Erinnerungen an den Radebeuler Maler und Grafiker Gunter Herrmann
Die Stühle in der kleinen Kapelle haben nicht gereicht für alle, die gekommen waren, um am 26. Juli auf dem Friedhof in Radebeul-West von Gunter Herrmann Abschied zu nehmen. Und es schien, als würde die Trauergemeinschaft auch ein wenig Abschied von einem Lebensgefühl nehmen, welches die kulturelle Atmosphäre in der Lößnitz seit Generationen nicht unwesentlich mitgeprägt hat.
Gunter Herrmann wurde am 7. August 1938 in Bitterfeld geboren. Bitterfeld klingt nach „Bitterfelder Weg“. Doch seinen Weg zur Kunst fand der begabte junge Mann über andere Wege. Aufgewachsen in Jessnitz, zog es ihn unmittelbar nach dem Abitur in die Stadt Radebeul. Dort arbeitete er von 1956 bis 1958 als Praktikant im Malsaal der Landesbühnen Sachsen. Das Theater hatte für seine Mitarbeiter in Zitzschewig auf dem Knollenweg 8 im Haus des verstorbenen Landwirtschaftrates Carl Pfeiffer (1872 – 1946) einige Zimmer angemietet. Als die Kostümbildnerin Erika Simmank – Gunter Herrmanns älteste Künstlerfreundschaft – 1957 den angehenden Bildhauer Hellmut Heinze heiratete, durfte er deren frei gewordenes Zimmer beziehen.
Das Schicksal nahm seinen glücklichen Lauf. Pfeiffer hatte neben dem Haus auch einen Weinberg angelegt, der nach seinem Ableben von der ehemaligen Wirtschafterin Magdalena Schlegel (1889–1962) betreut wurde. Vor allem Künstler unterstützten sie dabei. Während sich die älteren eher zur Weinlese eingefunden hatten, halfen die jüngeren bei den schwereren Arbeiten. Der „Pfeiffersche Weinberg“ war also ein Ort, wo sich alte und junge Künstler begegneten und so manche „Weiche“ gestellt worden ist. Gunter Herrmann lernte hier u.a. die drei bedeutenden Vertreter der „Dresdner Malkultur“ kennen: Paul Wilhelm (1886–1965), Karl Kröner (1887–1972) und Theodor Rosenhauer (1901–1996).
Wie für so viele „Nicht-Arbeiter- und Bauernkinder“ gestaltete sich auch für Gunter Herrmann die Aufnahme an der Kunsthochschule schwierig. Von Leipzig erhielt er eine Ablehnung, in Dresden hat vermutlich Rosenhauer etwas nachgeholfen. Die Immatrikulation erfolgte 1958. Doch aus politischen Gründen brach er das Studium 1961 vorzeitig ab. Statt den Sozialismus zu illustrieren, schlug er sich lieber als Hilfsarbeiter durch. Aus jener Zeit ist folgende Anekdote überliefert: Nach dem Studienabbruch arbeitete Gunter Herrmann in einer Gärtnerei. Deren Besitzer beauftragte den ehemaligen Kunststudenten damit, von seiner Frau ein Porträt zu malen. Stunde um Stunde saß die alte Gärtnersfrau Modell. Schließlich war das Werk fertig. Doch der Auftraggeber meinte: „Ich hätte ihnen 1.000 Mark gegeben aber Sie haben weder die Güte, noch die Schönheit, noch die Vortrefflichkeit meiner Frau erfasst…“
Angemerkt sei hier, dass Gunter Herrmann später viele wunderbare Porträts geschaffen hat wie zum Beispiel von der Tochter Clara oder den Künstlerfreunden Wolfgang Opitz und Klaus Liebscher. Das Entscheidende war wohl für ihn, dass zu den Porträtierten eine innere Beziehung bestand.
Auf Anraten seines ehemaligen Dozenten Rudolf Bergander (1909–1970) bewarb sich Gunter Herrmann beim Verband Bildender Künstler. Bürge war kein geringerer als Paul Wilhelm. Die Aufnahme 1962 bedeutete für ihn ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit, konnte er doch Aufträge annehmen und sich an Ausstellungen beteiligen.
