Sie haben den Begriff schon mal irgendwo gehört, sehen aber gerade kein Beispiel vor Ihren Augen, schon gar nicht in Radebeul? Da wollen wir uns diesem Thema mal nähern.
Im Laufe der Geschichte haben sich verschiedene Baustile über eine bestimmte Zeit gehal-ten und wurden dann abgelöst. Mein Eindruck ist der, dass die Standzeiten der Stile immer kürzer wurden – Romanik und Gotik blieben jeweils etwa 200 Jahre bestehen, Renaissance und Barock waren mit ca. 100 Jahren schon kürzer und die Stilrichtungen des 19. und 20. Jahrhunderts hielten sich nur 20 oder gar 5 Jahre.
Hier soll also eine relativ kurze Stilrichtung in der ersten Hälfte des 20. Jh. betrachtet werden. Art déco ist die Kurzform des französischen Begriffs Art décoratif, also dekorative Kunst, die Deutschland in den zwanziger Jahren berührte. Das Zentrum dieser Bewegung lag in Paris, daher der französische Name, und verbreitete sich über Europa und bis in die USA. International gesehen liegen die Anfänge um 1912, wurden aber in ihrer Verbreitung vom 1. Weltkrieg unterbrochen. Art déco wirkte sich auf alle Kunstformen – Architektur, Plastik, Malerei (hier ist der Begriff Expressionismus üblich), Dichtung (man spricht auch von Dadaismus), Mode, Musik und Gebrauchsgegenstände – aus. Man muß Art déco als Gegenentwurf zum Jugendstil ansehen. Während sich der Jugendstil um 1900 an geschwungenen, organischen Formen der Natur wie Lilien, Schwänen oder Fledermäusen orientierte, wirkte Art déco expressiv, konstruierter auch abstrakter, mit gegen Bögen gestellten Geraden, mit zu Dreiecken aufgefächerten Geraden und Spitzen, die Farben oft kräftig und kaum abgemischt. Während es eine bewusste Unterscheidung des Art déco vom Jugendstil gab, kann man bei einigen Beispielen Annäherungen zum Deutschen Werkbund oder auch dem Bauhaus erkennen. In der modernen Zeit ging Fassadenschmuck immer mehr zurück. Das hatte durchaus gestalterische Gründe, wie am Bauhaus ablesbar, war aber auch dem Wunsch nach preiswerten Wohnbauten in der Nachkriegszeit geschuldet. Man könnte Art déco vielleicht als den letzten, Häuser schmückenden Stil in Europa bezeichnen. Da die Erinnerung an den 1. Weltkrieg noch relativ frisch war, hatte sich im Volksmund für diesen Stil der etwas makabere Begriff „Granatsplitterstil“ eingebürgert – das Bild traf es aber recht gut!
In Radebeul fand diese Stilrichtung keine sehr weite Verbreitung, aber, wenn man sucht, wird man gelegentlich auch hier das Art déco finden. Ich will im Folgenden auf ein paar Beispiele von 1925 bis 30 in unserer Stadt aufmerksam machen. Von den in dieser Zeit in Radebeul tätigen Architekten fällt dabei der Name Max Czopka besonders häufig, er hatte offenbar Gefallen an den Schmuckformen des Art déco gefunden. Die meisten seiner Siedlungshäuser zeigen Art déco nur durch ein gefächertes Blattgebilde (wohl ein vorgefertigtes Element), mal größer, mal kleiner – sein Markenzeichen sozusagen. Dagegen waren seine Kollegen Albert Patitz und Alfred Tischer bei durchaus vergleichbaren Häusern dieser Zeit mit derartigen Schmuckformen etwas zurückhaltender.
Das von Czopka 1927 geplante Wohnhaus Gartenstr. 77 für Familie Kelling (Großwäscherei-betrieb) zeigt an den Fassaden etwas derartigen Schmuck, im Inneren jedoch in mehreren Beispielen: an Türen, Geländern, mit Malerei im Treppenhaus und auch an Schmuckglas-fenstern. Auch an den vielen Mehrfamilienhäusern, die Czopka für die Baugenossenschaft zu Radebeul entwarf, finden wir bei einem Spaziergang durch die Schiller-, und Kantstr. oder in der Gartenstr., Pestalozzistr., Neubrunnstr. und Serkowitzer Str. bescheidenes schmückendes Beiwerk im Stil des Art déco. Stellvertretend für diese Gruppe von Häusern sei die Czopka-Mietvilla Einsteinstr. 20 (1929 errichtet) genannt. Eine ganz andere Anwendung sehen wir bei der kurz nach 1900 gebauten Fabrikantenvilla Spitzhausstr. 28, da gibt es Art-déco-Deckenstuck in der Veranda. Der Brunnen im Garten der Villa zeigt ebenfalls diese Formensprache. Hier wirkte 1928 der Chemnitzer Architekt Friedrich Wagner-Poltrock zwar nur ergänzend, in Chemnitz war er in jener Zeit bekannter, da er dort u.a. mehrere Schulen errichtet hatte. Bei der neuen Friedhofsfeierhalle in Radebeul Ost, wo Max Czopka 1928 / 29 tätig war, sind es weniger die Details, sondern ist es mehr die Gesamtgestaltung, die dem Art déco entspricht. Schließlich kann auch das Pfarrhaus in Kötzschenbroda mit dem Luthersaal durch seine Zollinger-Decke und andere Details im Inneren Merkmale des Art déco aufweisen. Der Entwurf der Gebr. Kießling stammt von 1928 / 29. Ebenfalls auf die Gebr. Kießling geht der Entwurf von 1928 für das Doppelwohnhaus Heinrich-Zille-Str. 34 zurück, hier wurden die oberen Teile der Fenstergewände, also die Stürze, mit spitzem Dreieck aufgebrochen. Etwa 1992 sah ich in einem gründerzeitlichen Mehrfamilienhaus in der Sidonienstr. zwei Öfen (wohl Teichert / Meißen), die mit „gezackeltem Dekor“ auch dem Art déco entsprachen. Hier waren diese Öfen offenbar eine Zweitausstattung, ob sie noch existieren, weiß ich allerdings nicht. Dem hier betrachteten Stil muß auch ein Gipsrelief aus einem unbekannten Radebeuler Haus zugerechnet werden. Es ist ein leicht defektes Sammlerstück, wahrscheinlich aus dem Innenbereich eines Wohnhauses, vielleicht einem Treppenhaus, das bisher noch keiner Adresse zugeordnet werden konnte.
Wir können zum Schluss feststellen, dass es andernorts möglicherweise mehr erhaltene Beispiele gibt und diese Kunstform in Radebeul keine allzu starke Verbreitung erreicht hat (nach 1933 paßte Art déco nicht ins Programm, bzw. wurde ausgegrenzt) und wir Beispiele dafür vorwiegend im östlichen Teil unserer Stadt finden.
Übrigens zeigt das Stadtmuseum Meißen noch bis zum 3. November 2019 eine sehenswerte Art-déco-Ausstellung – ein glücklicher Zufall, wie ich finde!
Dietrich Lohse
Bilder: Dietrich Lohse