Vom Scheitern eines Radebeuler Fernsehsenders. Endgültig?
Als technischer Unterstützer des Kabelnetzbetreibers wirsNET erfuhr Stephan Liebich, dass es kein Problem darstellt, 500 TV- und Radioprogramme aus dem Himmel, von diversen Satelliten, zu holen und ins Radebeuler Netz zu speisen. Da müsste es doch ein Leichtes sein, noch ein 501. dazu zu geben. Einen eigenen Radebeuler Fernsehsender! Gesagt getan. Am 19. August 2013 erhielt Liebich vom Medienrat der Sächsischen Landeszentrale für privaten Rundfunk und neue Medien eine Sendelizenz. Aus einer Quasi-Schnapsidee entstand Radebeul TV.
Die Voraussetzungen erschienen günstig: Der Sender wird potenziell in 5.000 Wohneinheiten des Kabelnetzes von wirsNET und GAL eingespeist. Über Facebook und Internet ist die Reichweite praktisch unbegrenzt – die höchsten Klickraten lagen bei 10.000. Wir bekamen bundesweit Rückmeldungen von Ex-Radebeulern, die sich gerne an Bildern aus der alten Heimat labten. So machten wir nicht schlecht Außen-Werbung für unser Städtchen.
Was braucht es schon fürs Fernsehen? Eine Videokamera, ein Mikrofon und einen Computer als Schneidetisch. Man geht mit der Kamera zum Bürgermeister, stellt sie vor ihn hin und lässt ihn erzählen, wie es denn nun weitergeht mit der Meißner Straße. Praktisch, dass einige Parteien, Vereine und Organisationen eigene Presseleute haben, die Mitteilungen schreiben. Nun kann man diese Papiere nicht einfach vor die Kamera halten. Dafür braucht es einen Vorleser, etwas vornehmer Moderator genannt. Jedoch ist im übersandten Text (so definiert sich Journalismus) zunächst das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen, bevor (Achtung: Scherz!) Letzteres zur Aussendung kommt. Dafür braucht es einen Bearbeiter, auch Redakteur genannt.
Nun, einen PC hat doch jeder! Und ein jeder einigermaßen brauchbare Fotoapparat hat mittlerweile einen Video-Knopf. Ein Smartphone tuts notfalls auch. Wenn da nicht mit der Zeit der Anspruch aufkäme, mindestens (fast) so gut zu sein wie ARD und ZDF. Dort steht der Moderator vor der Frauenkirche. Wie machen die das? Ganz einfach: Der Moderator steht, gut ausgeleuchtet in einem Studio vor einer grünen Wand. Dem Computer befiehlt man am Schneidplatz, er möge doch bitte überall dort, wo es gleichmäßig grün ist, das Foto der Frauenkirche setzen (der Moderator darf dann nur kein grünes Hemd tragen, sonst wird er „durchsichtig“). Das PC-Programm dafür kostet wenig. Den grünen Stoff gibt es günstig im Nähladen. Man muss ihn nur gut verspannt an eine Wand anbringen. Aber jetzt kommts: Um den Stoff möglichst gleichmäßig auszuleuchten, braucht es ein paar Lampen. Bei denen gilt: Je besser das Licht sein soll, desto teurer sind sie. Und dann so Sachen wie Interviews. Schon ist eine zweite Kamera nötig. Nice to have: Funkmikrofone statt Kabelsalat! Ach, das Thema Ton und Musik! Schon ist die GEMA nicht weit. Sie will in erster Linie Geld sehen. Viel Geld! Und so weiter…
Nach einigen Monaten kam ich dazu: Burkhard Zscheischler. Bei der Süddeutschen Zeitung in München, bei der UNION bzw. den Dresdner Neuesten Nachrichten, Anfang der 90er Jahre sogar in einer Radebeuler Redaktion auf der Bahnhofstraße, habe ich „Print“ gelernt. Als Sprecher von Behörden und Ministerien des Freistaats lernte ich dann, wie man sich vor Mikrofon und Kamera verhält. Ich übernahm die Redaktion und schrieb viele Texte, die ich zumeist auch sprach – meistens abends oder am Wochenende. Einen Vormittagstermin unter der Woche beim Bürgermeister oder bei der Feuerwehr konnte ich nie wahrnehmen, da muss ich beim Freistaat Geld verdienen. Das übernahm dann oft Stephan Liebich. Er hat als Sänger den idealen Beruf für solche Hobbys. Dafür hat er abends keine Zeit, denn dann singt er. Zwischen uns war also viel Kommunikation nötig. Eine Zusammenarbeit, die den eigentlichen Spaß ausmachte. Das änderte sich mit Marco Huber. Er war der ideale Allein-Redakteur, der alles zugleich machte. Aber eben wirklich alles und alles alleine. Interne Kommunikation war schwierig. Dann ging er aber weg und macht heute in Zittau Internet-Fernsehen.
