Der erste Weltkrieg am Luisenstift

In vielen Publikationen wird an die europäischen Ereignisse vor 100 Jahren gedacht. In allen Bereichen hat diese „ Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie es manche Historiker bezeichnen, ihre Spuren hinterlassen, so selbstverständlich auch am Luisenstift.
„Der Gedanke an den Krieg erwacht mit uns am frühen Morgen, er begleitet uns am Tage auf Schritt und Tritt, und er liegt noch auf unserer Seele, wenn wir uns am Abend zur Ruhe begeben.“1 So schreibt Elisabeth von Prittwitz, die Oberin des Luisenstifts, im Oktober 1914.

Im Haus selbst war man bemüht, die langen großen Ferien, sie waren mit 7 Wochen länger als je zuvor, zu nützen, Klassenräume und den langen Gang mit hellen Farben zu schmücken und dann diese Katastrophe. Acht Schülerinnen hatten sich abgemeldet. Pastor Professor Amelung, seit 1887 Religionslehrer im Stift, bekam Anfang August seine Einberufung als Sanitätsunteroffizier im Feldlazarett in Dresden. Ein halbes Jahr später schickte man ihn als Feldprediger nach Givet, Gouvernement Namur. Es war sein Wunsch, im Krieg seelsorgerisch tätig sein zu dürfen.
Es war schon schwierig, die Konfirmationsfeier am 26. März 1915 gut vorzubereiten. Die Eltern waren wie immer eingeladen. Man bemerkte mit Freude, dass auch viele Väter gekommen waren. Pfarrer Wagner wollte die Feier eigentlich gestalten, als stünden wir im Frieden. Aber der Tenor änderte sich schnell: Kampf, Krieg, das Wort hat heute einen furchtbaren Klang, der nur gemildert wird, wenn wir innerlich rasch hinzufügen: Verteidigungskrieg für König und Vaterland, daher wie Recht so Pflicht.
Wo waren die Gedanken der 14-jährigen Mädchen? Hörten sie überhaupt noch zu? War man in Gedanken in Zeithain, wo das Mutterhaus, die Diakonissenanstalt Dresden, ein Lazarett eingerichtet hatte? Die Schülerinnen halfen, der Bedarf an Wollsachen, Strümpfen und Wäsche war groß. Auch Feldpostbriefe übergab man der Post in Kötzschenbroda.
Inzwischen gehörte es zum Pflichtprogramm, sich täglich eine Presseschau anzuhören. Die Oberin selbst informierte. Welche Nachrichten bekam man von zu Hause?
Im Januar 1915 wurde Herr Brand, Lehrer der Naturwissenschaften, eingezogen. Er übernahm die Bewachung eines russischen Gefangenlagers in Westpreußen. Auch der Mathematiklehrer, Herr Tischendorf, musste die Schule verlassen.
Unruhe machte sich im Luisenstift breit. Die Hausordnung wurde nicht wie sonst befolgt. Wie konnte man dem begegnen?
So musste das Direktorium nach eingehenden Beratungen den tieftraurigen Beschluss fassen, mehrere Eltern zu bitten, ihre Kinder aus dem Stift abzuholen.
Die anhaltende Kälte im Winter 1916/17 zwang in vielen Schulen, so auch im Luisenstift, zu besonderer Vorsorge. Die Kohlen wurden knapp. Man rückte zusammen, heizte nur wenige Zimmer. Das sollte sich im kommenden Winter wiederholen. Gerüchte, die sich immer mehr verdichteten, tauchten auf, es käme zu großen Reiseschwierigkeiten. So schickte man die Kinder aus Norddeutschland, Schlesien und Österreich bereits Mitte Dezember in die Weihnachtsferien.
Im Februar 1916 gab es großen Jubel unter den Mädchen. „ Heute noch, spätestens morgen, reisen die Kinder ab. Das kleine Haus wird geschlossen. Margarethe geht für die Zeit der Kohlenferien ins Mutterhaus.“, verkündete die Oberin.

Am 26. August 1915 vermeldete die Oberste Heeresleitung, die Festung Brest- Litowsk sei gefallen. Im Luisenstift nahm Pastor Wagner diese Nachricht zum Anlass, in einer Dankesrede der tapferen Soldaten zu gedenken. Und es gab schulfrei. Weitere Lehrer wurden in den Kriegsdienst eingezogen.
Einerseits sollte das Leben im Stift in gewohnter Weise weitergehen, aber die Kriegsereignisse waren nicht auszublenden. So trafen sich die Schülerinnen mittwochs am Abend zur Kriegsgebetsstunde in der Kapelle in Bethesda2. Neben den gewohnten Liedern stimmte man auch alte Vaterlandslieder an.
Sollte man sich nicht von den goldenen Stiftsringen trennen, die die ehemaligen Luisenkinder zum Abschluss ihrer Schulzeit bekamen und sie als Kriegsopfer spenden? Ersatz zu beschaffen, war nicht möglich. Also verwarf man diesen Gedanken. Vorerst, wie sich herausstellen sollte.
Später aber musste man die goldenen Ringe durch silberne ersetzen.
Das Stiftungsfest aus Anlass des 60. Jubiläums des Hauses fiel aus, des Krieges wegen.
Marianne Freiin von Welck, inzwischen neue Oberin im Stift, wandte sich zu Kriegsende an ihre Schülerinnen:
Ihr könnt Euch denken, daß in den schrecklichen Revolutionstagen unser liebes Stift wie ein Friedensasyl war, das von allen traurigen Geschehnissen wenigstens äußerlich völlig unberührt blieb. Aber durch die Zeitung erfuhr doch ein jeder mit blutendem Herzen von der Absetzung bzw. Abdankung seines geliebten Landesherren.
Daneben gab es andere Sorgen. Viele Mädchen erkrankten an Grippe. Sie führte zu Unterrichtsausfall, zumal besondere Quarantänebestimmungen einzuhalten waren. In Bethesda waren die Pocken ausgebrochen.

Der Fortbestand des Hauses stand nie Infrage, 37 Schülerinnen gingen ab, 73 traten ein.
Frank Thomas
Zeugnisse der Schulgeschichte des Luisenstiftes werden gern angenommen.

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