„Überqueren Sie den Kiesweg!“

Nachdenkliches, Skurriles und Erheiterndes bei der Abschiedshow des Balletts der Landesbühnen Sachsen

feistel-portraitWäre es nach dem Willen des Publikums gegangen, dann hätte der Abend wohl die doppelte Länge gehabt. An Repertoire herrschte jedenfalls keinerlei Mangel. Allein das eingesetzte Maß an physischer Kraft schob nach mehr als zweieinhalb Stunden Programm der Abschiedsshow des Ballettensembles sowie des Ballettmeisters und Choreographen Reiner Feistel einen Riegel vor. Dennoch machte der Abend zugleich auf eindringliche Weise deutlich und sichtbar, welch großartige Entwicklung die im Vergleich zu anderen Theatern relativ kleine Radebeuler Ballettcompagnie in den vergangenen mehr als zehn Jahren genommen hat. Keine andere Sparte des Radebeuler Theaters kann auf solch üppige Zuschauerzahlen verweisen wie das Ballett. Keine andere Sparte hat eine solch große Zahl an treuen Fans an sich binden können wie das dem Ballett gelungen ist. Und keine andere Sparte spricht ein Publikum an, das quer durch alle Altersgruppen reicht.
Nun zieht der Choreograph Reiner Feistel von dannen, wechselt mit Beginn der neuen Spielzeit 2013/14 an das größere und auch bedeutendere Theater nach Chemnitz. Einige der Tänzerinnen und Tänzer gehen mit ihm. Das ist von alters her unter dem „fahrenden Volk“ so üblich. Und schmerzt in der Endkonsequenz dennoch ziemlich deutlich.
Zu all dem kommt nun auch noch die gelungene großartige Abschiedsgala, die dem Theater am Abend des 7. Juli 2013 eine restlos ausverkaufte Vorstellung bescherte.
Querbeet wandelte der Choreograph dabei mit seinen Protagonisten durch das Repertoire der letzten 15 Jahre. Holte die Ballettabende auf der Studiobühne ins Gedächtnis zurück (bspw. die Choreographien zu „Business Time“ nach Musik von Philip Glass, zu „Linie Vierzehn“ mit Musik von Bobby Mc Ferrin oder auch die zur „Frommen Helene“, für deren Choreographie Feistel eine Musik von Jaques Offenbach nutzte) und erinnerte außerdem natürlich an die Ballettabende auf der großen Bühne des Theaters wie es bspw. „Dornröschen“ und „Schwanensee“ (beides mit Musik von P.I. Tschaikowski) oder auch die so eindringlich und wirkungsvoll für das Ballett choreographierte Musik von Carl Orff zur „Carmina Burana“ waren.
Reiner Feistel selbst tat an diesem Abend haargenau das, was er eigentlich immer tat. Das heißt, er nahm sich aus dem Geschehen nicht heraus. Er stand nicht am Rande und mimte den Leiter bzw. den Chef, sondern war – ganz im Gegenteil – immer mittendrin. Er wirbelte selbst mit Tempo, Verve und jederzeit professionellem Habitus auf der Bühne herum. Und zeigte zugleich seinen ausgeprägten Sinn für die Komik. So machte er bspw. ein Interview mit sich selbst. Er verwandelte sich dafür in den urkomischen Moderator Reinhard Speiche vom „Radweg TV“, der mit einem in der Gasse verborgenen Reiner Feistel ein Interview führte. Das tat er ohne jeden Funken von Eigenlob. Ihm war es immer schon um sein Ballett gegangen und nicht darum, vordergründig zu zeigen, was ein Choreograph so alles können muss.
Nicht nur die gesamte Mixtur des Abends war bestens gelungen, auch die in Feistels Compagnie innewohnende Begeisterung für den Tanz war buchstäblich in jeder Sekunde sicht-, spür – und so für den Zuschauer miterlebbar. Die wunderbare Komik bspw. im Umgang mit den Tücken eines Autonavigators produzierte Lachtränen im Publikum. Wer hat das nicht schon einmal erleben müssen, dass einen die Navigatorstimme nicht zum ersehnten Ziele, sondern in eine imaginäre Irre führt. Und dass man u.a. dabei auch den unlogischen Befehl bekommen kann „Überqueren Sie den Kiesweg!“

Eröffnungsshow der Spielzeit 2012/2013

Eröffnungsshow der Spielzeit 2012/2013

Kein anderer Bereich des menschlichen Miteinanders erlebt eine ständige und zugleich so gewaltige Fluktuation, wie es der Bereich der Bühnenkünste ist. Das aber ist Usus, seit Theater, Kabaretts Orchester und Opernhäuser existieren. Und diese Fluktuation macht von daher gewissermaßen auch Sinn. Kunst muss stets aufs Neue Funken sprühen, sonst stirbt sie irgendwann. An den Landesbühnen Sachsen in Radebeul steigt nun ein neuer Choreograph in den Ring. Der Zuschauer sollte ihn nicht an der Qualität des vorherigen messen. Er sollte ihn mit Sympathie empfangen und annehmen und sollte auf sein Talent vertrauen.

Wolfgang Zimmermann

 

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