Simone Laack, Susanne Hanke, Kathrin Däbritz, die Liebich-Familie, Angela & Burkhard Zscheischler und Maik Beyer – manche kamen und gingen, manche blieben bis zum Schluss. Der “harte Kern” waren Burkhard & Stephan. Es war immer ihr Hobby. Den anfänglichen Ansatz, Geld damit zu verdienen, mussten sie bald aufgeben. Die beiden verstehen sich hauptsächlich als „Künstler“. Damit ist Kreativitiät gemeint, die eng verwandt ist mit dem Chaos. Um Geld einzusammeln, hätte „mal jemand“ Klinken putzen gehen müssen bei Handel, Handwerk und Industrie. Dieser „jemand“ fand sich nie. Das ist nämlich eine ziemlich undankbare Aufgabe, getragen von viel Reden und Überzeugungsarbeit, “belohnt” mit Enttäuschungen. Die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel. Liebich hat privat einen fünfstelligen Euro-Betrag in die Technik gesteckt, um nur einen Teil wieder einzuspielen. Mittlerweile, nach sechs Jahren, ist alles abgeschrieben und manche Technik überholt. Der ganze “Krempel” ist eigentlich neu anzuschaffen: Kameras, leistungsfähige Computer mit je zwei Bildschirmen, Stative, Lampen, Mikrofone, Ersatz-Akkus, Ladegeräte, Speichermedien und noch einiges an Kleinkram, der im Einzelnen wenig kostet, der sich aber leider ständig verliert.
Denn Radebeul TV ist ein Privatsender. Wer glaubt, wir würden vom Gebührenaufkommen der GEZ profitieren, der irrt gewaltig. Die Kabelnutzer von wirsNET bezogen uns kostenlos. Deshalb machten wir nach gut 6 Jahren Kassensturz und kamen zur Erkenntnis: Ok, Spaß war manchmal dabei, aber außer Spesen ist nichts gewesen. Nicht zuletzt scheiterten wir am eigenen Qualitätsanspruch: Speziell Burkhard hat zwar einen Mordsspaß am Schreiben von Drehbüchern und witzigen Moderatorentexten, doch kann der mittlerweile über 60-Jährige sich selbst kaum im Spiegel ertragen, geschweige denn als Fernsehbild. Fernsehen, so sein Credo, lebt nicht von einem angegrauten Moderator mit Rauschebart und Glatze, wahlweise von anderen „Stand“-Bildern, ob weiblich oder männlich, die irgendwelche lahmen Texte vorlesen, sondern von Bildern vom schönen Radebeul. Um aber 15 Minuten Magazin pro Woche mit bewegten Bildern zu füllen, muss etwa das zehnfache dessen aufgenommen, gesichtet, verarbeitet und geschnitten werden. Archiv? Theoretisch ja, praktisch ist das Richtige selten dabei. Wir haben Hochsommer, aber unser Archivbild zeigt sich tief verschneit. Deshalb steigen wir doch schnell aufs Rad und „holen“ uns ein aktuelles Bild. Dumm nur, dass Radebeul bisweilen ziemlich weitläufig sein kann, zwischen AWD und LÖMA liegen einige Kilometer. Na, das hält uns wenigstens gesund, denn wir sind meist mit dem Rad unterwegs. Aber ein Kindergartenanbau in Wahnsdorf? Ach nee, da will ich jetzt nicht hoch strampeln.
Trotz alledem! Wir haben Preise errungen, im Wettbewerb privater TV-Sender in Sachsen und darüber hinaus. Geldpreise sogar! Die eine Hälfte steckten wir in neue Technik, die andere in einen gemeinsamen Urlaub. Ein Wochenende. Mit dem Fahrrad. So viel Geld wars dann doch nicht. „Man hätte vielleicht mal Reklame machen müssen.“ – Ja, „man“ hätte. Aber weder „man“ noch „frau“ haben sich eingefunden. Es gab auch wohlmeinende Ratschläge von Zeitgenossen (mit beiden Händen in den Hosentaschen) wie: „Ihr solltet mal in die Schulen gehen.“ Haben wir gemacht. Wir erfuhren: Fernsehen ist “old school”. Die Jugend heute macht nur noch „in“ Youtube oder Instagram. Also machten wir alleine weiter. Für ein aussterbendes Publikum.
Im März 2019 haben wir uns von unseren Zuschauern verabschiedet mit dem Hinweis auf eine Denkpause. Seitdem wurden wir immer wieder gefragt, wann wir wieder losmachen. Fein! Unser Programm wurde also doch bemerkt und es gibt offenbar nicht wenige, die unserem Angebot nachtrauern. Ja, klar! Man konnte es, bequem im Sessel sitzend, konsumieren. Kostenlos! Das machen wir jetzt auch: Bequem sitzen wir im Sessel und warten darauf, was sich so bietet – kostenlos. Radebeul TV ist für uns Geschichte. Im Wesentlichen gescheitert. Aber eine nette Episode. In der alten Form würden wir es nicht wieder aufleben lassen wollen.
