Nachbetrachtung zur 32. Radebeuler Kasperiade
Seit der Kasper im hohen Bogen aus dem Hohenhaus rausgeworfen wurde – man erinnere sich: Land und Stadt wollten das traditions- und kulturträchtige Anwesen in der Radebeuler Barkengasse nicht erwerben – wechselte die Kasperklatsche bereits zum dritten Mal in andere Hände. Nun muss das ja nichts Schlechtes bedeuten, und mit 32 Jahren auf dem Kasperbuckel kann ja ein personeller Wechsel der Macher geradezu wie ein Jungbrunnen wirken, wenngleich der Kasper auf den neuen Werbeträgern etwas erschreckt ins „Nirgendwo“ starrt, als wolle er fragen: „Eh, was macht ihr denn da mit mir?!“
Aus dem beschaulichen Altkötzschenbroda auf oberste Anweisung hin 2013 in den Osten (Radebeuls) zur „Aufbauhilfe“ geschickt, versucht der Kasper seither dort das städtische Flair und den Handel zu beleben – so zumindest lautete damals der höhere Auftrag. Dabei ist es für den kleinen Kasper schon eine echte Herausforderung, sich auf dem riesigen Bahnhofsvorplatz überhaupt bemerkbar zu machen. Kaum aber war er dort angekommen, hat die Händlerschaft von ihm keine Notiz mehr genommen.
Mit dem Standort wechselte auch ein Großteil des Personals und die Kasperklatsche wanderte 2013 in die Hände des damaligen Kulturamtsleiters Alexander Lange (Gesamtleitung) und des Puppenspielers Detlef-A. Heinichen (Künstlerische Leitung). Alleiniger Ausrichter war nun das Amt für Kultur und Tourismus der Großen Kreisstadt Radebeul. Man startete groß durch, und dank eines höheren Budgets führte man auch die eine und andere Neuerung ein. So gab es zum Beispiel ein/zwei Abendvorstellungen für Erwachsene und ein neues Erscheinungsbild.
Durch eine Umstrukturierung innerhalb des Amtes wanderte schließlich 2019 die Kasperklatsche in die Hände der Sachgebietsleiterin für Feste und Märkte Cornelia Bielig und damit in die des künstlerischen Leiters aller Großfeste der Großen Kreisstadt Radebeul Helmut Raeder (2019 unter Mitwirkung von Detlef-A. Heinichen). Jetzt war das Fest endlich dort angekommen, wo es seit 2004 hätte hingehört.
Ganz langsam änderte sich natürlich dabei auch der Charakter dieses Festes für Figurenspielfreunde und Familien. Aus einem Unternehmen von vier gemeinschaftlich agierenden Veranstaltern wurde die Kasperiade zu einem ausschließlichen Vorhaben der Stadtverwaltung Radebeul. Von einer anerkannten Veranstaltung innerhalb der Figurentheater-Szene mit Reflexion in der entsprechenden Fachzeitschrift mutierte die Kasperiade zu einem qualifizierten Stadtteilfest mit Ausstrahlung ins Umland. Das Anliegen der Retter dieses Festes von 2004, die Vielfalt und Breite dieser Kunstgattung sichtbar werden zu lassen, scheint vorerst vorbei. Diesen Eindruck verstärkte auch jener Eingangstext im Programmheft. Statt eines einführenden Textes zum Anliegen der 32. Radebeuler Kasperiade und dem Inhalt des Programms druckte der Veranstalter ein Gedicht von Joachim Ringelnatz ab, welches mit den Worten schließt:
„Wer hier stört und wer nicht gut
Aufpasst, kriegt eins auf den Hut.“
In diesem „pädagogisch wertvolle[n] Angebot“ (SZ, 24.6.2019) scheint sich auch das Fest zu erschöpfen.
Zugegeben, die Örtlichkeiten haben ihre Tücken, dies musste selbst der vormalige künstlerische Leiter Heinichen eingestehen. Und so versuchte der Veranstalter, das Festgelände mit allerlei Angeboten und ungewöhnlichen Gestaltungselementen zu füllen. Wirken die von Muriel Cornejo und César Olhagaray installierten großen transparenten, über den ganzen Platz gespannten, phantastischen Figuren anlassbezogen und verzückend, empfindet man hingegen den Kinderflohmarkt als inhaltlich deplatziert. Nicht immer passt es so vorzüglich, dass man mit dem gerade erworbenen gebrauchten Tretroller zur nächsten Vorstellung fahren kann. Ein Figurentheaterfest mit themenfremden Angeboten aufzufüllen scheint zumindest ein fragwürdiges Konzept.
Freilich hatte der Ausrichter kaum Zeit dieses Fest vorzubereiten. Im vergangenen Jahr wusste er noch nichts von seinem Glück. Dafür wartete das Programm durchaus mit der einen oder anderen anspruchsvollen Inszenierung auf, wenngleich der Spielplan mit „sommerheiß & erdbeereis“ auch eine Wiederholung bereithielt (zu Vorstellungen siehe zweiter Beitrag zur Kasperiade in diesem Heft).
Die Medien scheinen in der Kasperiade immer noch eine Art Kinderbelustigung zu sehen. Geändert hat sich da in der Berichterstattung kaum etwas. Schon 2013 tanzten die Puppen in Radebeul-Ost und am 18. Juni 2019 betitelte die Sächsische Zeitung ihren Beitrag über die Kasperiade mit „Die Puppen tanzen wieder“. Gleichwohl schob das Blatt sechs Tage später eine mehrspaltige Nachbetrachtung hinterher, welche allerdings eher ein Stimmungsbild vermittelte, als dass der Leser etwas über die zehn gezeigten Inszenierungen erfahren hätte.
Liest man auf der Rückseite des Programmheftes die vielen Namen aller an der Organisation beteiligten Mitarbeiter der Stadtverwaltung und der Honorarkräfte, ist man schon etwas verblüfft ob der unterschiedlichen Kasper-Ellen, mit der die bisherigen Veranstaltungen gemessen wurden. Andererseits kann man daran aber auch erkennen, welch hohen Stellenwert die Stadtverwaltung diesem Fest zumisst.
Anstehen mussten offensichtlich die Zuschauer diesmal nicht. Wenn es stimmt, was in der Zeitung stand, dann dürften dieses Jahr etwa 1.000 Besucher zur Kasperiade gekommen sein. Dies mag die Schwierigkeiten aufzeigen, die sich mit einem Neustart selbst von gestandenen Kulturprojekten verbinden können. Die über 1.800 zahlenden Gäste von 2008 mögen für den Veranstalter ein erstrebenswertes Ziel sein. Für die 33. Kasperiade 2020 sollte man jedenfalls schon mal alle Kasperdaumen drücken, damit der Kasper allen kleinen und großen Besuchern wieder ein Lächeln schenken kann.
Karl Uwe Baum