Ein ungewöhnliches Kunstwerk

Zur Gestaltung des Vorplatzes der Neuen Kirche Peter und Paul zu Coswig

Die Gestaltung des Kirchenvorplatzes nach dem Entwurf der Architektengruppe Koop und Singer

Die Gestaltung des Kirchenvorplatzes nach dem Entwurf der Architektengruppe Koop und Singer

Wer in Coswig auf der Johann Sebastian Bach-Straße zur Kirche läuft, dem fällt zunächst die leuchtende goldene Kugel auf der Turmspitze auf, dann das schwarze Schieferdach, das sauber gefügte Quadermauerwerk der Fassade aus grau patiniertem Postaer Sandstein, die bogenförmigen roten Fenstereinfassungen aus Rochlitzer Rhyolith-Tuff. Nicht zuletzt wird dem Betrachter das mit viel Einfühlungsvermögen gestaltete monumentale Portal auffallen, das durch den roten Rhyolith-Tuff besonders zur Wirkung kommt – eine meisterhafte Arbeit des Steinmetzen, Renaissance, wie man sie in Meißen noch finden kann. Aufmerksamkeit verdienen auch das Basrelief über dem Portal von Bildhauer Heinrich Weinhold und auch die vollplastischen seitlichen Eck-Figuren Petrus und Paulus.
Mehrere historische Baustile sind in der Kirche zu einem Gesamtkunstwerk eigener Art vereinigt. Ich habe Schwierigkeiten, das 1901 bis 1903 von Woldemar Kandler errichtete Bauwerk in einen Stil einzuordnen: Vielleicht „Historismus“. Im gleichen Geschmack wurde zur gleichen Zeit das Dresdener Schloss umgebaut; auch das bekannte Schloss Neuschwanstein in Bayern ist um diese Zeit errichtet worden.
Doch dann sehen wir den Vorplatz der Kirche. Die Befestigung des Platzes erfolgte 2003 anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Kirche. Sie bildet ein Kunstwerk, das zweifellos einzigartig ist. Gestaltet hat es der Freie Architekt BDA Dipl.-Ing. Heinz Koop. Offensichtlich hat er uns seine Religionsphilosophie hier in Steinen geschrieben. Ich will versuchen, das Werk zu deuten.
Zentrum des Platzes ist eine kreisrunde Platte, die von einer ringförmigen Leiste umschlossen wird. In die Platte sind die griechischen Buchstaben Alpha und Omega eingehauen. Von ihr gehen in alle vier Himmelsrichtungen Leisten aus bis zum Rand des Platzes. Die Platte wird umgeben von einem Kreis in regelmäßig ausgeführter, konzentrisch angeordneter Pflasterung, die von einem einreihigen Großpflaster umschlossen wird. Die Pflasterung außerhalb des Großpflasterkreises ist gleichfalls konzentrisch angeordnet, aber bewusst deutlich aufgelockerter und mit normalen Pflastersteinen ausgeführt, die eine deutliche Abnutzung zeigen. Vom Rande des Platzes her führen Leisten zur Mitte. Der zentrale Stein und die Pflastersteine sind Lausitzer Granodiorit; nach außen hin sind einzelne schwarze Basaltsteine in die Pflasterung eingestreut, gezielt zur Auflockerung des sonst einheitlich grauen Farbeindruckes. Die Umkränzung des zentralen Steines und die Leisten bestehen aus einem hellen Granit mit großen, weißen, eigengestaltigen Feldspatkristallen, der aus China kommt und mit der Handelsbezeichnung „Padang Kristall“ benannt wird. Die Leisten sind sorgfältig geschliffen und mit zum Teil heute ungebräuchlichen Lettern sauber beschriftet.
Die Inschrift »UR« in Keilschrift