Wieso schreibe ich dann so lange drüber? Wenn die Radebeuler doch so darauf bestehen, was wäre denn nötig? Notwendig wäre: Eine Redaktion von 4-5 engagierten Damen und Herren, die Lust darauf haben, das Radebeuler Zeitgeschehen mit einer Videokamera, letzten Endes aber gemeinsam, zu begleiten: Politik, Wirtschaft, Kultur oder Sport und das vielfältige Vereinsgeschehen. Eine Reportage über die Mühlengeschichte im Lößnitzgrund, zum Beispiel. Es gibt ein Buch darüber. Wieso das nicht als Film? “Mein Lieblingsplatz!” Eine Vorstellung unserer Weingüter und Straußwirtschaften. „Zu Besuch bei…“ – einem Politiker, einem Künstler im Atelier, einer 100-Jährigen im Heim. Eine aktuelle Debatte aus dem Stadtrat zum Sanierungsgebiet Radebeul-West. Eine Übertragung einer Premiere der Landesbühnen in ein Seniorenheim. Porträts unserer Wirtschaftsbetriebe. Ach, Ideen hätten wir genug. Man muss nur regelmäßig Lust dazu haben, unabhängig vom Wetter und von anderen Verpflichtungen wie Erwerbs-Arbeit, Ehegespons oder Enkelkindern. Denn es ist ein Hobby. Die Leute guggen gerne sowas, wollen aber nichts dafür bezahlen. Wirklich? Grundsätzlich zu klären wäre die Technikfrage. Alle 4-5 Jahre ist der Krempel veraltet und auszutauschen. Ein wenig Geld sollte also doch hereinkommen.
WirsNET war bisher so freundlich, keine Sendegebühren zu verlangen. Mal angenommen, das bleibt so… Der Sender ist für den Kabelnetzbetreiber vielleicht sogar ein nettes „Zuckerl“ für seine Kunden. Dies weiter gedacht, kommt mir ein grandioser Gedanke: Ob wirsNET-Kunden bereit wären, sagen wir mal: 50 Cent pro Monat über den bisherigen Gebührensatz hinaus zu bezahlen für den Service, Lokalnachrichten zu sehen? Wenn 100 Kunden das ein Jahr lang machen, wäre schon eine halbe Kamera bezahlt. Im Internet sind sogenannte „Bezahlschranken“ mittlerweile weit verbreitet, technisch kein Hexenwerk. Wir haben es überschlägig errechnet. Wenn wir nichts damit verdienen, aber auch nicht mehr draufzahlen wollen, bräuchten wir monatliche Einnahmen von 500-1.000 Euro. Absolute Untergrenze. Bereits ein Dumpingpreis. Nahe der Selbstausbeutung.
Schön wäre es, wenn man ab und zu einem professionellen Sprecher/einer Sprecherin einen Hunderter in die Hand drücken könnte, der oder die einen deutschen Satz mit Subjekt, Prädikat, Objekt ohne viele Äh und Stottern aufsagen kann, weil das viel Arbeit ersparen würde: Das mühsame Herausschneiden der Versprecher am Computer, weil sonst die Zuschauer bereits nach dem ersten Halbsatz aktiv weghören. Denn stell Dir vor, es ist Fernsehen und keiner guggt zu. Den Beweis erhielten wir vorm Herbst- und Weinfest 2018: In der letzten Minute der Sendung verlosten wir zwei Freikarten. Es hat sich kein Schwein dafür interessiert! 100% der Zuschauer hatten bereits einige Minuten zuvor abgeschaltet. An welcher genau? Schwer zu sagen. Es ist nicht messbar. Deshalb folgten wir unseren Zuschauern einige Monate später nach und schalteten das Programm ab.
Unseren Anspruch, den gibt es immer noch: Ein lokales Nachrichtenangebot für jene Mitbürger schaffen, die keine Zeitung mehr lesen. Denn dieser Personenkreis wird immer größer. Ein Angebot auch für Mitmenschen, die sich nur noch in Filterblasen a-sozialer Medien aufhalten. Die Erde wird zwar nicht allein dadurch zum Würfel, wenn erregte Bürger dies wiederholt in Internetforen behaupten, doch diese Art Mitmenschen scheint sehr vermehrungsfreudig zu sein. Dagegen ist nur Information zu setzen. Vielleicht mit einem Bürgerfernsehen. Dort, anders als in der gescholtenen “L”-Presse, spricht einer aus der direkten Nachbarschaft. Den kennen wir. Wenn der das sagt, muss es Hand und Fuß haben. Ein Informationsangebot also, gemacht von Bürgern für Bürger. Spannend, unterhaltsam und informativ. Vielleicht getragen von einem Bürger-Verein. Wo sind die Vereinsjuristen unter den Lesern? Wäre das etwas Gemeinnütziges und Spenden steuerabzugsfähig? Und, nicht zu verachten: Wir sehen uns!
Da wären wir wieder bei dem: „Man müsste“. Bei uns hat sich „man“ bisher nicht eingefunden. Und mit dem „müsste“ haben wir es auch nicht so. Wir machen nämlich nur, was uns Spaß macht. Wir sind eben die künstlerischen Chaoten.
Burkhard Zscheischler