Zum Tod des Schauspielers Rudolf Donath
Das Unvermeidliche, schon länger Erwartete, ist eingetreten: Der Schauspieler Rudolf Donath „weilt nicht mehr unter uns“. Was heißt hier „weilt nicht mehr unter uns“, ist „gegangen“? Ja, er ist am 3. Juli verstorben. Aber ist er wirklich „gegangen“? Wir werden ihm nicht mehr die Hand schütteln können, seine unverwechselbare Stimme vernehmen, die so ganz in seinem Inneren ruhte und oft lange brauchte, bis sie hervorkam. Er war kein Mann der schnellen Worte. Als Schauspieler kannte er deren Gewicht. Dem Wort fühlte er sich verpflichtet. Worte können erschlagen, wohl deshalb wählte er sie mit Bedacht.
Es steht mir nicht zu, eine Einschätzung über Donath abzugeben, weder über seine künstlerische Leistung noch über ihn als Mensch. Ich kann nur skizzieren, welche Eindrücke er in mir hinterlassen hat bei unseren direkten wie indirekten Begegnungen und dabei eine Seite aufschlagen, die allgemein wenig beachtet wird. Donath freilich war sie Zeit seines Lebens wichtig. Es waren gewissermaßen seine Wurzeln, die er nie verleugnete, auch nicht in seinen Betrachtungen über seinen Weg als Schauspieler in der Publikation „Staatsschauspiel Dresden. 100 Jahre Schauspielhaus“.
Donath wollte immer ein kreativer Mensch sein. Beizeiten erkannte er, dass er als erlernter Porzellanmaler nicht weit kommen würde. So mag es kein Zufall gewesen sein, dass er sich der Laienspielgruppe der Manufaktur in Meißen anschloss und 1952 in den gerade gegründeten Dramatischen Zirkel des Plattenwerkes eintrat. Damit war sein Weg „vorausbestimmt“. Schauspielstudium in Weimar, drei Jahre Engagement in Meißen und ab 1960 am Staatsschauspiel in Dresden. Soweit, so gut – soweit, normal. In der Regel ist dann bei den jungen Schauspielern die Liaison mit dem Laientheater beendet. Nicht so bei Donath. Er kehrte 1959 zum Dramatischen Zirkel des Plattenwerkes zurück und gab seine gewonnenen neuen Erfahrungen weiter. Donath übernahm die künstlerische Leitung. In den 17 Jahren seiner Arbeit in der Gruppe führte er das Ensemble zu Höchstleistungen. Mit den Inszenierungen „Kater Lampe“ von Emil Rosenow (1965), „Die Mutter“ von Bertolt Brecht (1966) oder „Urfaust“ von Johann Wolfgang von Goethe unter seiner Leitung hat das nunmehrige Arbeitertheater Geschichte geschrieben. Zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, allein drei Goldmedaillen zu den Arbeiterfestspielen, waren der „Lohn“. Als ihn die stärkeren Verpflichtungen am Staatsschauspiel Dresden enger an die Bezirksstadt banden – u. a. die intensive Zusammenarbeit mit dem Dresdner Regisseur Klaus Dieter Kirst – mochte er den Kontakt zum Amateurtheater dennoch nicht aufgeben. Er suchte und fand den VEB Grafischen Großbetrieb „Völkerfreundschaft“. Und so wurde 1977 in Dresden ein neuer Dramatische Zirkel geboren, dessen künstlerische Leitung Rudolf Donath übernahm. Das war jene Zeit, in der ich erstmals mit Donath zusammentraf. Die Gruppe bereitete ihre ersten kleinen Szenen aus Brechts „Die Mutter“ vor, ein Beitrag für ein Programm zu irgendeinem Jahrestag, welches die Volkskünstler der Stadt im Hygienemuseum aufführten. Mein erster öffentlicher Auftritt in Dresden. Noch Jahre später habe ich mich gelegentlich geärgert, dass ich die Gruppe vorschnell gegen das Arbeitertheater des Baukombinates eingetauscht hatte. Donath war für mich damals kein Begriff. Seine Meißner Vorgeschichte kannte ich nicht und als Theatermann war er für mich ein unbeschriebenes Blatt.
