Das wechselnde Niveau einer Straße im Laufe der Zeit

Die Weinbergstraße in Oberlößnitz

Wer auf engstem Raum etwas vom Charakter der Lößnitz spüren möchte, sollte bitte die Weinbergstraße in ihrer vollen Länge abschreiten, gleichgültig, ob von oben nach unten oder umgekehrt. Ich sage bewusst Schreiten, nicht Fahren (obwohl das bei vorgeschriebenen 30 km/h auch möglich ist), man nimmt nach allen Seiten viel mehr wahr.
Bis 1904 hieß die heutige Weinbergstraße Obergasse und war ein Verbindungsweg am Fuß des Steilhanges zwischen einzelnen, verstreut liegenden Winzerhäusern und Weingütern.

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Aufmauerung am oberen Ende der Weinbergstraße

Danach hieß sie Obere Bergstraße (von Oberlößnitz, Niederlößnitz hatte auch eine) und erst ab 1935 trägt sie den heute üblichen Namen Weinbergstraße. Dieser vom Lößnitzbach an nach Osten leicht ansteigende Weg, wie ihn der Maler Moritz Retzsch gesehen und gemalt hat, war schmal und entsprach eher einem Feldweg als einer Straße, machte daher auch keinen Unterschied zwischen Fahrbahn und Fußweg. In historischer Zeit genügte das offenbar den Ansprüchen. Die Gründe dafür, dass man ab 1900 nachdachte, wie man aus dem Sandweg eine Straße machen könne, dürften sowohl mit dem Niedergang des Weinbaus nach der Reblauskatastrophe, einer beginnenden städtebaulichen Verdichtung mit neu entstandenen Wohnhäusern (Villa Jordan u.a.), dem Umbau von ehemaligen Winzerhäusern (Haus Hofmannsberg), dem Neubau gewerblich genutzter Gebäude (wie dem Bilzsanatorium) und auch der beginnenden Entwicklung des Automobilbaus zusammen hängen.
Wir können verallgemeinernd feststellen, dass bei Straßeninstandhaltung und Rekonstruktion selten das Niveau, also die messbare Höhe der Straßenoberfläche vorher und hinterher, gleich bleiben wird, meist sind es Erhöhungen im Zentimeterbereich. Aber das Niveau ändert sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte auch durch natürliche Einflüsse wie Ausschwemmungen oder Ablagerungen nach Regengüssen oder auch Ablagerungen von Humus und Schmutz, von willkürlichen Veränderungen seitens der Anlieger ganz abgesehen.
Ich weiß nicht, wie der Straßenbau der Oberen Bergstraße von 1904 endete, ob es damals schon eine Asphaltdecke gab oder erst später. Auf jeden Fall wurde an mindestens zwei Stellen der Straße der Weg deutlich aufgefüllt, also die Straße höher gelegt. Das erkennt man noch heute, wenn man genau hinschaut jeweils am Anfang und am Ende der Weinbergstraße. Es könnte sicherlich zum einen an dem Wunsch nach einem kontinuierlichen Straßengefälle und zum anderen an besseren Anbindungen einmündender Straßen gelegen haben. Am Lößnitzbach, von dem wir annehmen dürfen, dass er nach Verlassen des Lößnitzgrundes hier über die Jahre Schwemmland abgelagert hat, also im Spiegel angestiegen ist, könnte der alte Weg im Bereich der Kreuzung mit der Lößnitzgrundstraße inzwischen um etwa einen Meter tiefer gelegen haben. Dieses Problem dürfte sich mit dem Bau des Bahndammes der Schmalspurbahn 1884 noch deutlicher abgezeichnet haben.
Meine Annahme, dass der Kreuzungsbereich dieser zwei Wege im 19. Jh., bzw. noch früher, tiefer lag, möchte ich an zwei Punkten festmachen. Vor den beiden Neubauten von Weinbergstraße 1a stand hier ein bäuerliches Wohnhaus, das gegenüber dem Niveau der neuzeitlichen Straßen in einer knapp 1m tiefen Senke lag. Ich erinnere mich an dieses Haus, weil hier mein täglicher Schulweg vorbeiführte. Auch das Haus Lößnitzgrundstraße 23 liegt, was am meisten bei den EG-Fenstern auffällt, ca. 0,5m tiefer als die Straße. Der andere Punkt ist das untere Tor zur Hoflößnitz, bzw. zur Lößnitzgrundstraße 19, von dem noch die beiden Sandsteintorpfeiler mit oberem Abschluss von Platte und Kugel vorhanden sind – an Torflügel der Toranlage habe ich keine Erinnerung. Hier wunderte ich mich im Vorbeigehen schon ein paar Mal über die unausgewogenen Proportionen: für die Massigkeit der Pfeiler einschließlich Aufbau erscheint die Höhe der Pfeiler deutlich zu kurz. Das kann man mit ähnlichen Torsituationen aus dem 17. oder 18. Jh. In Radebeul vergleichen, wo die Proportionen noch stimmen, so auch das obere Tor zur Hoflößnitz, wenngleich das jünger ist. Beim unteren Tor stimmten die Proportionen so lange, wie die Straßen tiefer (ca. 1m) lagen. Die Proportionen wurden erst mit der Auffüllung von 1904, die etwa 1m betragen haben muss, verändert. Ein Beweis könnte durch eine lokale Grabung an einem der Pfeiler gefunden werden, wenn dies beantragt und genehmigt würde. Und wenn wir schon so kühn sind, man könnte doch auch über die Freilegung, Hebung und Aufstellung der Pfeiler in der richtigen Höhe nachdenken. Aber nein, in Altzella bei dem romanischen Tor in der Einfriedung hat man bisher auch darauf verzichtet, die richtige Torhöhe wieder herzustellen! Vielleicht ließen sich im Archiv tatsächlich noch Planunterlagen zur Straße von 1904 finden, die ggf. meine Theorie bestätigen würden?