Die Inschrift »UR« in Keilschrift

In Stein gehauen stehen religionshistorische Ereignisse und die Heiligen Orte, an denen sie stattfanden, aufgezeichnet in der Schrift, die zur Zeit des Ereignisses dort geschrieben wurde. Seine Quellen hat Heinz Koop nicht hinterlassen. In den angefügten Texten wird versucht, die jeweilige historische Situation der genannten Ereignisse zu umreißen. (Reihenfolge der Aufzählung entgegen dem Uhrzeigersinn)

PETER-PAULS-KIRCHE COSWIG 1903 n. CHR.
Schrift: Klassisch antiqua.
Die Neue Kirche Peter und Paul wird geweiht; Grundsteinlegung war am 11. 11. 1901, Hebefest am 24. 06. 1903, Einweihung am 09. 10. 1903 unter Arthur Theodor Haymann (Pfarrer in Coswig 1892–1913, geb. 19. März 1848, gest. 21. Dez. 1926).

WITTENBERG – REFORMATION 1517 n. CHR.
Schrift: Renaissance antiqua.
Martin Luther wendet sich 1517 in 95 Thesen gegen den Ablasshandel, Beginn der Reformation.

COSWIG – ALTE KIRCHE PETER+PAUL 1497 n. CHR.
Schrift: Renaissance antiqua.
Die Kirche Peter und Paul wird 1497 geweiht. Stifter ist der Grundherr Nickel von Karras.

FULDA – DOM 751 n. CHR.
Schrift: römische Uniziala.
Der Dom wird gegründet. Bonifazius (geb. 675 – ermordet 754) fand im Dom seine letzte Ruhe. Er hat die Menschen in weiten Gebieten des heutigen Deutschlands zum Christentum bekehrt, errichtete Bistümer und Klöster, war vom Papst zum Missionsbischof und später zum Erzbischof geweiht worden. 742 gründete er das Kloster Fulda, es wurde sein Lieblingskloster.

ROM – PETERSKIRCHE 350 n. CHR.
Schrift: römische capitalis monumentalis.
Die 1. Peterskirche wird unter Kaiser Konstantin d. Gr. erbaut, 322 n. Chr. begonnen, 326 n. Chr. geweiht

JESUS – + 30 n. CHR. “ICH LEBE UND IHR SOLLT AUCH LEBEN”
Schrift: römische capitalis monumentalis.
Johannes 14,19. Jesus Christus von Nazareth lehrt Nächstenliebe, Gleichheit, Frieden, Gottvertrauen und erteilt den Auftrag zur weltweiten Verkündigung. Er wird in Jerusalem gekreuzigt.

JERUSALEM – TEMPEL 955 v. CHR.
Schrift: hebräisch / römische capitalis monumentalis.
Unter König Salomo (965-926 v.Chr.) wird in 7 Jahren Bauzeit der erste Tempel errichtet, das Schiff ist 60 Ellen lang, 20 Ellen breit und 30 Ellen hoch (3 Könige (1 KG) 6,1-6,38).

KONSTANTINOPEL – HAGIA SOPHIA 360 n. CHR.
Schrift: griechisch
Kaiser Konstantin d. Große (Regierungszeit 306-337 n.Chr.) förderte die christliche Kirche; unter ihm wurde 330 n. Chr. Byzanz mit dem Namen Konstantinopel Hauptstadt des Römischen Reiches, das heutige Bauwerk „Hagia Sophia“ wurde unter Kaiser Justitian von 532-537 n. Chr. als christliche Kirche erbaut.

UR – ABRAHAM 1700 v. CHR. ERZVÄTER
Schrift: Keilschrift
Ur in Babylonien ist die Geburtsstadt Abrahams (Genesis 11), Gott schließt mit Abraham ein Bündnis (Genesis 17).