Über Vermittlung von Heinrich Magirius, der im Institut für Denkmalpflege arbeitete, eröffnete sich für Gunter Herrmann die Möglichkeit zum Restaurieren. Von 1964 bis 2000 war er vor allem auf dem Gebiet der Wandmalerei tätig und als Fachmann sehr geschätzt. Maßgeblich wirkte er u. a. an Baudenkmälern wie der Schlosskirche Moritzburg, dem Schloss Pillnitz, dem Stallhof des Dresdner Residenzschlosses sowie dem Berg- und Lusthaus Hoflößnitz mit. Durch die Aufträge in der Denkmalpflege war er als Künstler finanziell unabhängig. Die eigenen Arbeiten entstanden fortan parallel. Im Winter im Atelier und im Sommer zumeist vor Ort.
Der Kontakt zu Kröner, Wilhelm und Rosenhauer ist über all die Jahre nie abgerissen. Herrmann schätzte das Geradlinige der älteren Malergeneration, auch kamen ihm deren künstlerische Auffassungen sehr entgegen. In der propagandistisch aufgeladenen Lautheit der damaligen Zeit wirkten sie wie stille Inseln. Vor allem Karl Kröner nahm besonderen Anteil an der Entwicklung des jungen Kollegen. 1972 stellten sie gemeinsam im Köpenicker Pädagogenclub aus. Für Kröner sollte es die letzte Ausstellung sein.
Seine spätere Frau Christiane lernte Gunter Herrmann im Palastkino von Radebeul-West kennen. Beide waren Mitglieder des dortigen Filmclubs. Sie heirateten 1967. Die Tochter Clara wurde 1968 geboren.
Unmittelbar nach Kröners Ableben bezog die junge Familie das so genannte Turmhaus im Grundhof auf der Paradiesstraße 68. Vor Karl Kröner hatten hier bereits Wilhelm Claus (1882–1914) und Paul Wilhelm gewirkt. Das neue Domizil bot ausreichend Platz zum Wohnen und Arbeiten. Schon bald herrschte wieder ein reges Kommen und Gehen. So blieb der Grundhof ein wichtiger Anlaufpunkt für die unterschiedlichsten Künstler.
Gunter Herrmann lies sich weder politisch vereinnahmen, noch künstlerisch bevormunden. So stellte
er in den 1960er und 1970er Jahren in Dresden auch im Hinterhofatelier von Wolfgang Opitz auf der Hechtstraße 25, dem Leonhardi Museum und der Galerie Nord aus, wohl wissend, dass die dortigen Aktivitäten sehr misstrauisch beargwöhnt wurden.
Die Namen aller befreundeten Künstler aufzuzählen ist kaum möglich. Dass einer aus diesem Kreis der damaligen Freunde – Ralf Winkler – unter dem Künstlernamen A.R. Penck (1939–2017) einmal internationale Bedeutung erlangen würde, hätte sich damals keiner vorstellen können.
Gunter Herrmann nahm sich selbst nicht so wichtig. Er hatte einen feinen Humor. Der Umgang mit ihm war angenehm, weil es ihm immer um die Sache ging. Er war ein aufmerksamer Zuhörer, ließ anderen Menschen Raum und gab sein Fachwissen als Maler, Grafiker und Restaurator ohne Eigennutz großzügig weiter. Er bürgte für den Maurer Horst Hille (1941–2015), so dass dieser eine Chance bekam als Autodidakt, in den Verband Bildender Künstler aufgenommen zu werden. Er war der Mentor von Ralf Kehrbach und Peter PIT Müller. Auch setzte er sich gemeinsam mit anderen Künstlern dafür ein, dass in Radebeul eine städtische Galerie entstehen konnte und arbeitete von 1982–1990 in deren Beirat mit. Nach 1990 engagierte er sich im Vorstand des Sächsischen Künstlerbundes.