Längs der Weinbergstraße erkennen wir mehrere überdachte Weinbergspforten. Die lichte Höhe dieser Pforten ist unterschiedlich, einige sind so knapp bemessen, dass man beim Durchschreiten den Kopf einziehen muss. Auch das könnte mit älteren Niveauerhöhungen der Straße bis zu einem halben Meter zusammenhängen. Gut, es heißt ja auch, dass unsere Altvorderen im Durchschnitt kleiner waren als heutige Menschen, also kann beides eine Rolle gespielt haben.
Beim ganz nahe an der Straße gelegenen Haus Barth habe ich auch den Eindruck, dass die EG-Fenster gegenüber der Straßenoberfläche ungewöhnlich tief sitzen – hier könnte die Straße einen Viertel Meter angewachsen sein. Müssen wir uns das alte Wegeniveau als eine Art „Berg- und Talbahn“ vorstellen?
Am oberen Ende der Weinbergstraße, da, wo sie in die heutige Eduard-Bilz-Straße (früher Strakenweg) einmündet, muss es auch 1904 eine Korrektur des Straßenniveaus durch Auffüllung gegeben haben. Spuren dieser Auffüllung können wir, wenn wir genau hinschauen, an der oberen Stütz- und Einfriedungsmauer des Weinbergs zur Bennostraße 41, Haus Steinbach, erkennen. Als die Obergasse noch tiefer lag, genügte hier die Höhe der alten Syenitmauer. Nach erfolgter Auffüllung war dann ein Aufmauern mit Normziegeln erforderlich, um den Weinberg, bzw. die Ernte, abzusichern und um eine Absturzsicherung für Fußgänger zu garantieren. Die Aufmauerung steigt von West nach Ost auf ca. 50m an und beträgt zwischen 0,20 bis 1,40m. Die Notwendigkeit dieser Auffüllung hängt sicherlich auch mit der besseren Anfahrt zum Bilzsanatorium zusammen – vor der Auffüllung muss der Stich zum Eingang des Sanatoriums noch wesentlich steiler gewesen sein.
Welche Niveauänderungen die Straße zwischen den Kriegen, also in den 20er oder 30er Jahren des 20. Jh., erfahren hat, ist mir nicht bekannt, wohl eher keine. Eine möglicherweise in dieser Zeit ausgeführte Schwarzdecke, war nicht sehr dauerhaft. In meiner Kindheit kann ich mich nur an Reste von Asphalt erinnern. Im Elan der ersten Jahre nach der Wende, es könnte 1994 gewesen sein, ging man daran, die Weinbergstraße mit neuem Granit-Kleinpflaster auszustatten, obwohl hier vorher kein Pflaster gelegen hatte. Das sollte den historischen Charakter der Straße unterstreichen und zu der Vielzahl von Kulturdenkmalen, beim Meinholdschen Turmhaus beginnend und aufwärts, passen. Das Geld, auch Fördermittel, endete in Höhe von Haus Lorenz; über eine Weiterführung des Granitbelags wurde zwar im Rathaus immer mal gesprochen, aber es kam bisher nicht dazu. Bei der vorläufig letzten Sanierung versuchte man sich an das vorgefundene Niveau zu halten. Der Verzicht auf einen gesonderten Fußweg war wegen der geringen Straßenbreite beabsichtigt. Ich erinnere mich, dass ich damals mit den Steinesetzern, die traditionell und gut arbeiteten, etwas fachsimpeln wollte, allein es scheiterte an der Sprache, denn sie kamen aus Tschechien oder der Slowakei. Sie haben sicherlich an meiner Gestik erkannt, dass ich ihre Arbeit zu schätzen wusste. Vielleicht erlebe ich ja noch die Fertigstellung der Pflasterung der Weinbergstraße, das wäre schön.

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Unteres Tor zur Hoflößnitz

Ja, ich spreche die ganze Zeit von Straße, aber es ist ja eigentlich gar keine. Als sehr alte Straße erfüllt sie wohl in mehreren Punkten, darunter die Breite, nicht die Norm einer heutigen Straße. Irgendwie passt die Weinbergstraße eher zu einem Trabbi als zu einem Porsche Panamera! Dass diese Straße in mancher Hinsicht anders ist als andere Straßen, macht sie zusammen mit vielen optischen Wahrnehmungen – vorwiegend schöne Häuser, Mauern und Weinberge, große Bäume und Durchblicke in die Landschaft des Elbtals – so anziehend. Ich erinnere mich gern, dass eine Delegation aus unserer saarländischen Partnerstadt, der ich hier Erläuterungen zur Weinbergstraße geben konnte, begeistert war von unserer Stadt und dieser Straße, ich möchte sie noch vielen Freunden zeigen können!

Dietrich Lohse

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