielt wurde Goethes Festspiel „Paläophron und Neoterpe.“
In diesem Stück spielte ich eines der Götterkinder der neuen Zeit. Auch an die Volkstänze an diesem Tag in langen weißen Kleidern erinnere ich mich noch gut.
Die Schülerinnen der Abschlussklasse, der Untersekunda, gaben sich Namen.
Favorit war zunächst „Vorwärts“. Doch da es damals einen „Konsumverein Vorwärts“ gab, hatten wir uns schließlich für den Namen „Aufwärts“ entschieden.
1935 sollten Radebeul und Kötzschenbroda vereint werden. Die Mehrzahl der Schülerinnen votierte für Gartenstadt Kötzschenbroda, wenige waren für Radebeul. Die Entscheidung fiel auf Radebeul.
Immer wieder erinnert sich Frau Piprek an ihr Elternhaus auf der Meißner Straße in Kötzschenbroda. Ihr Vater war Landwirt. Als einzige Tochter unter 4 Brüdern durfte sie die höhere Schule besuchen. Oft half sie den Geschwistern bei den Hausaufgaben. 1949 legte ihr jüngerer Bruder nach der Kriegsgefangenschaft am Luisenstift das Abitur ab. Nur zögernd spricht Frau Piprek von ihren sehr guten Lernerfolgen.
Zum Abschluss erhielten wir auf dem Zeugnis eine Beurteilung. Ich war sehr froh und ging stolz nach Hause. Aber später war ich der Meinung, dass ich viel zu gut beurteilt worden war.
Frau Piprek arbeitete später als Oberstufenlehrerin für Mathematik und Chemie in Köthen.
Die Zeit im Gespräch mit Frau Piprek verging wie im Flug. Sie sollte uns noch mehr aufschreiben.
Frank Thomas