Im Jahr 1979 entstand in der „Straße der Befreiung“ im Zentrum der Stadt eine kleine Zimmerspielstätte, das „Volkskunstpodium“. Die von der Stadt verwaltete Einrichtung wurde Auftrittsort für Dresdner Amateurtheater und für die Donath-Truppe Heimbühne und Probenstätte. Das nächste Achtungszeichen setzte Donath gleich zur Eröffnung mit der Premiere des Songspiels von Kurt Bartsch „Der Bauch“. Bartsch studierte ab 1964 am Institut für Literatur in Leipzig, brach das Studium aus Protest gegen das XI. Plenum der SED („Kahlschlag-Plenum“) ab und wurde 1979 nach einer Protestnote an Erich Honecker (1976–1989 Vorsitzender des Staatsrates der DDR) aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Bartsch lebte ab 1980 in West-Berlin. Die Inszenierung verursachte in der Szene Aufsehen, wurde aber zu den Arbeiterfestspielen delegiert und erhielt dort sogar eine Goldmedaille. So widersprüchlich konnte die DDR sein. Die revueartige Aufführung war durchaus etwas Neues, und Donath hatte die Potenzen der Spieler gut ausgelotet. Da wurde mir klar, die Gruppe würde künftig noch mehr von sich „Reden machen“.
Auch wenn sich Donath mit den folgenden Inszenierungen scheinbar wiederholte („Urfaust“ – 1981, „Kater Lampe“ – 1983), so stellten sowohl die neue Gruppe, wie auch die aktuellen Gegebenheiten (12 bzw. 18 Jahre später) grundsätzlich andere Herausforderungen. Auch für diese Inszenierungen wurde das Theater mit Goldmedaillen zu den Arbeiterfestspielen ausgezeichnet. Elke Tasche, eine Berliner Dramaturgin, urteilte 1984 über die Kater-Lampe-Aufführung: „Diese Aufführung lebt mit der beeindruckenden Ensembleleistung aller Darsteller von einer Grundabsicht, die mit der Komik die Sozialkritik des Stückes betont. Darum ist sie poetisches, niveauvolles Volkstheater und von spannender Aktualität.“ Donath arbeitete genau, zeigte für die Gruppe Verantwortung und verlangte das aber auch von den Mitgliedern. Das war Amateurtheater, wie ich es verstand und mir wünschte. Dennoch wechselte ich nicht, sondern blieb bei den Bauarbeitern, eben auch wegen der „Verantwortung“. Weitere sehenswerte Inszenierungen folgten.
Selbst in der kritischen Zeit des politischen Umschwungs 1989/1990 stand Donath zu „seiner Gruppe“. Mit „Der Besuch der alten Dame“ (2000) sowie „Nachtasyl & Abendrot“ (Spielzeit 2002–2004, Donaths letzter Arbeit mit der Gruppe) schuf er mit dem nunmehrigen H.O. Theater e. V. nochmals „großes Theater“, immer hart am Alltag. Danach gingen die Kräfte langsam zu Ende. Zum 30. Jahrestag des Amateurtheaters, veranstaltet 2007, ehrte ihn die Gruppe mit der Plastik „Der Goldene Rudi“.
Im Jahr 2010 zog er sich endgültig von der Bühne zurück. Nach langer Krankheit ist er nun verstorben. Aber ist er deshalb wirklich nicht mehr gegenwärtig? Mir geblieben, und sicher vielen anderen auch, sind die Sicht auf das Theater, der Wille, um ein künstlerisches Ergebnis zu ringen und die Verantwortung vor der Gruppe, dem Publikum und einem selbst. Donath war sicher hart und unnachgiebig in der Sache aber eben doch oder gerade deswegen liebenswert.
Karl Uwe Baum
Ein Kommentar
Danke für diesen sehr einfühlsamen und guten Artikel. Ein wirklich großartiger Schauspieler ist gegangen.
Einen kleinen, aber sachlich falschen Fakt möchte ich der Ordnung halber aber anmerken.
Der „Grafische Großbetrieb Völkerfreundschaft“ war kein VEB!!!
Er war Parteieigentum, gehörte also der SED.
Ich habe von 1969 bis 1971 dort Buchdrucker gelernt.
Dies nur zur Richtigstellung.
Mir ist auch keine spätere Änderung bekannt.
Mit freundlichen Grüßen
H. Wennerlund