Blickwechsel/Laudatio/Stadtgalerie

Atemwechsel
Das Aus und Ein:
Die Atemspur
Sich hebt und senkt
In Linien und als
Farbenbild des Wechsels
Klang

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Kunst, sehr geehrter Axel Lange, liebe Mechthild Mansel!

Obiges Gedicht, das ich Mechthild Mansel widmete, spricht vom Wechsel des Atems und hat sie zu dem Titel „Blickwechsel“ für diese Ausstellung inspiriert. Das betrifft sowohl ihr Werk und die wechselnde Arbeit in Malerei und Grafik als auch die sich ändernden Perspektiven im täglichen Leben. So unterschiedlich wie beide Medien sind, so bedingen sie doch einander: In der Malerei das heftige „Urknallerzittern“ der Leinwand im Chaos der Farbenflächen und einer sie überfliegenden Lineatur; stark farbige Kondenzstreifen des eigenen Empfindens wie Zangen und Blitze über das Bild zuckend. Und dort die Grafik, Radierung und Lithografie, oft zweifarbig, violett und gelb unterlegt, figürlich, erzählend von Paaren, Gruppen und Tanzenden, Akten und Köpfen, die einander sacht berühren. Hier waltet das zarte Gefühl der Mitmenschlichkeit in heftiger, temperamentvoller Attitüde, in Körperverdrehungen, seltsam-gewagten Posen und Gebärden, vollkommen expressiv. Diese dem Expressionismus abgelauschte Haltung sowohl in der Malerei als auch im Grafischen eint beide Medien in einem besonderen, aufbegehrenden, leidenschaftlichen Grundklang. Auch hier wirkt ein beherzter, oft angedeuteter Oh-Mensch-Gestus, der den Betrachter anruft, sich auf die Bilder von Mechthild Mansel einzulassen.

Mechthild Mansel studierte zunächst an der TU Dresden Landschaftsarchitektur und schloss mit dem Diplom ab. Es folgte ein Zusatzstudium Architekturbezogene Künstlerische Gestaltung an der HfBK Dresden. Danach arbeitete sie als Landschaftsarchitektin in Radebeul und als Bauleiterin in Dresden. 1989 studierte sie bei den Professoren Rolf Kuhrt und Bernhard Heisig an der HGB Leipzig und war Kuhrts Meisterschülerin im Aufbaustudium bis 1997. Während des Studiums in Leipzig 1991 entstand das frühste hier gezeigte Bild, die Radierung „Kleines Köpfchen“, die eines der ältesten Werke in ihrem Oeuvre darstellt und hier unter Glas zu sehen ist. 1993 schloss sie mit dem Diplom in Malerei und Grafik an der HGB Leipzig ab. Mit 31 Jahren hatte sich Mechthild Mansel für die freie Kunst entschieden, weil sie für die Entfaltung ihrer Seele lebensnotwendig war. Dieser Weg stellte sich als zunehmend schwierig heraus, wie man es bei vielen Biografien ostdeutscher Kunst schmerzlich bemerken muss. Seit ihrem Studium arbeitet die Künstlerin zielstrebig und fleißig an ihren Werken, wie ihre zweimal wöchentliche Arbeit in der Grafikwerkstatt Dresden. Und schließlich pendelt sie regelmäßig zwischen dem Leipziger Atelier und Dresden. Zahlreiche Projekte in Dresden und Leipzig, darunter mit Kindern und Jugendlichen, aber auch mit Erwachsenen, bilden zum Teil die finanzielle Grundlage für die freie Arbeit in Malerei und Grafik.

Die Malerei

Italien war das neue Ziel, das sie 1994/95 anvisierte. In Florenz studierte sie an der Accademia die Belle Arti im Rahmen eines 12 Monate-DAAD-Stipendiums bei Professor Gianfranco Notargiacomo Malerei und begegnete in den Museen der italienischen Malerei, sowie der Weltkunst. Das Erlebnis von südlichem Licht und Farbe führte zu einem radikalen Wandel in ihrer vordem meist gegenständlichen Malerei. Licht einfangen, war zunächst die Devise. Sich dem Licht hingeben und es malen. Seitdem entstanden viele Ölbilder, unter anderem 1997 die Abstraktion „Indian Summer II“, dessen Hängung hier eine Anspielung auf das alljährliche Karl-May-Fest in Radebeul sein soll. Es zeigt einen Bogen aus Pinselstrichen, wie der Federschmuck eines Häuptlings, der sich über das Bild spannt.

