Ewiger Zauber

Laudatio zur aktuellen Ausstellung mit Fotografien von André Wirsig

Der Titel verspricht viel. Schon steigen Ahnungen auf, es könnte zu viel sein, was er verspricht: EWIGER Zauber? Es wird ja immer und überall zu viel versprochen in diesen Tagen. Einer solchen Ahnung folgend haben die Vordenker des heutigen Abends, so vermute ich, die lateinische Übersetzung gewählt: eterna magica. Da fällts nicht so auf und klingt trotzdem geheimnisvoll. Eterna hieß übrigens eine DDR-Schallplattenfirma, und zwar die, erinnert Euch mal, die für die gute, also für die klassische Musik zuständig war. Es handelt sich demnach um eine weit zurückliegende Ewigkeit. Und magica – nun, wer täglich oder ab und zu in der Morgenpost oder in den sich ernsthaft und bürgerlich gebenden DNN das Horrorskop genießt, der dürfte inzwischen ohnehin längst gänzlich entzaubert sein: ein ewig entzauberter Zauber also.
Bleiben wir dennoch für einige Augenblicke beim ursprünglichen obersächsisch-meißnischen ewigen Zauber und versuchen wir, ihm etwas von seinem Glanz abzugewinnen. Wir haben nämlich die große Überschrift noch gar nicht richtig gelesen: tausend Jahre Weinfest werden uns versprochen.
Das ist doch mal was! Tausend Jahre Weinfest.
Da steht natürlich sofort der Zauber-Bischof Benno im Blickpunkt, der ja Zeit seines segensreichen Wirkens hier im Elbtal allerhand ver- und vor allem gezaubert hat. Allerdings war er vor tausend Jahren gerade mal zehn geworden in seinem heimischen Hildesheim und demzufolge noch weit davon entfernt, hier im schönen Elbtal einstmals den ersten Weinstock gepflanzt haben zu können. Dennoch hat der Gedanke etwas Zauberhaftes: Ein zehnjähriger Bengel, voller Lebensfreude, voller Energie, der die Gassen der Stadt mit Jubel füllt und noch keine Ahnung hat, dass er irgendwann später im rauen Norden Weinstöcke pflanzen soll oder sich gar mit Kaisern rumärgern muss.
Unsere Zehnjährigen sitzen heute zu Hause wie die Füllen und füllen bestenfalls noch virtuelle Räume mit – ja, womit denn eigentlich?? Leben kann das ja wohl nicht genannt werden… Ob man da mal einst Weinstöcke pflanzt? Wenigstens lehren sie gelegentlich – sehr zu meiner Erheiterung übrigens – sogenannte zuständige Stellen das Fürchten. Sie dringen spielend und wie nebenher in virtuelle Hochsicherheitsräume ein, führen den Kinderglauben an die sogenannte Netzsicherheit ad absurdum und müssen sich dann vorwerfen lassen, auf so einfache Weise das Vertrauen in den Staat zu untergraben. Als ob der Staat virtuell wäre … nebenher stellt sich die Frage, wem hier eigentlich die Medienkompetenz fehlt.
Kindern kann ja wohl kaum angelastet werden, dass sie die Spiele der Nichterwachsenwerdenwollenden nachspielen und deren Bill-Gates-Träume vom unbegrenzten Reichtum nachträumen. Sie sind auch nicht schuld, wenn sich hochbezahlte Sicherheitsingenieure in der virtuellen Welt verirren. Das freilich spielt nachher in der strafrechtlichen Bewertung der Kinderzimmerspiele keine Rolle mehr, im Gegenteil: die das Lächerliche lächerlich machen, das Offensichtliche öffentlich, haben nach wie vor keine Gnade zu erwarten. In Amerika, dem selbsternannten Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wurde jüngst einem Teenager die Verurteilung nach Jugendstrafrecht verweigert, weil er die Codes hoher Persönlichkeiten geknackt hatte…
Aber, was geht uns Amerika an – wir sprachen vom Zauber.