Das Besondere an Gunter Herrmanns Kunst wurde bereits in zahlreichen Publikationen treffend beschrieben. So bemerkte der Dresdner Galerist und Kunstkritiker Gunter Ziller 1988 in einem Katalog, dass „Gunter Herrmann durch die Bekanntschaft mit vielen Künstlerfreunden in ständigem Kontakt mit der Avantgarde der Gegenwart gestanden habe, doch folgte sein Werk anderen Gesetzen“ und weiter heißt es dort, dass in Herrmanns Arbeiten noch „die Mystik des Materials und der Natur wohnt aus der wir kommen und in die wir gehen“.
Gunter Herrmanns Experimentierfreudigkeit führte sowohl auf malerischem als auch grafischem Gebiet zur Entwicklung neuer, für sein Schaffen charakteristischer Techniken, die ihm nicht als Selbstzweck sondern zur Steigerung der Ausdruckskraft dienten. So verarbeitete er in seinen Bildern u. a. farbige Sande, die er in den verschiedensten Landschaften vorgefunden hat. Mittels Materialreservage, einer Art Aquatinta-Technik, erzielte er malerische Tonabstufungen bis hin zur Auflösung der Fläche. In der Malerei wiederum setzte er auch zeichnerische Elemente ein.
Die geschundenen Tagebaulandschaften aus Gunter Herrmanns Kinder- und Jugendzeit stehen im starken Kontrast zur lieblichen Kulturlandschaft der Lößnitz. Allerdings gehen seine Landschaftsbilder über das bloße Abbild hinaus. Es sind Metaphern, die sich demjenigen erschließen, der bereit ist, sich darauf einzulassen. Auf das Wesentliche verknappt, kommt die Ambivalenz des Zerstörens und Gestaltens bereits in der Grafik „Weinberg und Steinbruch“ von 1981 sehr deutlich zum Ausdruck. Dass das Bild „Mahnmal einer Landschaft“ aus dem Jahr 1984 für einen umweltpolitischen Eklat gesorgt hat, ist aus heutiger Sicht wohl kaum zu verstehen. Auch die gesellschaftliche Umbruchsituation lässt Gunter Herrmann nicht unkommentiert. Mit der Grafik „Vorwärts – und vergessen“, die im Jahr 1990 entstanden ist, spielt er ironisch darauf an, dass sich alles wiederholt. Es gibt kein Entrinnen.
Die Besuche im Grundhof wurden von vielen Menschen als anregend und beglückend empfunden. Sobald man die unscheinbare hölzerne Pforte auf der Paradiesstraße durchschritten hatte, eröffnete sich eine andere Welt, der die Zeit fast nichts anhaben konnte. Architektur, Natur und Kunst waren hier aufs Harmonischste vereint.
Der Radebeuler Künstler Peter PIT Müller sagte einmal sehr schön: „Ich war nie nur bei Gunter, sondern immer auch bei Christiane“. Für Gäste standen die äußeren Türflügel des Turmhauses wie Arme zu einer besonders herzlichen Begrüßung weit offen und beim Betreten der Räume fühlte man sich von einer wunderbaren Atmosphäre umfangen, gespeist aus Tradition und Inspiration.
Damit, dass Gunter Herrmann sein Leben in diesem Refugium beenden konnte, hatte sich für ihn ein oft geäußerter Wunsch erfüllt. Er starb am 26. Juni, wenige Wochen vor seinem 81. Geburtstag. Bleiben wird sein Werk und für alle, die ihn kannten, die Erinnerung an einen außergewöhnlichen Menschen.
Wie sehr die Stadt Radebeul den Maler, Grafiker und Restaurator Gunter Herrmann schätzt, lässt sich daran ermessen, dass er 1998 gemeinsam mit dem Maler und Grafiker Günter Schmitz (1909–2002) mit dem ersten Radebeuler Kunstpreis, welchen die Lößnitzstadt nach dem gesellschaftlichen Umbruch verliehen hat, ausgezeichnet wurde. Wichtig ist nun, dass Werke von Gunter Herrmann auch weiterhin öffentlich zugängig sind, damit sich möglichst viele Menschen an seiner Kunst erfreuen und diese immer wieder neu entdecken können. Die Radebeuler Stadtgalerie wird ihren Beitrag dazu leisten und 2020 eine umfassende Retrospektive zum Schaffen von Gunter Herrmann zeigen.
Karin (Gerhardt) Baum