Kopf-Keule, 1993, Öl auf Hartfaser
Bild: Repro Stadtgalerie


Eine Serie von 70 Ölbildern wurde bereits 1999 im Renaissance-Schloss Hoerhof in Idstein bei Frankfurt am Main gezeigt. Sie sind in alten, gesammelten Rahmen gefasst, wie die Bilder „Höhepunkt“, „Sphärenklang“ und „Windorgel“. In ihnen herrscht ein „strenges Chaos“ und ein dunkler, sonorer Klang, bei dem die farbige Lineatur das Geschehen im Bild bestimmt. Mansels Titel sind assoziativ, um dem Betrachter einen leichteren Zugang zu ermöglichen, aber sie malt nicht nach einer thematischen Vorgabe. Eine Ausnahme bildet das großformatige Ölbild „Das Ereignis“, eine fast monochrom-blaue Komposition, die zum Bernburger Wilhelm-von -Kügelgen-Stipendium 2010 gemalt wurde und eine Hommage zum Mord am Vater Gerhard von Kügelgen in Dresden darstellt. Das Ölbild „Humid“ ist eine, durch den Rahmen in ihrer Wirkung verstärkte, altmeisterliche Arbeit im neuen Gewand, in abstrakter, informeller Form. Die Ölbilder „Parabel-Rot I und II“ bestimmen in ihren organischen Schwüngen die Wand mit den Grafikvitrinen. Immer ist in ihren Bildern Musik anwesend, die Spannung zwischen Klang in der Musik und der entsprechenden Wellenlänge im Malerischen. Im Treppenaufgang dominieren nachdenkliche Themen sowie heitere Bilder und zwei Sopraporten mit verschlüsselten Codes von Emotionen. Das Ölbild „Kopf-Keule“ von 1993 ist ein Verweis auf die Leipziger Schule mit ihrem dominanten Lehrer Bernhard Heisig. Es nimmt hier einen zentralen Platz ein und bildet einen Ruhepunkt im Raum, dem drei von Mechthild Mansel bemalte Vasen in Fayence-Technik beigesellt sind.

Das Ereignis, 2010, Öl auf Leinwand
Bild: Repro Stadtgalerie

Die Grafik

Die Grafik ist für Mechthild Mansel das Projektionsfeld ihrer humanen Ideen und Themen. Sie hat selbst Tanz trainiert, hat Proben von professionell Tanzenden besucht und währenddessen gezeichnet. Ihre „Lebenstänze“ sind Ausdruck des sich als Tanzfigur manifestierenden Zwischenmenschlichen, wie der Tanz selbst, nun übertragen auf das zweidimensionale Blatt Papier. Die Lösung für die in Bewegung agierende Figur übersetzt Mansel durch Strichelungen und Schwünge auf die Radierplatte und Zeichnungen auf dem Lithostein. Besondere Figurationen und ihre Konstellationen (besonders im Paar) erfordern neue Mittel. Spannung muss erzeugt, manches Wagnis muss bestanden werden, das sich manchmal in grotesken und fast akrobatischen Bildlösungen zeigt. Anmutig sind die Köpfe mit zarten, sensibel ausgeführten Gesichtern, in denen Liebe atmet und lebt.

Als Gesamtbild vermittelt die Ausstellung in erfrischender und lebendiger Schönheit ein Bild von Mechthild Mansels innerer Welt. Die mit viel Liebe gehängte Präsentation möge auch den Besuchern Freude an den zu Herzen gehenden Kunstwerken bringen, in denen sich künstlerische Fantasie und Empathie mit dem menschlichen Leben in besonderer Intensität verbinden.

Ich danke Ihnen!

Heinz Weißflog

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