Abbruch, Umbruch und Aufbruch

Zur Geschichte der Radebeuler „Vorschau“ und von „Vorschau & Rückblick“ (Teil 1)

Jedes Jahr schreibt die Körber-Stiftung einen Geschichtswettbewerb aus und ruft Schüler in Deutschland dazu auf, sich mit geschichtlichen Themen auseinanderzusetzen. In diesem Jahr lag der Fokus auf lokalen bzw. regionalen Gegebenheiten, die daraufhin untersucht werden sollten, wie Umbrüche in der jüngeren deutschen Geschichte daran exemplarisch verdeutlicht werden können. Die älteste Tochter unseres Redaktionsmitglieds Bertram Kazmirowski, Hanna (17), beteiligte sich an diesem Wettbewerb mit einer Arbeit, die die Geschichte unseres Monatsheftes von den Anfängen in den 1950er Jahren bis in die Nachwendezeit 1992 aufarbeitet. Dazu hatte sie Zeitzeugen befragt, Dokumente in Archiven und Bibliotheken gesichtet und viele Ausgaben der alten „Vorschau“ sowie von „Vorschau & Rückblick“ durchforstet. Auf zwei Beiträge verteilt zeichnet sie zusammenfassend wesentliche Entwicklungen nach. Der erste davon befasst sich mit „Der Vorschau“ und ihrer erzwungenen Einstellung Ende 1963 sowie deren Wiederbelebung, beginnend mit den bewegten Novembertagen 1989. Der zweite Beitrag wird im Frühling 2020 erscheinen und den beschwerlichen Neustart in Erinnerung rufen.

Es war in der ersten Hälfte der 1950er Jahre, als der Kommunalpolitiker und Kulturfunktionär Hellmuth Rauner und der Vorsitzende des Kreiskulturbundes Radebeul, Alfred Fellisch, die Idee einer regional begrenzten Kulturzeitschrift für Radebeul, Moritzburg und Radeburg entwickelten. Sie hatten sich zum Ziel gesetzt, die Lücke zwischen der gelenkten, inhaltsarmen Tagespresse auf der einen und den überregionalen Kulturzeitschriften auf der anderen Seite zu füllen.

