Anmerkungen zum Sanierungsgebiet in Radebeul West
Man mag darüber streiten, ob zum Ausbau des Schulstandortes in Radebeul West ein Sanierungsgebiet nötig ist oder nicht. Letztlich hat das wenig Sinn, schließlich wurde es bereits beschlossen. Deshalb muss es jetzt eigentlich nur noch darum gehen, wie die Sanierung um die Bahnhofstraße herum von statten geht, also, was sich konkret verändern soll. Dabei wird es sicher noch eine ganze Menge zu klären bzw. einen hohen Abstimmungsbedarf geben. So zum Beispiel, ob die alten Bäume im Mittelteil der Bahnhofstraße weg müssen oder nicht und ob der Bahnhofsvorplatz überhaupt Bäume braucht. Ein freier größerer Platz hätte ja so manchen Vorteil für das Stadtgebiet. In diesem Zusammenhang drängt sich der Gedanke auf, worin der Charakter des Stadtteils besteht. Eine Diskussion darüber hätte natürlich noch vor dem Sanierungsbeschluss geführt werden sollen…
Doch bleiben wir pragmatisch. Auf den Informationstafeln im Schaufenster des glücklicherweise entstandenen Bürgertreffs (Wo befände sich dieser eigentlich, wenn die Ladenfläche bereits vermietet gewesen wäre?) kann man Sanierungsvarianten des mittleren Teils der Bahnhofstraße studieren. Weshalb fehlt aber der Bürgervorschlag für schräge Parktaschen? Und worin besteht eigentlich der innovative, neue Ansatz für das Sanierungsgebiet, den die Verordnung für solche Vorhaben vorschreibt? Mit einer Verlegung der Bibliothek oder der Einbeziehung der alten Post auf der Meißner Straße wird es ja wohl bis auf Weiteres nichts werden. Der vorgesehene Ausbau des Schulstandortes im Bereich Harmonie- und Hermann-Ilgen-Straße wird künftig diesem Gebiet nicht nur seinen Stempel aufdrücken, sondern auch eine Vielzahl von Schülern konzentrieren. Welche Konzepte gibt es, um dies in Einklang mit dem Wohngebiet und der Verkehrssituation zu bringen? Derartige Überlegungen ließen sich fortsetzen. Im Laufe des Baugeschehens werden vermutlich noch weitere Fragen auftreten.
Sanierungsmaßnahmen berühren nicht nur die unmittelbaren Bewohner, Gewerbetreibenden sowie Haus- und Grundstücksbesitzer dieser Gebiete, sie sind auch für die Bürger einer Stadt und deren Gäste von Interesse. In eine gewachsene Substanz einzugreifen, ist dabei nicht nur kompliziert, sondern es sollte auch behutsam geschehen. Geht es doch einerseits darum, vorhandene Missstände zu beseitigen und den „Gebrauchswert“ zu erhöhen, aber andererseits auch darum, den Charakter des Gebietes zu wahren. Es hatte sicherlich gute Gründe für die Neubepflanzung der Moritzburger Schlossallee gegeben, aber deren Flair ist nachhaltig beeinträchtigt.
Die Bahnhofstraße ist neben dem Anger von Altkötzschenbroda das Herzstück von Radebeul West. Viele Details prägen diese Straße. Da sind die Häuserfassaden aus der Gründerzeit, die schattenspendenden Bäume, die breiten, teils hochgelegenen Bürgersteige mit ihren besonderen Belägen. Es sind die Mosaiksteine, die die Bürger so lieben, auf denen sie auch nach der Sanierung noch gehen möchten und die stufenfreien Wege. Die hellen Steine im oberen Teil der Bahnhofstraße fallen bestenfalls durch ihre unregelmäßige Lage auf. Dabei sind sie ein historischer Beleg für die Produktion von Baumaterialien in unserer Region. Die als „Dresdner Seifensteine“ bzw. als „Meißner Fußweg-Steinchen“ bezeichneten Klinker findet man an vielen markanten Stellen in der Landeshauptstadt. Sie stehen dort unter Denkmalschutz, so beispielsweise auf dem Theaterplatz oder an der Lukaskirche. In Radebeul findet man sie u. a. in der Gellertstraße und eben in der Bahnhofstraße. Dort prägen sie nun schon über 110 Jahre den Abschnitt von der Meißner Straße bis zur Bahnbrücke und sollten auch aus industriegeschichtlichen Gründen erhalten bleiben. Mittlerweile kann man fehlendes oder beschädigtes Material problemlos ersetzen.
Die Stadt Radebeul sollte sich nicht nur über ihre Lößnitzhänge und zahlreichen Villen definieren.
In der Bebauung und Gestaltung der Bahnhofstraße spiegelt sich die geschichtliche Entwicklung von Kötzschenbroda, besonders ab der ersten industriellen Revolution. Die Bemühungen, eine städtische Atmosphäre durch große attraktive Gebäudekomplexe und breite schattige Gehwege zu schaffen, fand allerdings mit dem Ersten Weltkrieg ein jähes Ende.
Diese traditionsreiche Straße durch eine Sanierung in einen vorzeigbaren Zustand zu versetzen, ist lobenswert. Sie durch zusätzlich Ein- und Umbauten „aufzuwerten“, scheint nicht ratsam, wird doch das wenige Erhaltenswerte gefährdet. Nicht zu vergessen: Es war die Erkenntnis des Gemeinderates von Kötzschenbroda, dass sich die Bahnhofstraße zu einer wichtigen Verkehrsstraße entwickelt habe und dieser daraufhin 1921 den befestigten Ausbau beschloss. Die Bürger jedenfalls hatten keinen geringen Anteil daran. Nun drängt die Zeit. Denn im kommenden Jahr soll mit den Arbeiten auf der Bahnhofstraße begonnen werden.
Karl Uwe Baum