Eine Ausstellung im Museumsdepot zur Radebeuler Sportgeschichte
»Radebeul ist eine Stadt, in der die Kultur in großem Ausmaß zu ihrem Recht kommt. Radebeul muss aber auch eine Sportstadt werden!« So lautete das Fazit eines kurzen Beitrags, in dem Redaktionsmitglied Hans Voigt im Juliheft der ›Vorschau‹ von 1959 die »Situation im Radebeuler Breiten- und Spitzensport« umriss. Kultur und Sport wurden also auch damals schon sauber getrennt und gegeneinander aufgewogen. Voigts Lageeinschätzung war düster. Obwohl sich verantwortliche Funktionäre seit langem »mit der Konzentration der leistungsfähigsten Sportler in einigen wenigen Gemeinschaften« – Chemie, Motor und Einheit – beschäftigten, gäbe es noch kaum Erfolge zu vermelden. »Wir erreichen weder eine Massenbasis, noch über den Rahmen Radebeuls hinausreichende Spitzenleistungen, wenn man von den Sportanglern absieht«. »Perspektivpläne« müssten her, um z.B. die Fußballer von Chemie und die Handballerinnen von Motor schnellstmöglich in die obersten DDR-Ligen zu führen.
Das mit Attributen – Reben-, Garten-, Industrie-, Karl-May-, »zum Genießen« – reich gesegnete Radebeul mag vielleicht keine »Sportstadt« gewesen sein, aber immerhin waren auch 1959 schon rund 2.500 Radebeulerinnen und Radebeuler in Sportgemeinschaften organisiert, über sechs Prozent der Einwohnerschaft (heute liegt der Anteil ungefähr doppelt so hoch). Und dass die von den Funktionären so geliebten zählbaren Erfolge bis dahin ausgeblieben waren, hatte nicht zuletzt mit dem wenig erfreulichen Zustand der verfügbaren Sportstätten zu tun, der sich allerdings schon zu bessern begann. Erst am 1. Mai jenes Jahres war der größte kommunale Sportplatz an der Steinbachstraße nach umfassenden Wiederherstellungsarbeiten als »Stadion der deutsch-sowjetischen Freundschaft« wieder für den Sportbetrieb freigegeben worden.
Eingefleischte Sportmuffel waren die Radebeuler jedenfalls nicht, zuzeiten war es in der Lößnitz sogar ausgesprochen sportlich zugegangen, insbesondere zwischen den Weltkriegen, als die Körperkultur allerorten einen gewaltigen Aufschwung erlebte. Allein von 1920 bis 1932 entstanden im heutigen Stadtgebiet nicht weniger als sechs neue Sportplätze, vier davon angelegt durch die oder mit Unterstützung seitens der Gemeinden, die die Förderung der Leibesübungen nun auch als öffentliche Aufgabe wahrnahmen. (Auch das jüngst so umstrittene »Weinbergstadion« wurde schon im Sommer 1931 als von drei örtlichen Turnvereinen gemeinsam geschaffener erster ordentlicher Fußballplatz Kötzschenbrodas eingeweiht, ohne dass sich Anwohner beschwerten.) In jedem der damals noch selbständigen Lößnitzorte gab es wenigstens einen Turnverein, und in denen wurde längst nicht mehr nur geturnt; auch Vereine für Radsport und Kegeln, Tennis, Wandern und Schach existierten schon seit dem frühen 20. Jahrhundert. Der Radebeuler Ballspielclub, der 1933 sein 25-jähriges Bestehen feierte, war auch damals noch stolz darauf, dass seine Fußballer 1919 »Kreismeister der 1. Klasse« geworden waren; Wassersportler dreier Vereine trainierten seit den 20er Jahren auf der Elbe bei Kötzschenbroda, und in immer mehr der größeren Unternehmen wurden seit Anfang der 30er Jahre Betriebssportvereinigungen gebildet.
Die zwei Zäsuren von 1933 und 1945, als zunächst die Arbeitersportvereine und nach Kriegsende dann die verbliebenen bürgerlichen Vereine zwangsweise aufgelöst wurden, haben der Sportbegeisterung der Radebeuler auf die Dauer nichts anhaben können. Schon 1945 gründeten sich in Radebeul-Ost und -West neue Gemeinschaften, die später als BSG Alcid bzw. Chemie und BSG Motor bzw. Planeta unter das Dach der jeweils größten Betriebe schlüpften, und mit den Jahren stellten sich auch die im eingangs angeführten Beitrag noch vermissten Erfolge in reicher Zahl ein. (Nur der Weg in die Fußball-Oberliga erwies sich als zu weit; und dass potentielle Kaderathleten in den von der Partei ausgewählten Fördersportarten – sofern sie keine Westverwandten hatten – zu den anderswo stationierten Sportclubs delegiert wurden, verstand sich in der planwirtschaftlich organisierten Medaillenfabrik DDR von selbst.)
