Vorschau und Rückblick – der Titel dieses Monatshefts sollte nicht nur gestandene Radebeuler zum wachsamen Betrachten der Vorgänge in ihrer Stadt anregen. Einem regelmäßigen Besucher Radebeuls mag dies auch einmal gestattet sein, vor allem wenn dieser seit mehr als dreieinhalb Jahrzehnten hier befreundete Familien aufsucht und sich dadurch mit der Gegend längst auch innerlich verbunden fühlt.
Als ich Anfang des Jahres in einem der Radebeuler Vorschau – Hefte den Artikel „Von einem, der auszog…“ las, der von den „Erlebnissen“ des kleinen, aus dem Museum Hoflößnitz gestohlenen Winzers erzählt, wurden in mir viele Erinnerungen an die Zeit geweckt, als ich in den späten 1970er Jahren zum ersten mal als Südwestdeutscher nach Dresden und Radebeul reiste. Damals staunte ich nicht schlecht, auch hier ausgedehnte Weinberge zu erblicken, wie ich sie bisher nur aus den Rheingegenden, von den Mainufern und Württemberg kannte. Der Goldene Wagen mit Weinbergstraße, Spitzhaustreppe und Hoflößnitz als dem malerischsten Fleck dieser Weinbaukultur gefiel mir natürlich am meisten. Und dort fand man sogar ein kleines, aber liebevoll eingerichtetes Museum vor, in dem mehr über sächsische Weinbautradition zu erfahren war. Hinzu kam, dass sich das ehemals kurfürstlich – königliche Weinbergschlösschen äußerlich zwar als schlichtes, sauber gegliedertes Fachwerkhaus präsentierte, dessen Inneres hingegen mehrere künstlerisch sehr wertvolle und dazu ansprechende Spätrenaissanceräume barg. Ihre Ausmalung war ja keineswegs provinziell, und selbst die steinernen, gewölbten Erdgeschossräume zeigten bauliche Qualität.
Ich erinnere mich an meine alljährlichen Besuche in den 80er und 90er Jahren, bei denen ich mit Interesse das rege Geschehen bei den qualitätvollen Restaurierungsarbeiten nicht nur der Malereien verfolgte. Die stete Erweiterung der im Erdgeschoss befindlichen Sammlungen zum Weinbau geschah mit Sachverstand und Liebe zum Detail. Kleinen und großen Besuchern bot sich ein informatives Museum, welches sich in völliger Harmonie zur Architektur des Hauses befand.
Die „Wende“ brachte ein ungeahntes Baugeschehen in Dresden mit sich, und vielleicht lag es daran, dass ich meine Schritte immer seltener zur Hoflößnitz lenkte. Bei meinen späteren Aufenthalten in Radebeul stellte ich aber eine Rückwärtsentwicklung fest. Im Museum gab es immer weniger zu sehen, die Gastwirtschaft wurde immer öfter zugesperrt, bis auch die Sammlungen unzugänglich waren – irgendwann vergaß ich meine Besuche dorthin zu steuern.
Bei meinem diesjährigen, sozusagen „obligatorischen“ Sachsen-Besuch erfuhr ich durch Zufall von einer geplanten Gesprächsrunde im Lusthaus unter dem Titel „Quo vadis Hoflößnitz“. Diese Ankündigung empfand ich endlich als eine Gelegenheit, das mir altbekannte Haus aufzusuchen. Ich war neugierig und ging hin. Aber ach, von dem früheren liebenswerten kleinen Weinbaumuseum war gar nichts mehr zu sehen, stattdessen standen da vereinzelte monumentale Vitrinen, die in Größe und Ausführung nicht hätten unpassender sein können. Die Weinterrasse hatte wieder geöffnet, aber man musste Geduld mitbringen und sich selbst kümmern. Der frühere Charme, den der Ort selbst zur DDR- Zeit ausgestrahlt hatte, war dahin.
