Bibliothekarin aus Leidenschaft

Im Gespräch mit der langjährigen Leiterin der Stadtbibliothek Radebeul, Carola Aschenbach, anlässlich ihres Eintritts in den Ruhestand

Stadtbibliothekarin Carola Aschenbach
Bild: B. Kazmirowski


Es ist ein schöner, nicht zu kalter Wintermorgen. Wenige Tage nach Neujahr tanzen endlich einmal die Flocken wie es sich gehört, der Bahnhofsvorplatz Radebeul-Ost ist mit einem leichten Weiß überzogen, die Autos fahren etwas langsamer als sonst über die Sidonienstraße. Vom Fenster des Vortragssaales der Stadtbibliothek im 1. Stock des Kulturbahnhofes kann ich das alles in Ruhe betrachten, denn die Bibliothek ist an diesem Tag geschlossen, kein anderer Leser außer mir ist im Haus. Lediglich Carola Aschenbach ist noch zugegen, denn mit ihr bin ich verabredet. Zum Jahresende 2018 hat sie nach 41 Jahren ihr Amt als Leiterin der Stadtbibliothek Radebeul in die jüngeren Hände von Katharina Schmidt gegeben und ist in den Ruhestand gewechselt. Gern führt sie mich durch die ausnahmsweise stillen Räumlichkeiten, zeigt mir ihre langjährige berufliche Heimat, bleibt stehen, überlegt, kramt in Erinnerungen. „Eigenartig“ sei ihr jetzt gerade zumute, bekennt sie mit einem versonnenen Lächeln im Gesicht. Frau Aschenbachs Augen schweifen die Regale entlang – fast scheint es, als kenne sie jedes einzelne Buch, als habe sie es mindestens einmal selbst in den Händen gehabt und an lesebegeisterte Grundschüler, wissensdurstige Gymnasiasten oder heimwerkende Erwachsene verliehen. Inzwischen haben wir es uns bequem gemacht und ich frage: Wie war das damals 1977, als alles in Radebeul anfing? Geboren und aufgewachsen in Rostock, kam Frau Aschenbach mit 22 Jahren als ambitionierte Bibliotheksfacharbeiterin ins Elbtal, denn sie war ihrem späteren Ehemann nach Dresden gefolgt. Zu der Zeit hatte sie bereits die Hälfte des Fernstudiums an der Fachschule für Bibliothekare in Leipzig absolviert, das sie darauf vorbereiten sollte, einmal als Leiterin einer Bibliothek tätig zu sein. Bis zum Ende ihres Fernstudiums sammelte sie erste Erfahrungen als Stellvertreterin, ab Herbst 1979 war sie dann schon für ihre sechs Kolleginnen in der Stadtbibliothek Radebeul-Ost leitend verantwortlich. „Wenn man jung ist, sieht man nicht so die Probleme, die eine Leitungstätigkeit mit sich bringt, sondern geht die Arbeit mit Optimismus und vielleicht auch einem Stück Naivität an. Ich hatte das damals ja so gewollt, also warum hätte ich mich über die Aufgabe beschweren sollen?“ Wir blicken gemeinsam auf einen alten SZ-Zeitungsausschnitt mit schwarz-weiß Foto aus den frühen 1980ern. Wir schauen damit in die Bibliothekswirklichkeit in einem inzwischen untergegangenen Staat, aber ich erkenne immerhin Frau Aschenbach als damals noch junge Frau und frage sie, wie sich die Leitung einer öffentlichen Einrichtung wie der Bibo unter sozialistischen Bedingungen angefühlt habe. „Vorgaben wurden mir damals, soweit ich mich erinnern kann, nicht gemacht. Ich konnte immer unabhängig entscheiden, welche Medien wir anschaffen und welche Veranstaltungen wir durchführen möchten. Ganz besonders die Literatur-Gespräche mit Literaturwissenschaftler Dr. Klaus Stiebert und die Dia-Vorträge waren stark nachgefragt, da konnte man auch einmal ein etwas brisanteres Thema behandeln. Im Übrigen war aber natürlich der bauliche Zustand des Hauses zunehmend unerträglich geworden. All die Jahre hatte ich mich – letztlich erfolglos – um die Reparatur der Dachrinne bemüht. Der Putz fiel auch von der Fassade, manchmal war es im Winter kalt. Unvorstellbar heute, aber so war es eben.“ Frau Aschenbach blickt sich im schmucken Vortragssaal um, an den Wänden hängen anlässlich der aktuellen Ausstellung sehr ansehnliche Werke der Malgemeinschaft Radebeul, es ist gemütlich warm, in einem langen Regal an der Längsseite sind Bücher aus dem Bereich Kunst angeordnet und laden zum Nachschlagen ein. „Traumhafte Bedingungen“ seien das, meint Frau Aschenbach, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass der Einzug in die neuen Räumlichkeiten im Juli 2002 die schönste Phase ihres Berufslebens markiert: „Nächtelang hatte ich in der Planungsphase mit dem damaligen Amtsleiter für Bildung Kultur und Tourismus Dr. Dieter Schubert über den Plänen und Skizzen zu den Bereichen und der Einrichtung der neuen Erlebnisbibliothek gebrütet.