Kommune, Kunst und Grafikmarkt

Zum 40. Geburtstag – Ideen statt Blumen

Zum 20., 25., 30., 35. und 40. Grafikmarkt – immer wieder das gleiche Ritual: Innehalten, reflektieren, fabulieren über das Woher und Wohin.

Die Anregung in Radebeul einen Grafikmarkt zu etablieren, stammte von Fritz Treu (1908 – 2009), dem damaligen Vorsitzenden der Pirckheimer-Gesellschaft. In der Kreissekretärin des Kulturbundes, Erika Claus (1928 – 2013), hatte er über viele Jahre eine aktive Verbündete gefunden. Nicht zuletzt waren natürlich auch die Künstler an einer Präsentations- und Verkaufsmöglichkeit sehr interessiert. Der erste Grafikmarkt startete am 20. und 21. Oktober 1979 im Festsaal des Radebeuler Rathauses, welchen die Stadtverwaltung kostenlos zur Verfügung gestellt hatte. Zu den 24 Künstlern, die sich an jenem Grafikmarkt beteiligten, gehörte die heute 92jährige Malerin und Grafikerin Lieselotte Finke-Poser. Sie kann sich noch gut daran erinnern, wie die Grafiken auf Holztischen lagen und an Wäscheleinen hingen, wie die Kunstfreunde, darunter viele fachkundige Sammler, bereits im Treppenhaus Schlange standen, um eine der heiß begehrten Originalgrafiken zu ergattern.

Festlicher Auftakt zum 30. Grafikmarkt 2008 vor dem Rathaus in Radebeul-Ost Foto: K. (Gerhardt) Baum

Wenngleich der Radebeuler Grafikmarkt der älteste sächsische Grafikmarkt in lückenloser Folge ist, bestand und besteht kein Grund, sich auf dieser Tatsache auszuruhen. So ist das Ringen um den künstlerischen Anspruch bis heute ein zäher Kampf geblieben. Aber auch gesellschaftliche, personelle und räumliche Veränderungen forderten die Organisatoren immer wieder aufs Neue heraus.

Als sich die Radebeuler Ortsgruppe des Kulturbundes 1990 auflöste, übernahm die Stadtgalerie – zugegebenermaßen recht zögerlich – im gleichen Jahr die Veranstaltungsorganisation. Das Kaufinteresse an Kunst tendierte in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs gegen Null. Aber ein Versuch konnte ja nicht schaden. Die Beharrlichkeit zahlte sich schließlich aus. So nach und nach kehrte die Kauffreude zurück. Bereits 1995 sinnierte der damalige Amtsleiter für Bildung und Kultur, Dr. Dieter Schubert (1940 – 2012), dass der Grafikmarkt wieder aus der Obhut der Stadtverwaltung in die Freiheit entlassen und an einen künftigen „Kunst- und Kulturverein“ übergeben werden könnte. Tatsächlich gründete sich 1996 der Radebeuler Kunstverein, welcher bis zu seiner Auflösung im Februar 2017 dem kleinen hauptamtlichen Organisationsteam der Stadtverwaltung – später auch im Verbund mit dem 1999 gegründeten Förderkreis der Stadtgalerie – zuverlässig zur Seite stand.

Reges Interesse zum 39. Grafikmarkt 2017 in der Elbsporthalle Radebeul-West Foto: K. (Gerhardt) Baum

Bedingt durch Umbaumaßnahmen im Rathaus und der gegenüberliegenden Schule, deren Räume ab 2001 für den expandierenden Grafikmarkt mit genutzt wurden, galt es ab 2015 eine dauerhafte und bezahlbare räumliche Alternative zu finden. Allen Bedenkenträgern zum Trotz stellte sich die Elbsporthalle in Radebeul-West als eine sehr gute Wahl heraus. Der neue Veranstaltungsort bietet 900 qm barrierefreie Ausstellungsfläche. Seitdem hat der Radebeuler Grafikmarkt vor allem an sozialer Qualität gewonnen. So ist es immer wieder sehr berührend zu erleben, wie junge Familien mit Kinderwagen und Menschen, die auf einen Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind, an diesem kulturellen Höhepunkt unserer Stadt teilhaben können. Die Raumsituation ermöglicht es, dass die Künstler ihren eigenen Stand betreuen. Fragen zu speziellen Drucktechniken, künstlerischen Intentionen oder neuen Ausstellungsprojekten finden auf direktem Wege eine fundierte Antwort.

