Viel Raum für die Kunst und gute Stimmung
Sonntag am 4. November 2018. Es ist noch früh am Morgen. In der Elbsporthalle stehen Tische, Stühle und Bauzäune – akkurat nach Möblierungsplan verteilt. Auch das Künstlercafé und die Jubiläumsausstellung sind bereits gestaltet und lassen den besonderen Anlass erahnen. Nun muss sich nur noch alles mit Leben füllen. Kurz vor 8 Uhr trifft der erste Künstler ein. Er kommt aus dem Vogtland. Dann geht es Schlag auf Schlag. Die Künstler ziehen zuerst ein Los mit der Standnummer. Danach folgt ein kurzer Blick auf den Orientierungsplan. Besonders interessiert sie: Wo stehe ich? Ist es ein Eck- oder Mittelstand? Wer sind meine Nachbarn? Ansonsten haben alle nahezu gleiche Rahmenbedingungen. Die Auflage- und Hängeflächen sind knapp bemessen. Ohne Kompromisse geht gar nichts. Ideen sind gefragt. Die Pfiffigen haben sich schon im Vorfeld etwas einfallen lassen. Für das Einrichten des Standes vor Ort bleibt nicht viel Zeit. Durch die Halle zieht Kaffeeduft. Schnell noch eine Tasse so nebenbei getrunken. Denn bis spätestens um 9.30 Uhr muss alles fertig sein. In Windeseile macht die Organisationsleitung einen Kontrollrundgang. Vor allem die Gänge müssen frei von Kisten, Mappen und sonstigen Stellagen sein. Als die Tür um 10 Uhr geöffnet wird, ergießt sich der Besucherstrom in die 900qm große Halle, welcher bis zum Veranstaltungsende kaum abbricht. Den ersten neugierigen Blicken folgen lebhafte Gespräche. Berührungsangst scheint hier ein Fremdwort zu sein. Wer dabei war, will im nächsten Jahr gern wiederkommen. Viele Künstler schwärmen vom kauf- und diskutierfreudigen Publikum. Visitenkarten, Flyer mit Kursangeboten, Ausstellungs- und Veranstaltungstipps werden ausgetauscht. Acht Stunden mit Kunst und Künstlern vergehen wie im Flug. Zirka 4.000 Besucher wurden geschätzt. Über 100 Künstler hatten mehr als 7.000 Exponate im Angebot. Die Vielfalt der Motive und Handschriften ist immer wieder verblüffend und macht die Kaufentscheidung nicht gerade leicht.
Zahlreiche Extras bereichern den Radebeuler Grafikmarkt. Dicht umlagert sind jene Stände, an denen zu erleben ist, wie eine Grafik gedruckt oder Bilderrahmen vergoldet werden. Im Kreativbereich sind kleine und große „Sonntagsmaler“ selber aktiv. Kunstorientierte Radebeuler Vereine erläutern ihre Anliegen und werben für neue Mitglieder. Das verführerische Kuchenbuffet mit Selbstgebackenem macht Appetit und die Jubiläumsausstellung schwelgt ein wenig in Nostalgie. Der Packstand ist Service- und Prüfstand zugleich. Hier zeigt sich, ob und was gekauft worden ist. Durchgängig hatten an diesem Stand bis zu drei Helferinnen alle Hände voll zu tun. Auch an die Betreuung der Mitwirkenden wurde fürsorglich gedacht.
Die Studenten der Dresdner Kunsthochschule – genauer gesagt, die „Sprösslinge der (Prof. Ralf) Kerbachklasse“ – beteiligten sich erstmals an einem Grafikmarkt und konnten hier praktische Erfahrungen sammeln. Spannend war für sie Folgendes: Wie präsentieren wir unsere Arbeiten? Wie reagieren die Besucher darauf? Werden sich Käufer finden? Was zeigen die gestandenen Künstlerkollegen?
Die Atmosphäre war entspannt und freundlich. Der Radebeuler Oberbürgermeister und zahlreiche Stadträte hatten sich auf unspektakuläre Weise unters Publikum gemischt. Das Besondere des Radebeuler Grafikmarktes besteht in der sensiblen Balance aus Geben und Nehmen. Die Stadtverwaltung als Veranstalter trägt vorab alle Ausgaben für das städtische Personal, die Honorare, Mieten, Materialien und Druckerzeugnisse. Die Refinanzierung erfolgt zu 50 Prozent aus den moderaten Standgeldern, die ganz bewusst erschwinglich bleiben sollen. Der städtische Zuschuss für den Grafikmarkt ist einerseits als Beitrag zur Künstlerförderung und andererseits als ein kulturelles Veranstaltungsangebot für die interessierte Bürgerschaft zu verstehen.
Über all die Jahre wurde der fachliche Austausch zwischen den Organisatoren der Grafikmärkte in Dresden, Meißen und Radebeul voller Empathie gepflegt. Und so herrschte dann auch große Freude, als eine dreiköpfige Delegation vom Dresdner Grafikmarkt Grüße und Glückwünsche zum Jubiläum überbrachte. Im Gegenzug inspizierte in der Folgewoche eine Abordnung aus Radebeul den Dresdner Grafikmarkt, welcher seit 2017 in Räumen des Hygienemuseum sein neues Domizil gefunden hatte. Die kulturpolitische Bedeutung der Grafikmärkte ist nicht zu unterschätzen. Künstler, die Kunst produzieren und Menschen, die sich an Kunst erfreuen bzw. diese käuflich erwerben, bedingen einander. Orte der Präsentation und Kommunikation bilden hierfür eine wichtige Basis.
Schließlich soll in diesem Beitrag noch einmal verschiedenen Partnern gedankt werden. An erster Stelle geht ein Dankeschön an den Designer Matthias Kratschmer, der die Druckerzeugnisse, das Café und die Jubiläumsausstellung gestaltete. Ein weiteres Dankeschön gilt allen Helfern vor und hinter den Kulissen. Gedankt sei auch allen mitwirkenden Künstlern, die auf kleine Pannen mit Humor und Toleranz reagierten. Für die unkompliziert konstruktive Zusammenarbeit geht ein Dankeschön an den Sportstättenbetrieb und die Servicefirma Frenzel für Verkehrsleiteinrichtungen. Postum ist ein besonderer Dank weit zurück in die Vergangenheit gerichtet. Er gilt all jenen, die dazu beigetragen haben, dass genau vor 110 Jahren diese wunderbare Mehrzweckhalle eingeweiht werden konnte, die bis heute ihre Funktion erfüllt und zugleich in ihrer ausgewogen zeitlosen Ästhetik nahezu perfekt für eine Veranstaltung wie den Radebeuler Grafikmarkt geschaffen ist. Stadtmütter und Stadtväter hütet diesen kostbaren Schatz!
Karin (Gerhardt) Baum