Zum XJAZZ-Festival am 27./28. Mai in Radebeul
im Mai-Heft der „Vorschau“ kündigte Jazzlegende Günter Baby Sommer ein für Ende des Wonnemonats (27./28.) in Radebeul geplantes Jazzfestival unter dem Titel XJAZZ an und warb um breite Akzeptanz unter Musikfans der Region, damit es zu einer Tradition werden möge. XJAZZ ist, das sollte man wissen, ein seit einigen Jahren sich von Berlin aus über das Land und seit diesem Jahr auch in Europa (Tel Aviv, Istanbul und Reykjavik) verbreitendes Konzertkonzept, das den Begriff Jazz absichtsvoll weit fasst und stilistische Ausflüge zum Soul und Funk, ja selbst zum Gospel und zur Klassik ermöglicht. Es geht also nicht um die reine Lehre (Kann es die in der Kunst überhaupt geben?), sondern um ein atmosphärisch stimmiges Musikerlebnis, weshalb sich die Organisatoren für die Radebeuler Premiere auch drei sehr unterschiedliche, gleichwohl geeignete Locations (wie man Neudeutsch sagt) ausgesucht und eine ganze Palette an Musikern aus dem In- und Ausland eingeladen hatten. Ein großes Plus, so sollte sich erweisen, war die Verwurzelung der jungen Konzertveranstalter von „Dynamite Konzerte“ um Björn Reinemer in unserer Region (Firmensitz im „White House“ auf der Kötzschenbrodaer Straße), was sich im unermüdlichen Engagement im Umfeld des Festivals und zu den Veranstaltungen selbst zeigte. Die insgesamt neun Konzerte fanden zwischen Freitagabend und Samstagabend in der Lutherkirche, im Foyer der Landesbühnen Sachsen und im Areal des Weingutes Aust statt, wobei der Verfasser sich für jene im Weinberg am Sonnabend entschieden hatte. Ich gebe zu, dass ich nicht zu den Kennern der Materie gehöre, sondern mich eher nach dem von Sommer in seinem Artikel ausgerufenen Motto „Viel Vergnügen bei offenen Ohren“ richten und also unvoreingenommen auf die Musik einlassen wollte. Mit mir zusammen fanden sich dann zu spätnachmittäglicher Stunde schon geschätzte 60 entspannt wirkende Menschen im Weingut ein, wo an diesem Tag zwei Bühnen aufgebaut waren, auf denen die vier Acts – Three Fall, Kristin Amparo, Baby Sommer mit Michael Winkler sowie Tabitha Xavier mit Steffen Roth – spielten. Ungewöhnlich, aber in jedem Fall gelungen fand ich die Entscheidung, nicht auf einen großen Namen zu setzen, sondern über insgesamt fünf Stunden die Künstler kürzer, dafür manche auch mehrfach auftreten zu lassen. Nicht nur meiner Meinung nach waren die beiden Auftritte der schwedischen Sängerin Kristina Amparo besondere Höhepunkte, und dies nicht nur deshalb, weil sie sowohl den Beginn als auch das Ende des Konzertabends markierte.
Mit selbst komponierten, stimmgewaltig und doch feinsinnig interpretierten, eher zum Soul tendierenden Stücken verlockte sie die auf Bänken sitzenden, im Gras liegenden und mit Weinglas am Rande stehenden Zuhörer zu gedankenverlorener Versunkenheit in der Musik, besonders in der abendlichen Dämmerung. Wie angenehm, wenn Zeit einmal so zu einem langen sinnlichen Moment gerinnt und inmitten der Natur still zu stehen scheint. Baby Sommer ließ es sich natürlich nicht nehmen, als Schirmherr des Festivals mit seiner Band auch selbst in Erscheinung zu treten und mit dem Saxophonisten Michael Winkler einen seiner facettenreichen Auftritte hinzulegen, bei denen vor allem seine Schlagzeugimprovisationen und die Soloparts Winklers die Aufführung zu einem volltönenden Erlebnis werden ließen.
Dem Vernehmen nach planen die Veranstalter nach der erfolgreichen Premiere auch für 2017 mit einer XJAZZ Edition Radebeul. Die ca. 400 Besucher in den Konzerten machen Mut und Lust auf mehr Jazzmusik zwischen Elbufer und Hangkante, wobei sicherlich die meisten Fans darauf hoffen, dass das unverkrampfte und natürliche Miteinander zwischen ihnen und den Veranstaltern einerseits sowie den Künstlern andererseits, wie ich es exemplarisch im Weingut Aust erleben durfte, erhalten bleibt. Eine Besonderheit dieses Konzertabends bei Winzer Aust war ganz gewiss der terminliche Zusammenfall mit der Eröffnung des Pressenhauses in der nahe gelegenen Hoflößnitz (siehe auch den Beitrag dazu im Heft), von wo gegen Abend einige Besucher des Bürgerfestes unverhofft noch den Weg zum Jazz fanden – und so einen kulturvollen Tag in kulturträchtigem Ambiente ausklingen lassen konnten.
Bertram Kazmirowski