Nach der politischen Wende von 1989 entstanden aus wenigen Betriebssportgemeinschaften zahlreiche größere und kleinere Vereine. Auch ganz neue Disziplinen und Vereine kamen hinzu, sodass die Möglichkeiten für sportliche Betätigung in Radebeul heute vielfältiger sind als jemals zuvor. Und wer nicht den Wettkampf sucht, sondern einfach Freude an der Bewegung hat oder – für sich oder in der Gruppe – etwas für die Gesundheit oder gegen den inneren Schweinehund tun möchte, findet in Fitness-Studios und Bädern, beim Tanzen und natürlich in der freien Natur jede Menge Entfaltungsmöglichkeiten. Selbst den Mount Everest kann man inzwischen einmal jährlich am Spitzhaus ersteigen, und für passive Genießer bieten die Landesbühnen »Theatersport« an.
Dass der Sport in Radebeul ein »Stiefkind« sei, wie es 1965 einmal in der SZ zu lesen stand, kann man, wenn es denn jemals zugetroffen hat, heute im Ernst nicht mehr behaupten. Das heiß ersehnte dritte Stadion wird schon irgendwann kommen, und nachdem schon 1959 darüber diskutiert wurde, wie man den Boden der Elbhalle so erneuern könnte, dass ihn nicht mehr jedes Hochwasser zerstört, wird dies beim x-ten Versuch gewiss funktionieren. Was aber in Radebeul bislang tatsächlich etwas stiefmütterlich behandelt wurde, ist die örtliche Sportgeschichte, über die man aus der heimatkundlichen Literatur herzlich wenig erfährt.
Um diese Lücke im historischen Bewusstsein schließen zu helfen, hat sich die AG Stadtmuseum beim Kulturamt für ihre diesjährige Ausstellung im Museumsdepot des Themas »Leibesübungen in der Lößnitz« angenommen. Anlass ist das 150. Jubiläum der Gründung des Turnvereins zu Kötzschenbroda, mit dem 1863 die Geschichte des Vereinssports in der Lößnitz begann.
Die erste Hälfte der Ausstellung geht der weitgehend in Vergessenheit geratenen Frühgeschichte des Radebeuler Sports bis 1945 nach, in der zumindest bis zum I. Weltkrieg die Turnvereine den Ton angaben. Nicht »schneller, höher und weiter« lautete deren Motto, sondern »frisch, frei, fröhlich und fromm« bzw. – in der Variante der SPD-nahen Freien Turner, die seit 1893 in der Lößnitz präsent waren, – »frisch, frei, stark und treu«. Das Turnen war damals nicht allein Körperertüchtigung, sondern gleichzeitig Bekenntnis, bei den Deutschen Turnern zu Vaterland und Kaiser, bei den Freien zu Solidarität und dem Ziel einer Gesellschaft ohne Ausbeutung; Geselligkeit und Gesang wurden aber auf beiden Seiten groß geschrieben, und auch im öffentlichen und kulturellen Leben waren die Turner ein wichtiger Faktor. Wie es in der Zwischenkriegszeit weiterging, als der moderne Sport in den Vordergrund trat und die »englische Krankheit«, der Fußball, auch in der Lößnitz zu grassieren begann, wurde oben bereits kurz angedeutet und wird in der Ausstellung anhand von Dokumenten und Fotos aus dem Stadtarchiv sowie Leihgaben aus privaten Sammlungen vor Augen geführt.
Während dieser Ausstellungsteil zwangsläufig Lücken aufweist – bedingt durch die Traditionsbrüche des 20. Jahrhunderts sind die bekannten Zeugnisse dünn gesät, und von manchem der frühen Vereine ist kaum mehr überliefert als der Name –, war bei der Vorstellung der jüngeren Radebeuler Sportgeschichte aus Platzgründen eine Beschränkung auf ausgewählte Aspekte des sportlichen Lebens zu DDR-Zeiten nötig. Auch dieses Kapitel wartet mit einer Fülle von Informationen und Fotos sowie Trophäen, Sportgeräten und Zeugnissen von Vereinen, aus privater Hand und der Sammlung des DDR-Museums auf. Ein kurzer Dokumentarfilm von Christoph Leonhardt über den Trainings- und Wettkampfalltag junger Turnerinnen der BSG Chemie Radebeul Ende der 1970er Jahre, der mittlerweile ebenfalls schon historischen Wert besitzt, rundet die Präsentation ab.
Für sport- und geschichtsinteressierte Radebeuler hat die Schau, die am 9. Oktober um 19 Uhr im städtischen Museumsdepot, Wasastraße 21 (Hintergebäude, 2. Stock) eröffnet wird, mit Sicherheit allerhand Wissenswertes zu bieten, und vielleicht kann der eine oder andere Besucher ja noch persönliche oder Familienerinnerungen beisteuern, die den hier präsentierten Überblick über die Radebeuler Sportgeschichte ergänzen.
Frank Andert
Die Ausstellung »Leibesübungen in der Lößnitz – 150 Jahre Radebeuler Sportgeschichte« ist bis voraussichtlich Februar 2014 jeweils am letzten Mittwoch im Monat von 15 bis 19 Uhr geöffnet. Zusätzliche Besichtigungstermine können gern vereinbart werden (Tel. 0351-8311605). Der Eintritt ist frei.
Frank Andert