Zum diesjährigen Jubiläumsgrafikmarkt haben über 100 Künstler ihre Teilnahme zugesagt. Sie kommen aus Radebeul, dem näheren Umland, aber auch aus ferner gelegenen Städten und freuen sich schon auf den Austausch mit ihrem Publikum sowie auf das Fachsimpeln im Kollegenkreis. Darüber hinaus werden Arbeiten aus den Nachlässen verstorbener Künstler angeboten. Erhältlich sind Druckgrafiken, Collagen, Zeichnungen, Aquarelle, Scherenschnitte, Fotografien, Plakate, Kalender, Künstlerbücher und Kunstpostkarten. Die Auswahl an Motiven, Techniken und Handschriften ist groß. Die Preise sind moderat. Gekauft wird, was gefällt. Nicht nur Sammler, vor allem auch Familien gehören zum festen Besucherstamm. Speziell für Kinder gibt es eine Mitmach-Kreativstation. Bei Schauvorführungen kann man erleben, wie eine Grafik entsteht oder Bilderrahmen vergoldet werden. Erstmals präsentiert sich zum Radebeuler Grafikmarkt eine Studentengruppe von der Dresdner Kunsthochschule. Ein wichtiger Kontakt, der auch künftig gepflegt werden soll. Aus dem spannenden Kontrast zwischen klassischen Drucktechniken und „Neuen Medien“ könnte sich ein weiterer konzeptioneller Ansatz ergeben.

Zahlreiche Service- und Informationsstände bereichern das Programmangebot des Grafikmarktes. Eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten aus vier Jahrzehnten erinnert an die bewegte Geschichte des Radebeuler Grafikmarktes sowie an verstorbene Künstler, die mit ihren Werken vertreten waren. Auf interessante Gespräche freuen sich auch die Redaktion des kulturellen Monatsheftes „Vorschau und Rückblick“ sowie der frisch gekürte Radebeuler Kunstpreisträger und Leiter des „NOTschriftenverlages“ Jens Kuhbandner. Das originell gestaltete Künstlercafé lädt zum Plaudern und Verweilen ein. Der Flyer mit einer Auflistung aller Grafikmarktteilnehmer ist in den Radebeuler Kultureinrichtungen, Buchhandlungen, der Touristinformation und dem Rathaus erhältlich sowie als Online-Version auf der städtischen Homepage.

Kunstproduktion und Kunstreflektion bedingen einander. Grafikmärkte befördern die Freude am aufgeschlossenen Disput und tragen zum Kennenlernen und Verstehen bei. Im heiter gelassenen Umgang mit Kunst, zeigt sich die Radebeuler Lebensart von ihrer besten Seite: Toleranz statt Ignoranz, Empathie statt Dauerfrust.

Damit die Standgebühr für alle Künstler erschwinglich bleibt, steuert die Radebeuler Stadtverwaltung alljährlich einen finanziellen Zuschuss bei. Die Mitarbeiter der Stadtgalerie werden unterstützt durch Kollegen aus anderen Ämtern, den Förderkreis der Stadtgalerie, zahlreiche ehrenamtliche Helfer und natürlich durch die Künstlerschaft. Alljährlich formieren sich die städtischen Hausmeister zur temporären Eingreiftruppe und meistern souverän das Umrüsten und die Grobmöbilierung der großen Veranstaltungshalle. Jeder Handgriff sitzt. Das Zusammenspiel funktioniert auf wunderbar anachronistische Weise. Dafür ein Dankeschön an alle, die dazu beitragen, dass am 4. November 2018 der 40. Radebeuler Grafikmarkt Genuss und kreative Anregung bietet. Den Künstlern ist zu wünschen, dass viele der hier gezeigten Werke beglückte Käufer finden mögen.

Karin (Gerhardt) Baum

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