Durch die Verstaatlichung der Medien und die Gleichschaltung der Presse durch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands war das früher vielfältige Printangebot zurückgegangen, vor allem im Kulturbereich. So erblickte das mit „Die Vorschau“ betitelte Monatsblatt im Juni 1954 das Licht der Welt. Das Ansinnen war, die Werte der Heimat zu vermitteln und interessierte Radebeuler über aktuelle Kulturveranstaltungen zu informieren. Damals (wie auch später) arbeitete das Redaktionskollegium, das zu Beginn nur aus Hermann Ebelt, Fritz Hoyer und Hellmuth Rauner sowie Rudolf Huscher (Pseudonym für Günther R. Rehschuh) bestand und welches sich über die neun Jahre des Bestehens fortlaufend änderte, ehrenamtlich. Was „Die Vorschau“ im Vergleich zu anderen Kulturspiegeln so besonders machte, war ihre redaktionelle Qualität. Diese wurde mit mehreren Auszeichnungen gewürdigt. So konnte sich die Zeitschrift nicht nur in den Jahren 1960 bis 1962 „Bester Kulturspiegel des Bezirks Dresden“ nennen, sondern erhielt auch sonst viel Anerkennung und Lob. Das beachtliche Niveau der redaktionellen Beiträge ist auf die beteiligten Autoren zurückzuführen, wie z.B. auf Alfred Fellisch, der in den 1920er Jahren erst Wirtschaftsminister, dann kurz sogar Ministerpräsident des Freistaates Sachsen gewesen war und Curt Reuter, der sich als Heimatforscher und Lehrer einen Namen gemacht hatte. Außerdem bemühte sich die Redaktion um ein breites Themenspektrum, was das Monatsperiodikum für die Leserschaft zwar spannend machte, ihr aber auch im Laufe der Jahre zunehmend Konflikte mit der Staatsmacht einbrachte. Es ist nicht leicht zu datieren, ab wann genau „Die Vorschau“ durch linientreue Funktionäre beargwöhnt wurde. Die „Vorschau“-Autoren jedenfalls übten Kritik in Form von Kommentaren zu Parteitagen der SED oder noch fehlenden Fortschritten bei der Kulturarbeit im Kreis Dresden-Land, verpackten ihre Beanstandungen aber auch in Gedichten (z.B. Ulrich Pohle in seiner Rubrik „Der Pfeil“). Zu offensichtlich wollte man wiederum auch nicht kritisieren, und tatsächlich scheint „Die Vorschau“ immer recht geschickt entlang des noch Erlaubten entlang geschrieben haben – anders sind die erwähnten Auszeichnungen Anfang der 1960er Jahre nicht zu erklären. Durch die 50er Jahre hinweg hatte der Bekanntheitsgrad des Mitgründers Alfred Fellisch die Zeitschrift vor zu großer Einflussnahme weitgehend bewahrt. Wie mir aber sein im Sommer 2019 verstorbener Sohn Manfred erzählte, wurde sein Vater von 1952 an bis Anfang der 60er Jahre regelmäßig durch die Staatssicherheit kontrolliert, denen der überzeugte Sozialdemokrat und Kulturarbeiter nicht geheuer war. Tatsächlich habe, so Manfred Fellisch, die Staatssicherheit seinen Vater mehr als zehnmal zu Hause aufgesucht. Mit den Jahren, besonders ab der Zeit nach dem Mauerbau 1961, ist eine größere Zahl an systemkritischen Artikeln nicht mehr zu übersehen, beispielsweise über den offiziellen Umgang mit Karl May und das Radebeuler Indianermuseum. Aus heutiger Sicht scheinen diese Artikel unauffällig, doch in Anbetracht des historischen Kontextes muss man sie anders bewerten. Den Druck, unter dem das Kulturblatt nach dem Mauerbau gestanden haben muss, kann man nur an kleinen Indizien nachweisen, am Impressum zum Beispiel. Im Vergleich zu den Monaten zuvor hatte sich Anfang 1963 die Zusammensetzung der Redaktion drastisch geändert, was eine Reaktion auf veränderte kulturpolitische Rahmenbedingungen war. Während das Impressum von Januar 1963 noch zehn Mitglieder in der Redaktionskommission aufweist (Manfred Bachmann, Günther Böhme, Gerda Helbig, Werner Lüttich, Walter Malbrich, Hellmuth Rauner, Annemarie Rehschuh, Curt Reuter, Johannes Stephan und Albert Zirkler), so sind in der Kommissarischen Redaktionskommission des Februar-Heftes davon nur noch Günther Böhme, Walter Malbrich, Annemarie Rehschuh und Curt Reuter zu finden. Einige Kollegen wurden ab Februar 1963 also aus dem „Vorschau“-Kreis ausgeschlossen oder verließen die Redaktion freiwillig. Vor allem an Johannes Stephan kann man diese Veränderung nachvollziehen. Nachdem er mehrere kritische Artikel verfasst hatte (Zitat: „Oder ist es in ihrem Betrieb noch nie vorgekommen, daß eine Maschine gekauft wurde, deren Hauptzweck darin zu bestehen schien, meist defekt zu sein?“, vgl. Die Vorschau 6/1962, S. 18) war er ab diesem ereignisreichen Februar nicht mehr Teil des Kollegiums. Um den Verlust dieser sechs Mitarbeiter auszugleichen, waren dafür vier Personen neu dazugekommen: Ulrich Patitz, Georg Schroeter, Rudolf Thalheim und noch einmal Alfred Fellisch. Aus Protest gegen die strikten und unerwarteten Änderungen der Obrigkeit war also selbst der Mitinitiator und somit einer der längsten Redaktionskollegen, Hellmuth Rauner im Januar 1963 ausgestiegen. Von heute aus betrachtet scheint das Folgende absehbar, doch für das Redaktionskollegium kam es sehr plötzlich: Im Herbst 1963 kristallisierte sich heraus, dass „Die Vorschau“ nicht mehr lange bestehen würde. Um die Einstellung der Zeitschrift harmloser wirken zu lassen, wurde die gesamte Kulturbundpresse auf Kreisebene zentralisiert. Was man offiziell als Fortschritt feierte, hatte den Verlust der regionalen Verankerung und der kulturellen Identität zur Folge. Die letzten zwei Hefte der „Vorschau“, November und Dezember 1963, wurden sogar nur noch in einem einzigen dünnen Heftchen zusammengefasst, in dem nicht mehr als eine förmliche und schlichte Verabschiedung der Redaktion zu lesen war. Damit endete ein knappes Jahrzehnt „Vorschau“-Geschichte. Abgelöst wurde „Die Vorschau“ vom politisch eingenordeten „Dresdner Kreisexpress“, der versprochen hatte, die Inhalte der „Vorschau“ in einer wöchentlich erscheinenden Kulturbeilage zu übernehmen. Doch das konnte schon allein wegen seiner größeren Reichweite und der Verallgemeinerung nicht umgesetzt werden; zudem fehlte es an vertrauten Radebeulern, die sich mit Leidenschaft für die lokale Kultur engagierten.
