Ein Ausflug ins Mittelalter

Aus beruflichen Gründen und beinahe zur gleichen Zeit aber ohne voneinander zu wissen haben Familie Rau und ich einige Jahre lang im Raum zwischen Marienberg und Zöblitz im Erzgebirge ein Zuhause gehabt. Als wir im Kreis der Arbeitsgruppe Stadtmuseum auf diese schöne Gemeinsamkeit stießen, war rasch der Entschluß gefaßt, im Rahmen einer Exkursion auch die anderen Mitglieder daran teilhaben zu lassen. So machten wir uns an einem sonnigen Julitag dieses Jahres auf den Weg. Bis ins späte Mittelalter hinein galt das Erzgebirge als ein schwarzer, undurchdringlicher Wald: Miriquidi. Es lag in vollkommener Ruhe. Nur vereinzelt wagten es Reisende, auf schmalen Pfaden das Gebirge zu durchqueren. Die sogenannten Böhmischen Steige zeugen noch heute davon. Sie haben sich vereinzelt als tiefausgefahrene Hohlwege in der Landschaft erhalten. Dann aber, im 12. Jahrhundert, war es mit der Ruhe plötzlich vorbei. Damals, bei uns im Elbtal wurde gerade der Grund gelegt für die noch heute gültige Flureinteilung, erscholl im Gebirge das Berggeschrey. Es waren reiche Silbervorkommen gefunden worden. Wie die Archäologie heute weiß, geschah das nicht nur in der Freiberger Gegend, sondern auch im Raum Dippoldiswalde. Bauern und Handwerker folgten den Bergleuten auf dem Fuße, und binnen weniger Jahrzehnte waren große Lücken in die Wälder gerissen und das Gebirge bis zum Kamm hinauf besiedelt. Hatte ich dank meiner Teilnahme an archäologischen Untersuchungen im damaligen Kreis Marienberg einen Nachhall des Berggeschreis zu hören bekommen, führen Ursel und Jochen Rau den Klang des Erzgebirges noch heute in der Stimme. Unsere erste Station war die Wehrkirche von Lauterbach. Pfarrer Rau hatte dort jahrelang Dienst getan, und der Blick der Eheleute blieb nicht ohne Wehmut am alten Pfarrhaus hängen. Das einst stolze Dorf (das in einschlägigen Kreisen nicht zuletzt durch den auch in Radebeul getrunkenen Lauterbacher Tropfen berühmt ist) wurde 1443 erstmalig urkundlich erwähnt und gehört – wie die von uns auch besuchten Orte Niederlauterstein und Pobershau – heute zur Stadt Marienberg. Sein einst die Ortsmitte zierendes spätgotisches Kirchlein stand gegen Ende des 19. Jhs. zum Abriß und sollte durch eine größere Kirche ersetzt werden. Vor allem dank der Initiative (…) der Königlichen Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler in Dresden wird das ehrwürdige Bauwerk durch die Umsetzung auf den neuangelegten (…) Friedhof (…) doch noch gerettet, schreibt Werner Spickenreuther. Die für die damalige Zeit einmalige denkmalpflegerische Leistung gilt bis heute als beispielgebend und verdient noch immer größte Hochachtung. Beginnend im März 1906 war innerhalb eines Jahres nicht nur die alte Kirche abgetragen und an neuem Standort wieder aufgebaut, sondern auch eine neue größere Kirche errichtet worden. Unter sachkundiger Führung bewunderten wir die spätgotische Ausmalung und den beeindruckenden Dachstuhl mit dem hölzernen Wehrgang. Schon bis dahin hatte sich die Reise gelohnt und kann jedem Leser nur empfohlen werden. Das nächste Ziel war die Ruine der Burg Lauterstein. Notwendige Sicherungsmaßnahmen am Mauerwerk hatten hier 1974 eine Reihe von archäologischen Untersuchungen ausgelöst, in deren Ergebnis die Vorstellungen vom Gang der Besiedlung deutlicher gefaßt werden konnten. Dies auszubreiten, fehlt hier der Platz – der interessierte Leser sei auf die Literatur verwiesen. Die Burgen Lauterstein und Nidberg, den Werner gebaut hat, flankieren den hier das Tal der Pockau querenden Alten Böhmischen Steig, der von Rochlitz über Zschopau kommend über Zöblitz und Rübenau ins Böhmische führte. Sind von der später zu Schloß und Amt ausgebauten und 1639 von den Schweden niederbegrannten Burg Lauterstein, noch der mächtige runde Bergfried und imposante Mauerreste des Palas erhalten, erscheint der Nidberg nurmehr als runde Felskuppe – ihrem Profil nach Löwenkopf genannt – mit inzwischen verschütteten vorgelagerten Gräben. In seiner Nähe ist der alte Hohlweg noch heute begehbar. Unterhalb des Nidberg liegt auf der westlichen Pockauseite eine Ortswüstung, eine um 1200 entstandene und nicht länger als 100 Jahren bestehende Burgsiedlung, die vielleicht zu Gunsten der Gründung von Zöblitz aufgegeben worden ist. Sie ist von einem im Volksmund als Schwedengraben bezeichneten Erdwerk umgeben. Im Pobershauer Huthaus zum Molchner Stollen wurde eingekehrt. Leider war es aus Zeitgründen nicht möglich, ins Schaubergwerk einzufahren. Am Nonnenfelsen erwarteten uns die im Gelände erhaltenen Spuren einer weiteren Wehranlage hoch über dem Schwarzwassertal. Ein durch einen tiefen Graben vom Hinterland abgetrennter Bühl (vergleichbar dem Todhübel überm Lößnitzgrund) zeugt davon, daß die Siedlungstätigkeit bis in höchste Höhen durch Burgenbau gesichert worden war. Durch die Bäume hindurch war ein Blick übers Tal zum Raubschloß Liebenstein möglich, eine im Staatsforst Kriegwald gelegene zeitgleiche zweiteilige Wehranlage. Hier weisen geringe Mauerreste, Gräben und Wälle auf die Mühen des mittelalterlichen Landesausbaus in einer atemberaubend schönen Gebirgslandschaft. Wir schieden mit der Absicht, wiederzukommen.

Thomas Gerlach

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