Denkpause?

„Heut mach ich mir kein Abendbrot, heut mach ich mir Gedanken!“
Diese sarkastischen Worte zirkulierten vor einiger Zeit unter den Satirikern in diesem Land, nichts ahnend, dass eben jener Spruch – in sein Gegenteil verkehrt – eines Tages behördliche Handlungsanweisung werden könnte. Die in der „Sächsischen Zeitung“ (SZ) vom 31. März/1. April dieses Jahres angekündigte „Denkpause zur Bahnhofstraße“ für das Radebeuler Rathaus verwunderte schon etwas. In wieweit der Satz der Autorin Nina Schirmer in diesem Artikel „Die Stadt gönne sich eine kreative Denkpause, um noch einmal neu zu überlegen, was durch den Umbau eigentlich erreicht werden soll.“ autorisiert ist, war nicht zu erfahren.

Nach dem der »E-markt« auf der Bahnhofstraße durch tragische Umstände 2016 geschlossen werden mußte, steht der Laden nach kurzem Intermezzo eines Antikhändlers aus Hamburg seit
Anfang dieses Jahres wieder leer.    Foto: K.U. Baum

Der Satz brachte denn auch mehr Verwirrung als Aufklärung, will doch die Stadt in der „Denkpause“ doch noch „überlegen“. Also, doch keine „Denkpause“? Nun versteht der brave Bürger überhaupt nichts mehr. Dabei schien doch eigentlich alles klar: Bäume absägen, Bahnhofstraße „umpflügen“, Schulneubau einfügen. Fertig ist das Sanierungsgebiet. Alles wohl durchdacht! Jedenfalls ließen die zuständigen Verantwortlichen bei allen öffentlichen Auftritten lange Zeit keinerlei Zweifel aufkommen. Und das „Innovative“, was bei geförderten Sanierungsgebieten ja immer eingefordert wird, schien hinlänglich durch Einbeziehung der Objekte „Bahnhof“ und „Post“ gesichert. Noch 2015 hielt OB Bert Wendsche den Bahnhof für unverzichtbar „für den Erfolg des Gesamtprojektes“. Aber Pustekuchen, wie sich mittlerweile herausstellte. Die einen wollen nicht verkaufen und die anderen nicht ins Sanierungsgebiet aufgenommen werden. Und zu allem Unglück stellte sich unlängst noch heraus, daß auch die Bahn-AG den Geländestreifen an der Güterhofstraße, vorgesehen für Parkplätze und Spielanlage (?!), vorerst nicht veräußern möchte. Hatte man evtl. schon in der Planungsphase eine Denkpause eingelegt? Wie kann man als Träger des Sanierungsgebietes auf Objekte als Eckpfeiler der Planung setzen, die man weder besitzt noch ausreichend beeinflussen kann? War vielleicht nur Gedankenlosigkeit im Spiel? Oder sollte die Sache gar wie im SZ-Beitrag „Gegenwind für Stadtverwaltung“ vom 27. März 2018 beschrieben, „durchgepeitscht“ werden?

Auch wenn der untere Teil der Moritzburger Straße nicht mehr zum Sanierungsgebiet gehört, offenbart er ebenfalls das Grundproblem des Einkaufsbereiches in Radebeul-West.  Foto: K.U. Baum

Die große Preisfrage, die nicht erst mit den zuletzt „teils hitzige[n] Diskussionen“ ansteht, ist doch die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Warum dieses Sanierungsgebiet? Die Verbesserung der Parkmöglichkeiten und das fehlende schnelle Internet können es nicht gewesen sein. Der Charakter der Bahnhofstraße, dies hat sich nun doch durchgesetzt, sollte sich nicht ändern. Das Gründerzeitflair möchte keiner missen und die Bäume schon gar nicht. Das Händlersterben aber ist doch nicht eine Frage der fehlenden Sanierung, als vielmehr eine der Umstrukturierung des Handels überhaupt. „Veränderte Konsumgewohnheiten und der Druck der Online-Konkurrenz zwingen immer mehr Händler, sich neu zu erfinden“, schätzt eine Betrachtung aus dem Jahre 2016 ein und charakterisiert in acht Trends wohin sich der Einzelhandel künftig entwickeln wird. Auch wenn letztlich der Onlinehandel bis 2020 „nur“ auf etwa 20 Prozent steigen wird, werden die Städte „leerer“. Über sinkende Kundenzahlen klagen 60 Prozent der Händler, besonders in kleinen und mittleren Städten. Die wirklichen Konkurrenten sind die Einkaufsparks, wo der Kunde etwas „erleben“ kann. Einkaufen ist heute ein Event. Selbst die Supermärkte „hübschen“ sich auf, wie beispielsweise Aldi, Lidl und neulich Kaufhof.
Nicht eine bauliche Sanierung wird dem Handel auf die Sprünge helfen, sondern eine gezielte Wirtschaftsförderung. Gleichwohl besteht das Sanierungsgebiet ja nicht nur aus Handelseinrichtungen. Von den Baumaßnahmen sind ebenso die Hausbesitzer und die 290 Einwohner des Gebietes betroffen. Zugleich ist Radebeul-West das gefühlte Stadtteilzentrum dieses Wohngebietes. Mit den Ideen zur Nutzung von den Gebäuden der ehemaligen Post und des Bahnhofes hätte möglicherweise ein derartiges attraktives Zentrum entstehen können. Aber so? Denkpausen werden da keine Lösung bringen. Auch der zwischen Harmoniestraße und Hermann-Ilgen-Straße gezwängte künftige dreigeschossige Schulneubau wird die Lage hinsichtlich des Verkehrsaufkommens nicht gerade vereinfachen. Auch mag zweifelhaft sein, ob der dadurch entstehende Schulcampus tatsächlich zu Erhöhung der Attraktivität des Sanierungsgebietes beiträgt.
Neue innovative Ansätze sind deshalb notwendig. Es ist die Frage zu beantworten, welche Funktion soll Radebeul-West in der Stadt künftig erfüllen? Mit einer 12-monatigen Denkpause ist das Problem sicher nicht zu lösen.

Karl Uwe Baum

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