Empört Euch! (Oder lieber doch nicht?)

Zur Premiere von „Frank der Fünfte“ an den Landesbühnen Sachsen am 19./20. April 2014

Binnen eines guten Jahres hat das Schauspiel der Landesbühnen Sachsen drei Stücke auf die Bühne gebracht, die vor dem Hintergrund der so genannten „Bankenkrise“ und des nachfolgenden Zusammenbruchs von einst für stabil gehaltenen sozioökonomischen Systemen in Europa von Irland bis Griechenland (wieder) aktuell sind. Was mit einem ganz neuen Stück des Spaniers Sergi Belbel und einen Blick auf den Absturz der vermeintlich materiell abgesicherten Mittelschicht im März 2013 begann („Im Abseits“, verfasst 2011), sich in einer komischen Persiflage von Dario Fo über die Verweigerung systemkonformen Konsumverhaltens einfacher Leute im Dezember 2013 fortsetzte („Bezahlt wird nicht“, geschrieben 1974) fand nun seinen Abschluss (?) in einer Komödie Friedrich Dürrenmatts aus dem Jahr 1958, die mit dem Sicherheitsabstand von mehr als fünf Jahrzehnten den Scheinwerfer auf jene Personengruppe richtet, die für den ganzen Schlamassel verantwortlich gemacht wird: Die Banker. Man würde Dürrenmatt allerdings unrecht tun, schlösse man daraus in falscher Verehrung seiner Weitsicht, dass „Frank der Fünfte“ endlich anschaulich macht, wie die Raffzähne und Geldhaie wirklich arbeiten und die Ackermanns dieser Welt ihr Geld verdien(t)en. Dürrenmatt selbst hatte nach seinem Welterfolg „Der Besuch der alten Dame“ (1956) ein viel zu entspanntes Verhältnis zum Geld und den Möglichkeiten, die sich aus dessen Verfügbarkeit für ihn ergeben hatten, als dass er sich – noch dazu als Schweizer! – für eine pauschale Schelte des Bankwesens hergegeben hätte. Die Oper einer Privatbank (Musik: Paul Burkhard) ist demnach mitnichten dazu geeignet, sich als Zuschauer behaglich zurückzulehnen und mit dem Finger auf die Bösewichter zu zeigen, die – wie im hier konkret verhandelten Fall – schon in fünfter Generation mit Betrügereien, raffinierten Winkelzügen und klitzekleinen Mordkomplotten aller Art ihr Geldgeschäft verrichten. Denn Dürrenmatt wäre nicht er selbst, stünde hinter diesem Grundeinfall nicht seine Überzeugung, dass ein Theaterstück über sich hinausweisen, es in Parabelform ein Modell der Wirklichkeit abgeben müsse. Und nimmt man das zum Maßstab, dann schimmern am Deutungshorizont all die undurchsichtigen Machenschaften von machtgierigen Politikern, windigen Juristen, geldgeilen Managern, gedopten Profisportlern, käuflichen Chefärzten etc. auf, von denen die Medien voll sind und über deren Verfehlungen und Skandale wir selbstbewusst uns sündenfrei dünkenden Normalen uns alle mit schaurigem Wohlbehagen aufregen.
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Die Radebeuler Inszenierung (Arne Retzlaff a.G.) rollte unter dem von Dürrenmatt gewählten Motto aus dem Lukas-Evangelium „Handelt, bis ich wiederkomme“ (19,13) am Osterwochenende über das gut unterhaltene Publikum hinweg. Die Textstelle aus der Heiligen Schrift verweist im Umfeld der berühmten Erzählung von der Begegnung Jesu mit dem reichen Zöllner Zachäus und dessen Bekehrung auf das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden, einer der ausgesuchten Bibelstellen, in denen tatsächlich das Wort „Bank“ vorkommt (Lukas 19,23). Dem nach der Schrift auferstandenen Jesus stellt das Stück den wenig durchsetzungsstarken, schöngeistigen Privatbankier Frank V. (Matthias Henkel) gegenüber, der aus nüchternem Kalkül seinen Tod inszeniert, indem er einen neuen Mitarbeiter um die Ecke bringen und diesen unter seinem eigenen Namen begraben lässt. Das verschafft ihm nach seiner geheim gehaltenen „Auferstehung“ vom Grabe die Möglichkeit, seinen Plan von der geschmeidigen Liquidation der defizitär arbeitenden Bank umzusetzen, damit er und seine resolute Frau Ottilie (Anke Teickner) unter dem Namen Hansen untertauchen und das durchgebrachte Privatkapital retten können. Den Firmenchefs unterstellt ist ein krudes Sextett, bestehend aus dem Prokuristen (Michael Heuser), den drei Schalterbeamten (es erschließt sich nicht ganz, wieso Johannes Krobbach, Olaf Hörbe und Tom Hantschel Frisuren