Unsere Kulturzeitschrift mit dem programmatischen Titel „Vorschau & Rückblick“ kommt nicht umhin, auf die Zeit von vor genau 30 Jahren vertieft zurückzublicken. Immerhin ist auch die Wiedergründung der „Vorschau“ dann im Mai 1990 ein Kind jener spannenden Zeit des Umbruchs, der, fast unmerklich, schon im Monat Mai ’89 mit den Unregelmäßigkeiten bei den Kommunalwahlen seinen Anfang nahm. Es folgte ein beispielloser Exodus von DDR-Bürgern in den Sommermonaten nach Ungarn oder in die Tschechoslowakei, um über Umwege in die alte Bundesrepublik zu gelangen. Unvergessen bleiben die Worte von Hans-Dietrich Genscher an die Ausreisewilligen in der Prager Botschaft, die in der Erinnerung noch heute eine Gänsehaut beschert.
So hat sicher ein jeder, der die Vierzig ein Stück weit überschritten hat, seine ganz eigenen klaren Bilder und Geschichten vor Augen.
Für mich war überaus prägend, dass ich wohl die interessanteste Abi-Zeit an der einstigen „Erweiterten Oberschule Juri-Gagarin“ (heute Gymnasium Luisenstift) erleben durfte. Im Herbst 1989 startete die 11. Klasse noch mit FDJ-Montagen, an denen das Tragen des Blauhemds Pflicht war. In den Gängen hingen die üblichen Wandzeitungen und zwischen der Schulleitung und „aufmüpfigen“ Schülern gab es über Wochen einen erbitterten Streit, ob Artikel aus West-Zeitungen ausgehängt werden durften. Die Geschehnisse überschlugen sich. Es folgten die berühmten Montagsdemos, der Bildungsplan wurde rigoros über den Haufen geworfen, DDR-Schulbücher wurden durch Importe ersetzt und keine zwei Jahre später sah ich mich mit einem bundesdeutschen Abitur in einem neuen Land in den Händen.
Verehrte Leserinnen und Leser,
hiermit möchte wir Sie nun ausdrücklich ermuntern, uns Ihre Geschichten zu erzählen, damit wir bestenfalls noch jedes Heft dieses Jahres mit persönlichen Zeitdokumenten bereichern können.
Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften!
Sascha Graedtke