Frau Edit Bönisch kam gerade von ihrem Spaziergang zurück, als wir uns zum vereinbarten Termin trafen. Wir wollten über ihre Schulzeit im Luisenstift sprechen, einer Zeit, die 90 Jahre zurückliegt. An vieles kann sie sich noch gut erinnern. So auch an ihr Klassenlied. Eine Kopie des Textes und ein Jahresheft hatte sie auf den Tisch gelegt.
Pfarrer Prof. M. Bischoff , Oberstufendirektor schreibt in diesem Jahresheft, den „Nachrichten aus dem Luisenstift“ am Stiftstag im Oktober 1930:
Am 2. April 1930 sang die neue I. Klasse ihr Klassenlied.
„Stets unverzagt“ ist Name und Leitwort des Liedes. Wir Lehrer freuen uns alle der ernsten und schönen Gedanken des Liedes und beglückwünschen die Klasse zu ihrem Gelöbnis der Frömmigkeit und Vaterlandsliebe.
Frau Edit Bönisch wird im Oktober dieses Jahres 99 Jahre alt. Sie erinnert sich. Wir standen am Treppenaufgang im 1. Stock, als wir das Lied sangen. Es war üblich, dass sich die Abschlussklassen einen Namen und ein Lied gaben. Von jedem Lehrer weiß sie eine Geschichte zu erzählen, sie kennt noch die Fächer, die sie unterrichteten. Frau Dr. Reymann unterrichtete Mathematik und Naturwissenschaften. Sie war ab 1927 unsere Klassenlehrerin. Mit ihr lernten wir auch unsere nähere Heimat kennen. Die Ausflüge führten uns nach Moritzburg, Meißen und natürlich Dresden.
Sehr feierlich war auch die Einweihung der Turnhalle im Mai 1927, ich war damals in der III. Klasse.
Im Stiftsbericht schreibt Gabriele Jahn, die Schulvorsteherin des Luisenstifts: Ja, unsere neue Turnhalle kann sich sehen lassen, das werden mir alle bestätigen, die sie kennen! Groß, hell und luftig, mit Ankleide- und Waschräumen, mit neuen Turngeräten versehen, entspricht sie allen modernen Anforderungen.
Frau Bönisch kommt auf ihre jüngeren Schwestern Käte und Marianne zu sprechen. Auch sie sind „Luisenkinder“.
Meine ältere Schwester Herta, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiern wird, war in der Klasse der „Frohen“. Sie durfte ihre Reifeprüfung am Luisenstift ablegen.
Für den Deutschaufsatz waren ihr zwei Themen zur Wahl gegeben:
- 1. Bringt das Verlassen der Schule wirklich die ersehnte Freiheit?
- 2. Warum arbeiten die Menschen?
Frau Edit Bönisch konnte erst nach 3-jährigem Besuch an der Studienanstalt Dresden-Neustadt die Reifeprüfung ablegen. Die Zulassung zum Studium war nur für eine Schülerin pro Klasse möglich, so lernte ich nach einigen vergeblichen Bewerbungen in einem Fotofachgeschäft auf dem „Weißen Hirsch“.
Ihr Vater, er war Oberlandmesser in Dresden, ermahnte sie, dass man das, was man beginnt, auch zu Ende zu führen hat. Trotzdem wechselte sie ihren Beruf und wurde Säuglingspflegerin. Ihre Ausbildung erfolgte in Düsseldorf, danach in Bitterfeld. Später ließ sie sich zur Krankenschwester ausbilden. Durch die Pflege ihrer kranken Mutter, danach auch ihres Vaters, musste sie die Arbeit in der diakonischen Schwesternschaft unterbrechen.
Frau Edit Bönisch blickt auf 10 Jahre Tätigkeit als Gemeindeschwester in der Niederlößnitz zurück. Auch im Pfarrtöchterheim konnte sie ihre beruflichen Erfahrungen einsetzen, bevor sie ihr jetziges Zuhause im Pflegeheim Neufriedstein fand.
Der Wahlspruch ihrer Klasse im Luisenstift „Stets unverzagt“ gilt für Edit Bönsch noch heute.
Frank Thomas