Was wollte uns der Künstler sagen? – Gott ist das allgegenwärtige Zentrum, Alpha und Omega, Anfang und Ende, Unendlichkeit. Gott umfasst das gesamte Universum – angezeigt durch die Himmelsrichtungen, durch die N-S und O-W Leisten. Die weiteren radialen Leisten bedeuten: Alle streben zu Gott – aber nur der Tempel zu Jerusalem und Christus kommen von Gott und führen bis zu Gott. Nur diese Leisten stoßen im Bauwerk durch den zentralen Kreis bis zum Zentrum vor. Die Leisten mit den Inschriften weisen in die Richtungen, aus denen die Informationen zu uns gekommen sind.
Nun werden Sie fragen, woher wusste Herr Koop, in welcher Richtung von unserem Kirchplatz die historischen Stätten liegen. Seine Witwe verriet mir: Die zweite Liebe, die stille Sehnsucht ihres Gatten, galt der Seefahrt. Er hatte sich mit Navigation befasst. Und so war es ihm möglich, aus den Koordinaten der Orte auch die Richtungen zu berechnen, in der, von Coswig aus gesehen, diese Orte liegen. Und er hat sie selbst mit dem Kompass auf der Baustelle eingemessen. So hat er hier seinen Glauben, seine Sehnsucht und seinen Beruf vereinigt.
Heinz Koop kam 1995 nach Coswig. Hier baute er das Neue Rathaus, übernahm die Sanierung und den Umbau der Villa Teresa und die Renovierung der Neuen Peter Pauls-Kirche. Die Gestaltung des Kirchenvorplatzes war sein letztes Projekt. Er nahm kreativ am kirchlichen und gesellschaftlichen Leben der Stadt teil. 2005 ist Heinz Koop verstorben. In diesem Kunstwerk hat er uns ein Zeugnis seiner Weltanschauung überliefert. Es zeigt das Allumspannende des Glaubens in Raum und Zeit. Lob und Dank dem Künstler; Dank allen, die den Bau ermöglicht haben: – dem Gemeindepfarrer, Herrn Dipl.-Theol. Ullrich Schuster und den Mitgliedern des Kirchenvorstandes der Peter Pauls-Kirchgemeinde Coswig.

Brigitte u. Siegfried Grunert

Am Bau des Vorplatzes waren beteiligt:
Bauherr: Ev.-Luth. Kirchgemeinde Coswig.
Gestaltung: Heinz Koop, Dipl.-Ing., Freier Architekt, BDA (geb. 1942, gest. 2005).
Architekt: Architektengruppe Koop u. Singer, Dipl.-Ingenieure, Freie Architekten, BDA,
Kötitzer Straße 24, 01640 Coswig.
Übertragung der Inschrift „Ur“ in Keilschrift durch die Altertumswissenschaftler F. Weiershäuser und K. Zand, Univ. Göttingen (Brief vom 06.Okt.2003), vermittelt durch Frau Pfarrerin Dipl.-Theoln. I. Schuster.
Ausführung der Bildhauer-Arbeiten: Handwerksmeister D. Vogt und Meister Herklotz, „Neidmühle“ Talstraße 46, 01665 Roitzschen, Gemeinde Triebischtal.
Ausführung der Gartengestaltung: Garten- und Landschaftsbau Berthold & Strasser GmbH,
Bohnitzscher Str. 33, 01662 Meißen.

Quellen
– Akten der Peter Pauls-Kirchgemeinde, Coswig/Sa.
– Bertelsmann Lexikon, Gütersloh 1996 B.
– Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes, vollständige Ausgabe nach den Grundtexten übersetzt.
und herausgegeben von V. Hamp, M. Stenzel u. J. Kürzinger, Weltbild Verlag GmbH, Augsburg 1998.
– Informationen: Frau Eva Koop, Witwe des Architekten Heinz Koop, Kötitzer Str. 24, 01640 Coswig.
– Mai, Hartmut: Alte und neue Kirche Coswig. Grosse Baudenkmäler Heft 524. Deutscher Kunstverlag München
Berlin. 1. Auflage 1997.

Danksagung
Herrn Dipl.-Theol. U. Schuster, Gemeindepfarrer der Ev.-Luth. Peter Pauls-Kirchgemeinde Coswig/Sa., danke ich für die Erlaubnis, die Akten der Peter Pauls-Kirchgemeinde einsehen und auswerten zu dürfen.

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