tragen, die an den ehrbaren Entertainer Götz Alsmann erinnern), dem neuen Mitarbeiter Päuli Neukomm (Moritz Gabriel) und der heimlichen Hauptfigur, Personalchef Egli (Mario Grünewald). Denn Egli ist es, der die Fäden in der Hand hält und der als einziger Charakter einigermaßen psychologisch ausgearbeitet daherkommt. Nicht nur ist er gewiefter Strippenzieher, kaltblütiger Verkäufer und loyaler Vollstrecker der Befehle seiner Chefs, er ist auch als Privatperson fassbar. Seine Zuneigung zur seit 20 Jahren als Firmenhure guten Kundendienst leistenden Frieda Fürst (Sandra Maria Huimann) wird nur noch von seiner Liebe zum Absinth übertroffen. Allen langjährigen Mitarbeitern der Bank gemeinsam ist ihre Ermattung am gemeinen Geschäft und der Wunsch, sich möglichst rasch mit dem an den Chefs vorbei per Nachschlüssel zum Tresor beiseite geschafften Geld aus dem Staub zu machen. Dumm nur, dass alle miteinander viele schreckliche Geheimnisse teilen und deshalb niemand lebend aus der Bank ausscheiden darf… Das Stück spinnt sich zügig und kurzweilig zwischen absurdem Klamauk und schwarzem Humor über zweieinhalb Stunden fort und lässt den Zuschauer sowohl an Geschäftspraktiken teilhaben, mit denen ein Maschinen- und Uhrenfabrikant (jeweils Jost Ingolf Kittel) und eine Hotelbesitzerin (Cordula Hanns) übers Ohr gehauen werden sollen, als auch an bankinternen Strategien der Personalreduzierung durch Mord in allen möglichen Varianten. Im Bühnenbild (Stefan Wiel) nimmt die Vorstellung einer aalglatten Geschäftswelt auf, denn das Ensemble agiert auf und zwischen vertikal orientierten Flächen, deren rechteckige Aussparungen sowohl als Banksafes als auch als Fenster imaginiert werden. Im Hintergrund zeigt Ronny Philipp, der auch als muskulöser Kellner Guillome agiert, diverse äquilibristische Kunststückchen, wobei deren Funktion unklar bleibt. Die Kostüme der Schauspieler sind stimmig, indem die jeweils einfarbigen, glatten Stoffe die Eindimensionalität der Figuren spiegeln. Die mit der Handlung verwobenen Songs (sie erinnern ein bisschen an Brecht, ein wenig auch an moderne Musicals) geben den Charakteren Gelegenheit, den Status Quo zu kommentieren und ihre ganz persönliche Perspektive auf die Dinge auszubreiten. Manche der Lieder sind wirklich launige Piecen und sorgen für berechtigte Lacher im Publikum.
Das Stück endet mit der scheinbar grotesken Wendung, dass die auftretenden Erpresser der Privatbank die eigenen, vom Ehepaar lange geheim gehaltenen Kinder (Cordula Hanns als Franziska, Johannes Krobbach als Herbert) sind, die es ohne viel Gegenwehr vermögen, die Geschäftsführung an sich zu reißen. Es geht also weiter, wenn auch ohne das alte Personal: Frank und Ottilie treten ab und beginnen ihr zweites, bürgerliches Leben, die ehemaligen Mitarbeiter hatten inzwischen alle das Zeitliche gesegnet. Einzig der ewige Egli wusste zu überleben. Doch damit nicht genug: Er erkennt die Zeichen der Zeit als erster und postuliert das Credo für die Zukunft: „Von jetzt an wird legal gewirtschaftet, einige Jahre brutaler Ehrlichkeit, und wir tanzen wieder im Reigen der Großbanken mit.“ Was nichts anderes heißt als: Die Bank ist tot, es lebe die Bank!
Mit zufriedenem, langem Applaus entließ das Publikum sich und das Ensemble in die laue Osternacht.

Bertram Kazmirowski

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Ein Kommentar

  1. Funke
    Veröffentlicht am Do, 1. Mai. 2014 um 13:07 | Permanenter Link

    Die Rezension von Frank V. spiegelt recht gut auch meine Eindrücke wider, wenn auch dein Text (durch die partizipialen Einschiebungen) manchmal etwas schwer zu lesen ist. Ich fand außerdem Dreierlei bemerkenswert:
    1. Das Makabre – die seitlichen Türen dienen vor allem als Gruft, wo die Särge verschwinden und wieder auftauchen
    2. die Schräge der Bühne – die mich an das Staatsschauspiel Dresden erinnert (z.B. bei Shakespeares Komödie „Was ihr wollt“)und von den Schauspielern gr. Sportlichkeit abverlangt
    3. Die Äquilibristik: alles kommt doch wieder ins Gleichgewicht – trotz der Verbrechen!

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