Zur Premiere von „Dinner für Spinner“ am 14.2.15 in den Landesbühnen
Curt Goetz, einer der meistgespielten, weil einer der handwerklich besten Komödienschreiber deutscher Sprache, machte sich nicht nur um die gute Durchblutung der Lachmuskeln seines Publikums verdient, sondern auch um die messerscharfe Analyse menschlicher Eigenarten. Eine seiner diesbezüglichen Sentenzen lautet: „Wer in einem gewissen Alter nicht merkt, dass er hauptsächlich von Idioten umgeben ist, merkt es aus einem gewissen Grunde nicht.“ In die Irre geht, wer Goetz überhebliche Boshaftigkeit oder gar Verachtung für bemitleidenswerte Minderbegabte unterstellt. Vielmehr meint er mit „Idioten“ die ungezählt große Schar an Menschen, die aufgrund einer ganz eigenartigen Schrulle oder eines sehr speziellen Spleens ihre Umwelt verstörend bereichern, weil sie eben aus der Norm zu fallen scheinen. Bei genauerem Hinsehen, so Goetz, stellt sich jedoch heraus, dass fast alle Menschen – also auch jene, die in einem Theatersaal sitzen – mehr oder weniger einen kleinen Vogel haben. Und aus der Warte eines Komödienschreibers ist das ja auch gut so, denn so ist an Belustigungsgegenständen kein Mangel.
Aus diesem Boden der anthropologischen Tatsachen entfaltete sich die jüngste Schauspielproduktion im großen Saal Landesbühnen Sachsen unter der Regie von Peter Kube. „Dinner für Spinner“ des französischen Drehbuchautors und Filmregisseurs Francis Veber (1997 als Drehbuch entstanden, ein Jahr später und dann noch einmal 2010 verfilmt) ist ein unterhaltsamer Spaß, dessen Premiere am Valentinstag als bittersüßer Kommentar zum Fest der Verliebten gedeutet werden kann. Das im gediegenen Chic eingerichtete Wohnzimmer des Pariser Verlegers Pierre Brochant (Grian Duesberg) ist der Schauplatz für ein einerseits amüsantes, andererseits aber auch zunehmend durchschaubares Verwirrspiel, das auf erprobten komödiantischen Versatzstücken beruht. Es wird weniger verstanden als missverstanden, es wird beleidigt und sich entschuldigt, man stolpert und stürzt (natürlich stets an der gleichen Stelle), es wird geflucht und gewimmert und zwischendrin klingelt immer mal das Telefon. Im Zentrum all dessen steht – pardon: liegt – eben jener Brochant, denn er laboriert just an jenen Abend an einem Hexenschuss, obwohl er doch zu gern im Hause eines (ungenannt bleibenden) Freundes anlässlich eines allwöchentlichen, im Freundeskreis abgehaltenen Abendessens ein ganz besonderes kurioses Exemplar Mensch präsentieren will, Francois Pignon, um so einen Preis für den besten Spinner zu gewinnen. Denn genau das ist Brochants und seiner Freunde idiotisches Hobby: Verschrobene Menschen aufzuspüren, um sie zum Essen einzuladen und sich auf deren Kosten zu amüsieren. Dummerweise hatte er Pignon gebeten, zuerst zu ihm nach Hause zu kommen und ihn abzuholen. Und also fällt Pignon in Brochants Apartment ein (Tom Böhm gestaltet eine großzügig bemessene Fläche, die dem Konversationsfluss auf intelligente Weise dient und Nebenräume wie Küche, Bad und Büro andeutet) und wird es bis zum Ende des (mit Pause) gut zweieinviertelstündigen Stückes nicht mehr verlassen. Olaf Hörbe, der in seinen vielen Jahren an den Landesbühnen tendenziell mehr für ernste Rollen eingesetzt wurde (König Lear, König Philipp II. in „Don Carlos“, Baumeister Solness u.a.) gewinnt die Sympathien des Publikums binnen weniger Minuten durch seine Interpretation des Pignon, der sich insbesondere durch drollige Begeisterung für Modelle aus abgebrannten Streichhölzern auszeichnet, von denen er einige in jahrelanger Arbeit gefertigt hat. (Die Regie erlaubt sich einen verschmitzten Seitenhieb auf die hiesigen Verhältnisse, indem angeblich auch ein kleines Modell der Waldschlösschenbrücke darunter ist.) Die Schnittmenge zwischen dem selbstverliebten Geck Brochant und dem putzigen Finanzbeamten Pignon ist gering, wären da nicht die Frauen. Brochants Frau Christine (Julia Vincze) ist unzufrieden mit dem (dämlichen) Gatten, und Pignon wartet noch immer auf die Heimkehr seiner Julie, die mit einem Surflehrer durchgebrannt ist. Pignons gut gemeintes, aber selten gelungenes Bemühen, die Ehe zwischen Brochant und Christine zu retten verleiht dem Stück Humor und Würze.
Denn um Brochant und seine nicht mehr ganz frische Beziehung zu Christine herum einerseits und seinen neuen Bekannten Pignon andererseits sind alle anderen (Neben-) Figuren angelegt. Professor Archambaud (Tom Hantschel) als Brochants Hausarzt ohne viel Mitgefühl, der Schriftsteller Juste Leblanc (Holger Uwe Thews a.G.), der als früherer Partner von Christine in einer Mischung aus Bedauern und Schadenfreude die Eheprobleme seines Konkurrenten goutiert, Marlene (Julia Rani), die weniger die geheime Freundin Brochants als vielmehr dessen fleischgewordene Heimsuchung ist, schließlich noch Lucien Cheval (Moritz Gabriel), die Karikatur eines überkorrekten Beamten und Pascal Meneaux (Tom Hantschel), ein zwielichtiger Testosteronprotz, in dessen Arme sich Christine womöglich aus Verzweiflung und in trunkener Liebessehnsucht gestürzt haben könnte – aber nicht hat, wie sich herausstellen wird.
Das anberaumte „Dinner für Spinner“ im Freundeskreis mit Pignon als Gast findet an diesem Abend allerdings nicht statt. Stattdessen kann der Zuschauer im Auf und Ab der Handlung charakterliche Auswüchse insbesondere bei Marlene und Lucien bestaunen, die sie ebenso als geeignete Kandidaten für ein Spinner-Dinner ausweisen. Ein Schelm wer Arges dabei denkt, dass Pignon zwischendrin auch einem Zuschauer ein selbst gemachtes Omelett reicht… Ob diese Komödie das Zeug zum Erfolgsstück hat, ist keineswegs sicher, dazu ist Veber hierzulande im Unterschied zu Frankreich zu wenig bekannt. Keineswegs sicher bin ich mir auch, ob es spielplantechnisch und lernpsychologisch weise ist, die Premiere als isoliertes Ereignis vor zweiwöchigen Theaterferien anzusetzen. Mögen sich also die Zuschauer zur inoffiziellen zweiten Premiere am 6.3. oder dann auch am 8. und 28.3. (Radebeul) bzw. 21.3. (Meißen) ein eigenes Urteil darüber bilden, ob diese theatralische Kost tatsächlich so schmackhaft ist, dass man seine Freunde zu einem Besuch überreden und den Theaterabend bei einem gemeinsamen Dinner ausklingen lassen sollte.
Bertram Kazmirowski