“ Natürlich boten die seit 1990 veränderten Gegebenheiten manche Chancen, aber eben auch manche Risiken. Mit einer gewissen Belustigung erinnert sich Frau Aschenbach heute an einige geschäftstüchtige Verlagsvertreter, die in den ersten Jahren nach der Wende in ihren schicken Wagen vorgefahren kamen und seichte Unterhaltung als große Literatur anpriesen. „Wir kannten die Autoren ja zum großen Teil gar nicht und dachten, dass wir das nun auch im Bestand haben sollten. Denn wir wollten ja aktuell sein und unseren Lesern etwas bieten, was im Zuge der politischen Veränderungen bis dahin nicht zu haben gewesen war.“ Es dauerte aber nicht sehr lange, dann wussten auch Frau Aschenbach und ihre Kolleginnen, von denen einige heute noch im Dienst sind, woran sie waren und konnten sich nach und nach selbst die gesamtdeutsche Medienlandschaft erschließen, zu der ja dann bald auch Videokassetten, später Hör-CD und DVD gehörten. Seit 1990 war übrigens die vormalige Kinder- und Jugendbibliothek mit der Stadtbibliothek vereint, ein Jahr darauf wurde auch stadtpolitisch der Zusammenschluss der bis dato autonomen Stadtbibliotheken in Radebeul Ost bzw. West mit Frau Aschenbach als Leiterin entschieden, weshalb sich ihr Blick seit gut 25 Jahren auch auf die Gegebenheiten in ganz Radebeul richtete. „Ich würde der Bibliothek in West so sehr verbesserte Räumlichkeiten wünschen, denn Bibliotheken heutzutage sind eben nicht nur Ausleihstellen für Medien, sondern sollen Aufenthaltsqualität bieten und Orte der Informationsbeschaffung und Kommunikation sein.“ Damit beschreibt Frau Aschenbach den bedeutendsten Wandel, den Stadtbibliotheken in den letzten Jahren durchlebt haben, obgleich das Kerngeschäft – die Präsentation und Ausleihe von Medien aller Art – natürlich nach wie vor wichtig ist. Je länger das Gespräch dauert, desto mehr gewinne ich die Überzeugung, dass für meine Gesprächspartnerin trotz aller gelegentlichen bürokratischen Widrigkeiten und Herausforderungen das eigentliche Geschehen in den Bibliotheksräumen stets Herzenssache gewesen sein muss und Erfüllung und Freude bedeutete. „Es war und ist mir ein ganz wichtiges Anliegen, dass insbesondere die Kinder und Jugendlichen sich mit ihren Interessen bei uns wiederfinden, sie sind schließlich unsere künftigen Nutzer. Deswegen begrüße ich sehr, dass Kindergärten und Schulklassen regelmäßig zu uns kommen und die Kinder dann auch selbst Medien entleihen können.“ Apropos: Frau Aschenbach selbst hat sich aus den Beständen etwa 20 Titel entliehen, die sie nun in den nächsten Wochen lesen will. Asta Scheib mag sie, Martin Suter, Dörte Hansen, auch moderne Klassiker wie Hans Fallada. Ob dafür allerdings wirklich genug Zeit bleibt weiß sie noch nicht, denn Kinder und Enkel freuen sich, dass (Groß-)Mutter nun wieder mehr für die Familie da sein kann. Und außerdem würde sie ja auch gern ihre ehrenamtliche Arbeit im Kulturverein der Stadtbibliothek fortsetzen wollen und sich für Belange der Stadt einsetzen, wenn man sie um Mitarbeit bittet.
Unterdessen hat der Schneefall nachgelassen, der Tag ist heller geworden, die Zeit Richtung Mittag vorgerückt. Was ihr noch zu sagen wichtig sei, frage ich. „Ich möchte unbedingt Danke sagen an meine Mitarbeiterinnen in der Bibliothek, die mir einen so wunderbaren Abschied beschert haben. Und auch an die Mitstreiter im Kulturverein, denn wir haben in den letzten Jahren viel für die Bibliothek erreichen können.“ Wer wissen will, welche Angebote es dort gibt, kann sich übrigens immer auch im Veranstaltungsteil von „Vorschau & Rückblick“ informieren. „Die lese ich immer!“ ruft mir Frau Aschenbach noch nach, als ich erfüllt von diesem Vormittag schließlich wieder in den Wintertag hinaustrete.

Bertram Kazmirowski

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