Zu meiner größten Verwunderung wurden die Zuhörer an diesem Gesprächsabend einführend durch den Stiftungsvorstand dahingehend informiert, dass bei Übernahme durch die neue Geschäftsleitung im Grunde alles, das Museum selbst, dessen Bestand, die Gebäude und die Weinberge sich in einem absolut desolaten Zustand befunden hätten. Auf allen Gebieten habe man quasi neu beginnen müssen, weshalb die Stiftung bis heute mit großen finanziellen Schwierigkeiten kämpfen müsse.
Gleichzeitig präsentierte man verbal vage Planungen, die, nach einer neu erstellten Museumskonzeption, deren Urheberin aber gerade gekündigt habe, vorsahen, die künftige Dauerausstellung des Museums im Nebengebäude des Anwesens zu zeigen. Das Erdgeschoss des Lusthauses werde Wechselausstellungen vorbehalten sein. Entsprechende weiße Tafeln, die sogar historische Türen und einige Gewölbeansätze ignorierten, hatte man beim Betreten des Schlösschens bereits befremdend wahrnehmen können. Dass künftig bei wechselndem Auf- und Abbau von Ausstellungen schnell einmal Kratzer an den Wänden und das Abstoßen von Putzkanten als unvermeidlich hinzunehmen sein werden, dürfte bei Fachleuten kein Geheimnis sein. Aber – nach den Worten der Referenten – soll nun alles total neu und besser als je zuvor werden! Sah man von dieser Verbesserung bereits einiges?
Ich dachte wieder an den Text der Flaschenpost des gestohlenen Winzers und fühlte mit ihm, als habe diese barocke Kleinplastik eine Seele gehabt. Seitdem ließ mich die Idee nicht mehr los, auch meine Gedanken, gleich ihm, aufzuschreiben – was hiermit geschieht. Schließlich störte mich die Art, wie die erläuternden Worte an diesem Abend zu vernehmen waren und zwar von Personen, die den früheren Zutand zugegebenermaßen nicht mehr bewusst kennengelernt hatten.
Alles soll besser, größer und schöner werden! Wem ist das nur eingefallen? Ist der kleine Schlossbau nicht selbst das Hauptexponat des Weinkultur- Museums, vom schlichten Erdgeschoss über die ansehnliche Wendeltreppe hinauf in die ausgemalten Gemächer der einst hier tafelnden Fürsten? Angesichts der finanziellen Nöte – wer hat die nicht – stellt sich mir die Frage, warum die früher intakte und ständig erweiterte Ausstellung überhaupt entfernt wurde, um nach einer zwischenzeitlichen Brache zum gleichen Thema eine neue Präsentation zu konzipieren, die erneut Kosten verursacht. Es war sogar interessant von Überlegungen zu hören, bei bestehendem Geldmangel sei zuletzt vielleicht als einzige Alternative ein Verkauf der ganzen Ankage zu erwägen. Ich weiß nicht, ob das überhaupt möglich ist, aber alleine der Gedanke scheint unerträglich. Geht es hier nicht um öffentliches Kulturgut dieses schönen Landfleckens? Ist es nicht gefährlich, öffentlich ein solch vernichtendes Urteil wie an jenem Abend zum Tun der Vorgänger abzugeben, wenn das eigene Wirken Anlass bot für eine derart hitzige Diskussion? Wie soll das gut gehen, wenn sich die Zuständigen über das angedachte Zentrum für sächsischen Wein, wie erlebt, schon in seiner Planungszeit so wenig auskunftsbereit zeigen, selbst über die Herkunft seiner später hier anzubietenden Weine?
Ich wünsche der „Hoflößnitz“ ein Umdenken seitens der Verantwortlichen und Besinnung auf die vorhandenen Werte mit den seiner Größe entsprechenden Möglichkeiten. Wäre das Ziel des Hoflößnitz-Betriebes nicht Gewinnung von Einheit der Information zur Weinbaugeschichte, Kunstgenuss von Altem und Neuem – und dies verbunden mit der Freude, guten hier gewachsenen und gekelterten Sachsenwein genießen zu können?
Ernst Götz
München