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Die kleine Aktzeichnung passt wunderbar zum Juni-Heft. Die schöne Jahreszeit macht das Leben leichter. Alles drängt in die Natur. Die Hüllen fallen und man fühlt sich zunehmend frei. Die Offsetlithografie von Bärbel Kuntsche entstand 1993. Sie zeigt einen liegenden weiblichen Akt, ganz ohne Scheu. Der Kopf ruht auf dem linken Arm. Das Gesicht ist im Profil zu sehen. Vor allem das Auge zieht die Blicke der Betrachter an, und es scheint, als schaue es in sich selbst hinein.

Die Figur steht in Beziehung zu verschiedenen Linien von unterschiedlicher Stärke, die der Zeichnung Dynamik und räumliche Tiefe verleihen. Deren Rhythmus umschmeichelt den Akt und besticht durch heitere Musikalität. Nur angedeutet ist der Hintergrund. Ob es sich dabei um eine hügelige Landschaft handelt, bleibt der Fantasie überlassen.

Die Erkundung und Darstellung der menschlichen Gestalt haben auf Künstler aller Gattungen seit jeher eine große Anziehungskraft ausgeübt. Wie damit umgegangen wird, hängt jedoch von den jeweiligen Moralvorstellungen der Gesellschaft ab. Die radikale Befreiung aus zivilisatorischen und akademischen Zwängen fand u. a. bei den ”Brücke Künstlern“ einen Höhepunkt.

Doch vor der Kür kommt selbst bei Künstlern die Pflicht. Für Bärbel Kuntsche hieß das, an der Hochschule für Bildende Künste Dresden eine solide Ausbildung zu absolvieren. Dort erwarb sie auch genaue Kenntnisse von der menschlichen Anatomie. Bis heute vertritt sie die Auffassung: „Erst wenn man die handwerklichen Grundlagen souverän beherrscht, kann man sich als Künstler frei entfalten.“

Karin (Gerhardt) Baum

“Vorschau und Rückblick“ Heft 6/2020

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