All jenen von uns, die Kopfrechnen noch ohne Tasten lernten, dürfte einleuchten, dass eine Kirche ohne Wein ungefähr so viel Wert ist, wie ein Smartphone ohne Netzteil. Der bereits seit 968 in Meißen ansässige Bischof (sozusagen ein Uralt-achtundsechziger) hätte ohne Meßwein einfach keine Verbindung zu seinem Chef bekommen: Kein Netz eben. Aber, wo Menschen sind, gibts immer Netze. Und in diesen Netzen können Bischöfe nicht nur Menschen, sondern auch Weinfässer fischen. Lebhaft stelle ich mir vor, wies lebhaft wurde auf der Burg Meißen, wenn wieder Fässer anrollten: Das war ein Fest! Ein Weinfest! Vor tausend Jahren schon. (Aus jenen fernen Tagen stammt der Ruf, wir sollten auf den Wein achten, weshalb das Fest dann schon recht bald zu Jahresende hin gefeiert wurde und immer noch wird).

Natürlich ließ dann auch – Benno hin, Benno her – der erste hier gepflanzte Weinstock nicht auf sich warten. Das eigentlich Bedeutende ist aber, dass sich am Wein seit tausend Jahren nichts geändert hat. Kaiser hinterließen Spuren. Könige kamen und gingen. Revolutionäre revolutionierten. Deserteure desertierten. Denunzianten denunzierten Onkel und Tanten. Juden verschwanden. Opportunisten bauten Tribünen für Tribune und Tributeure. Denker dachten. Komiker lachten. Winzer aber pflegten Wein. Jahraus, Jahrein. Tausend Jahre lang.
Die letzten dreißig von diesen tausend Jahren haben die meisten von uns hier in Kötzschenbroda miterleben dürfen.
In diesem Jahr nun müssen wir erleben, dass das alles nichts weniger als selbstverständlich ist. Tausend Jahre oder dreißig – jedes einzelne ist einmalig, unbezahlbar und voller Überraschungen. Was nicht einmal die Elbe konnte: Ein Virus kanns: Die Fröhlichkeit in Frage stellen und mit der Fröhlichkeit unseren Lebenswandel. Bei Tönnies kamen drei Mitarbeiter auf ein Bett, bei uns kommt ein Besucher auf vier Quadratmeter. Da ist zwar jeden Menge Luft nach oben, nur in der Fläche reichts nicht für alle… Beim ersten Mal da tuts noch weh – aber Schlager gabs ja bei Eterna nicht – Bisher gingen Jahr für Jahr alle die gigantischen von Richard zusammengenagelten Fantasien mit guten Wünsche und vielen Hoffnungen wie im richtigen Leben auf wunderbare Weise in Flammen auf. Wir haben gejubelt und nie daran gedacht, wie schnell das Feuer übergreifen kann. Und davon und noch von vielem anderen mehr, erzählt diese Ausstellung.
Über all die Jahre und (wer glaubts, wenn er ihn sieht?!) Jahrzehnte hat André Wirsig Tag und Nacht drangesetzt, sich keinen der magischen Momente, nichts von dem ewigen Zauber entgehen zu lassen. Auch diese Bilder – die inzwischen durchaus für tausend Jahre reichen – atmen den Zauber. Es ist ein Zauber, wie er auch von ganz jungem Wein ausgeht. Der nimmt selbst hartgesottenen Netzbetreibern die 3D-Brille von der Nase, denn getrunken wird niemals virtuell, getrunken wird aus realexistierenden Gläsern (oder, so Corona will, aus Plastebechern), wie schon Lessing geraten hat:

Trinket, Brüder, lasst uns trinken,
bis wir berauscht zu Boden sinken.
Ein Hoch auf Bacchus, keine Chance den Viren,
wer Wein im Glas hat, kann gar nicht verlieren!

Thomas Gerlach

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