Letztendlich ist es trotzdem bemerkenswert, wie lange sich die Radebeuler „Vorschau“ im jungen sozialistischen Staat gehalten hatte. Fast ein ganzes Jahrzehnt hatte sie monatlich eine neue Ausgabe für mehr als 4000 Leser präsentieren können. Angesichts der Vielzahl an kritischen Meinungsäußerungen und Themen hätte es niemand wundern müssen, wenn auch schon eher ein Schlussstrich unter die Veröffentlichung des Heftes gezogen worden wäre. Die Begeisterung der „Vorschau“-Leser muss auch ein Grund dafür gewesen sein, dass sich das Heft relativ lange in der Presselandschaft halten konnte. In den intellektuellen Kreisen Radebeuls tauschte man sich gern über die von der „Vorschau“ veröffentlichten Beiträge aus, die wenigstens teilweise einen anderen Tonfall hatten als die Artikel in den staatstragenden Druckerzeugnissen. Doch damit war nun Schluss – für ganze 27 Jahre.
Die politische Wende im Herbst 1989 war ein Segen für die Presse. Die neugewonnene Meinungsfreiheit war vorerst ungewohnt, bot aber viele neue Möglichkeiten, die genutzt werden wollten. Im Dezember 1989 waren es 26 Jahre, die die alte „Vorschau“ seit ihrer Einstellung 1963 nicht mehr existiert hatte. Eine lange Zeit, doch sie war nicht in Vergessenheit geraten. So war es kein Wunder, dass die Idee, dieses Heft wieder aufleben zu lassen, aufblühte, sobald man keine Angst vor Bevormundung mehr haben musste. Die Arbeit an der Verwirklichung dieses Projekts begann bei einer Bürgerversammlung im bewegten Herbst 1989: Am 10. November fand in der Friedenskirche eine Zusammenkunft statt, bei der in Gegenwart des Bürgermeisters und Vertreter des der Fachschule des Ministeriums des Inneren Radebeul verschiedene Gruppen ihre Ideen und Pläne für die Stadt vorstellten. Innerhalb des Neuen Forums gab es eine Arbeitsgruppe für den Bereich Kultur, für den Karin Baum (damals Gerhardt) die Funktion als Ansprechpartnerin übernahm. Sie schlug eine Neuauflage des monatlichen Kulturblattes vor, woraufhin sich auch Interessierte meldeten. So bildete sich die erste Redaktion für eine neue Ära der „Vorschau“. Mitgründerin Karin Baum beschrieb mir gegenüber diese Phase mit den Worten, dass sie „um 1990 ganz einfach das Bedürfnis“ hatten, „unsere Ideen endlich in die Tat umzusetzen“. Die Redaktion bestand außer dem Chefredakteur Dieter Malschewski, der als junger Mann schon in der früheren „Vorschau“ mitwirkte und nun seine journalistischen Erfahrungen (u.a. in Zusammenarbeit mit seiner Frau als Autor für die Betriebszeitung des Arzneimittelwerkes Dresden „Unterm Mikroskop“) in die neue Arbeit mit einfließen lassen konnte, nur aus neuen Gesichtern, die fast alle im kulturellen bzw. künstlerischen Bereich arbeiteten. Insgesamt hatten sich acht engagierte Radebeuler im Alter von 36 bis knapp 60 Jahren zusammengetan: der Journalist Wolfgang Zimmermann, der Leiter des Karl-May-Museums Radebeul René Wagner, die in Schloss Hoflößnitz als Museumsmitarbeiterin tätige Ilona Rau, der Schauspieler Friedemann Nawroth, der Ingenieur Dietrich Lohse, die Bühnenbildnerin Ulrike Kunze, die Mitarbeiterin der Radebeuler Stadtgalerie Karin Gerhardt und eben Dieter Malschewski. Die allererste Sitzung überhaupt der neugegründeten Redaktion tagte am 15. Januar 1990 in den Landesbühnen Sachsen. Aus einem Notizzettel ist zu entnehmen, dass bei diesem Treffen ganz essentielle Fragen besprochen wurden wie z.B. die Auflagenhöhe, das Format und die Seitenanzahl, bei der man sich auf 32 Seiten pro Heft einigte. Schließlich fing man noch einmal ganz von vorne an. Nachdem alle Unklarheiten beseitigt waren, bedurfte es nun nur noch einer Lizenz zur Herausgabe vom Dresdner Bezirksrat. Diese erhielt die Bürgerinitiative Kultur im Februar 1990. Dann stand der Veröffentlichung der Zeitschrift „Vorschau und Rückblick – Radebeuler Monatsheft“ nichts mehr im Wege. Das Datum für den Redaktionsschluss der ersten Ausgabe wurde auf den 15. März festgesetzt.

Hanna Kazmirowski

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Ein Kommentar

  1. Harald Wennerlund
    Veröffentlicht am Fr, 1. Nov. 2019 um 22:44 | Permanenter Link

    Schöner und gelungener Beitrag.
    Ich kann mich erinnern, dass das Heft bei uns zu Hause auch immer von meiner Mutter gelesen wurde. Sie hat auch viele der Hefte aufbewahrt.
    Leider kann ich mich an die Inhalte nicht erinnern, da ich als Kind sie sicher nicht darin gelesen habe.
    Auch an das Ende und den Verbleib der Hefte habe ich keine Erinnerung.
    Umso erfreulicher ist der Beitrag. Danke.
    Mit freundlichen Grüßen
    Harald Wennerlund

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