Als ich im vergangenen Jahr meinen Redaktionskollegen den Vorschlag unterbreitete, die Tierkarrikaturen von Lieselotte Finke-Poser als Titelbildserie zu veröffentliche, ahnte ich nicht, was auf mich zukommt. Mein Vorschlag, die Kunst ohne Worte wirken zu lassen, stieß auf heftigen Widerspruch. Und so sinniere ich nun: Was fällt mir beim Anblick eines Spiegelaffen ein?
Dass der Affe ganz schön durchtrieben ist, war mir sofort klar. Nicht sich, sondern uns Menschen hält er den Spiegel vor. Gezeichnet hatte ihn Lieselotte Finke in den 50er Jahren aus purer Lust am Fabulieren. Mehr Sein als Schein, lautete der elterliche Rat, den sie einstmals mit auf den Weg bekam und der ihrem Leben Orientierung bot. Doch damit würde sie heute wohl kaum Karriere machen können – weder als Künstlerin noch als Bankangestellte, denn nur ein makellos schöner Mensch gilt als begehrenswert und vorzeigbar. Ewige Jugend und Schönheit sind die Ideale der Neuzeit. Spiegelaffen liegen im Trend, vermehren sich rasant und unisex. Ob Botox oder Tatoo, ob Marken- oder Designerfummel, der Mensch mutiert zum Lifestyle-Kunst-Produkt. Nur der Blick nach Innen würde dem Spuk wohl ein rasches Ende setzen. Denn Schein oder Sein, fremd- oder selbstbestimmt, das sind hier die entscheidenden Fragen.
Karin (Gerhardt) Baum